Forscher halten ein pauschales Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen für Unsinn. Ihr Argument: Auf dem Acker ließen sie sich oft nicht mehr von herkömmlichen Züchtungen unterscheiden, weil die Biotechnologen ihre Methoden weiter entwickelt hätten. Nun müsse die Politik nachziehen – und die Gentechnik neu definieren.
Die Akademien der Wissenschaften Deutschlands wehren sich gegen ein flächendeckendes Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen beziehungsweise Organismen, kurz GVO. „Die für die Risikobeurteilung von GVO unerlässlichen Freilandversuche, insbesondere Feldversuche mit zugelassenen GVO, werden durch pauschale Anbauverbote in Deutschland unmöglich“, heißt es in der Stellungnahme der Akademien, die mehrere Tausend Forscher vertreten. Zudem sei etwa die Forschungs- und Berufsfreiheit „akut bedroht“. Ihre Empfehlung: „Wissenschaftsbasierte Einzelfallprüfungen“ sollten über Anbau oder Verbot entscheiden.
Seit Anfang April ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft, nach der Mitgliedstaaten, „Maßnahmen erlassen“ können, um den Anbau von Gen-Pflanzen zu untersagen oder zu beschränken. Diese müssen allerdings „begründet“, „verhältnismäßig“, „ nicht diskriminierend“ sein und sich „auf zwingende Gründe stützen.“ Das ist für Juristen keine leichte Aufgabe.
Im Bundestag haben sich zwar schon alle Parteien gegen den Anbau ausgesprochen. Wie das umgesetzt werden soll, ist aber umstritten. Die Union und CSU-Agrarminister Christian Schmidt wollen die Entscheidung in die Hände der Länder geben, die anderen sind für ein nationales Verbot.
Moderne Gen-Chirurgen
Derweil raten die Mitglieder der Wissenschaftsakademien zu einem grundsätzlich neuen Weg: Sie wollen eine Risikobewertung der spezifischen Eigenschaften neuer Pflanzensorten – und nicht mehr der Methode, mit der sie erzeugt wurden. „Ökologische wie gesundheitliche Risiken, die von neu gezüchteten Pflanzen ausgehen könnten“, seien dann für „jeden Einzelfall zu prüfen“. Ihr Argument: Mit neuen molekularbiologischen Techniken, „Genome Editing“ oder „Gen-Chirurgie“ genannt, ließe sich das Erbgut so umbauen, dass die derart veränderte Sorte „mitunter“ nicht mehr von einer konventionellen zu unterscheiden sei.
Dahinter steckt der Streit, was als Gentechnik zu bezeichnen ist und welche Behörde oder Institution für diese Definition zuständig ist. Zum Beispiel verkauft die kalifornische Firma Cibus einen herbizidresistenten Raps, einen sogenannten RTDS-Raps. RTDS steht für Rapid Trait Development System: im Labor synthetisch hergestellte kurze Erbgut-Abschnitte werden direkt in die Zellen eingeschleust und bringen sie dazu, die Struktur ihrer eigenen DNA zu verändern.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat den RTDS-Raps in diesem Februar „nicht als Gentechnik im Sinne des Gentechnikgesetzes“ eingestuft. Es versteht die gentechnisch veränderten Abschnitte sozusagen als Werkzeug, das Mutationen hervorruft, aber nicht selbst eingebaut wird.
Demnach ist die auch als Oligonukleotid-Technik bezeichnete Methode vergleichbar der konventionellen Züchtung, in der Mutationen zum Beispiel durch Strahlung hervorgerufen werden.
Aufstand der Ökoverbände
Und der RTDS-Raps darf damit ohne jede Sicherheitsauflage angebaut werden. Er muss auch nicht das für gentechnisch veränderte Pflanzen spezifische EU-Zulassung durchlaufen, die Unternehmen laut gemeinsamer Forschungsstelle der EU-Kommission, dem Joint Research Centre JRC, bis zu 15 Millionen Euro kostet. Zum Vergleich: Die Registrierungskosten für eine konventionell gezüchtete Pflanze liegen bei einigen Zehntausend Euro.
Gegen den Bescheid des BVL protestieren zahlreiche Bio- und Umweltverbände. Erst vor wenigen Tagen haben sie in einem gemeinsamen Papier gefordert: „Neue Gentechnik-Verfahren regulieren!“. Die Wirkungen seien noch nicht geklärt, die Bedenken genau wie bei der „klassischen Gentechnik“. So begünstige der herbizidresistene RTDS-Raps „die Bildung resistenter Unkräuter und einen vermehrten Pestizideinsatz“. Raps sei eine „auskreuzungsfreudige“ und „zur Verwilderung neigende Kulturart“.
Die Verbände warnen: Die Freisetzung „des gentechnisch veränderten Cibus-Raps’ wäre nicht wieder rückgängig zu machen und eine inakzeptable Bedrohung für die gentechnikfreie, konventionelle wie biologische Land- und Lebensmittelwirtschaft.“ Vor allem definiere aber die EU-Richtlinie 2001/18, alle Verfahren, bei denen genetisches Material im Labor aufbereitet und in die Zellen eingeführt werde, als gentechnisch. Gegen den Bewilligungsbescheid des BVL haben die Verbände bereits Widerspruch eingelegt.
Die EU-Kommission prüft derzeit selbst, welche Pflanzen als GVO gelten und welche nicht. Bundesagrarminister Schmidt will bis Herbst 2015 die Anbauverbote für Pflanzen regeln, die als gentechnisch verändert gelten.
Weiterführende Informationen
Stellungnahme der Akademien zur Gentechnik [pdf, 220 KB]
Neue EU-Richtlinie zur Gentechnik [pdf, 2,0 MB]
Gesetzentwurf zum Gentechnikverbot
Antrag der Firma Cibus, nach dem bestimmte Rapslinien keine gentechnisch veränderten Organismen sind [pdf, 927 KB]
Kosten der Zulassung einer gentechnisch veränderten Pflanze, Studie [pdf, 2,5 MB]
Positionspapier Umweltverbände zu neuen Genverfahren [pdf, 661 KB]
Widerspruch gegen Rapszulassung [pdf, 110 KB]