„Nachhaltigkeit ist zuallererst eine Haltungsfrage“, sagt Markus Lewe, der seit 2009 dreimal zum Münsteraner Oberbürgermeister gewählt wurde. Diese Haltung hat die Stadt Münster in einem simplen Satz zusammengefasst: „Wir gestalten Münster enkeltauglich.“ Münster lebt Nachhaltigkeit bereits in vielen Bereichen und dieser Weg soll auch weiter konsequent beschritten werden, geht es nach Lewe. So wird etwa der Kauf von Lastenrädern gefördert, der öffentliche Nahverkehr ausgeweitet und Radrouten zur besseren Anbindung des Münsterlandes entwickelt. Auf die Fahrradpolitik ist Lewe besonders stolz: „47 Prozent der Menschen in Münster fahren mit dem Fahrrad. Da sind wir in einem Konzert mit Amsterdam und Kopenhagen.“ Auch beim kommunalen Klimaschutz ist Münster ein Spitzenreiter in Europa. Die Stadt wurde mehrfach mit dem European Energy Award Gold ausgezeichnet.
Doch für die Nachhaltigkeitstransformation braucht es gerade in Kommunen massive Investitionen, um nachhaltige Strukturen aufzubauen. Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, erneuerbarer Energien oder auch die Dekarbonisierung von Wärmenetzen kostet viel Geld. „Zur Finanzierung müssen wir auch neue Wege gehen“, sagt Lewe.
Jährlich 60 Milliarden Euro Investitionen nötig
Laut Hochrechnungen des KfW-Kommunalpanels ist der bundesweite Investitionsrückstand mittlerweile auf 186 Milliarden Euro geklettert. Die durch die multiplen Krisen – Pandemie, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die daraus folgende Energiekrise – verursachten Preissteigerungen trüben zudem den finanziellen Ausblick in den Städten. Daher „muss und kann der Staat über die kommenden zehn Jahre jährlich 60 Milliarden Euro gezielt zusätzlich investieren, um Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen mit Blick auf Klimaschutz und Klimaanpassung, Energie- und Verkehrswende, demografischen Wandel und Digitalisierung“, so das Fazit einer gemeinsamen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Woher soll also das Geld dafür kommen? Lewe ist dafür vielfältig engagiert: Der Oberbürgermeister ist neben seinen Tätigkeiten als Präsident des Deutschen Städtetags und Vorsitzender des NRW-Nachhaltigkeitsbeirates auch Mitglied im 2010 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) ins Leben gerufenen „Dialog Nachhaltige Stadt“. Hier tauschen sich über 40 Bürgermeister*innen zu Strategien und Maßnahmen nachhaltiger Entwicklung vor Ort aus. Anfang des Jahres haben sich die Bürgermeister*innen zusammengesetzt, um das Thema Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung in den Kommunen zu erörtern. Eines der Schlussfolgerungen: Die Finanzierung in den Kommunen muss grundlegend neu geordnet werden, damit die Nachhaltigkeitstransformation gelingt. Auch über das „wie“ hat sich die Runde Gedanken gemacht und elf Thesen formuliert, die die Bundesregierung aufrütteln sollen.
Münster setzt auf grüne Schuldscheine
Eine These lautet: „Wir müssen mehr privates Kapital für die Transformation vor Ort mobilisieren.“ Hierbei kommen zum einen Privatpersonen als Investor*innen in Frage. Insbesondere der Ausbau der Windenergie kann Veränderungen für Bewohner*innen an den Standorten bedeuten. Die Stadtwerke Münster betreiben aktuell 20 Windenergieanlagen, deren Anzahl bis 2030 mehr als verdoppelt werden soll, um dann rund 280 Gigawattstunden Windstrom zu erzeugen. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, beteiligen die Stadtwerke Münster die Anwohner*innen finanziell an diesen Projekten. So gibt es etwa verschiedene Pachtmodelle für Flächeneigentümer*innen, eine jährliche Gemeindebeteiligung oder ein jährliches Nachbarschaftsgeld für Anwohner*innen.
Die Stadt Münster entwickelt aktuell weitere Modelle, bei denen sich Bürger*innen beim Ausbau von Erneuerbaren beteiligen können. „Hier kann es Sinn machen, mit einem Kapitalisierungssystem über eine Bank das Geld von Bürger*innen einzusammeln und mit dem Geld die Transformation zu unterstützen“, so Oberbürgermeister Lewe. Gespräche dazu, führe die Stadt Münster mit der Sparkasse.
Zum anderen können auch institutionelle Investor*innen angesprochen werden. Grüne Schuldscheine sind Anleihen für Unternehmen oder konkrete Projekte, die einen Beitrag zum Klima- oder Umweltschutz leisten. Die Ausgabe von Green und Social Bonds orientiert sich dabei an einem Rahmenwerk, das sicherstellt, dass die so eingeworbenen Mittel für Investitionen mindestens einem der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele zugeordnet werden können. Inspiriert von München und Hannover, die bereits die Ausgabe grüner Anleihen erprobt hatten, beschaffte die Stadt Münster 2022 erstmals auf diese Weise Finanzmittel in Höhe von 140 Millionen Euro. Mit dem Geld konnte die Kommune etwa den Energieverbrauch einer Gesamtschule senken und eine Kläranlage modernisieren.
Der große Erfolg dieser Finanzierungsstrategie hat zu einer zweiten Auflage der Platzierung eines Grünen Schuldscheins im Mai 2024 geführt. Dabei werden in einem Vergabeverfahren Kreditinstitute mit der Vermittlung zwischen Stadt und Kapitalmarkt beauftragt. Zu institutionellen Anlegern gehören Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften wie Pensionsfonds. Mit der zweiten Auflage der Green Bonds will die Stadt Münster unter anderem den Neubau einer Grundschule mit niedrigem Energieverbrauch, eine Solarthermieanlage der Stadtwerke Münster, die deutschlandweit zu den größten gehören soll, sowie den Glasfasernetzausbau finanzieren. Die hohe Nachfrage erlaubte der Stadt diesmal 170 Millionen Euro bei institutionellen Investoren für die Umsetzung einzusammeln.
Schuldenbremse bremst Transformation
Eine weitere These aus dem Dialog Nachhaltige Stadt: „Um Deutschland transformationsfit zu machen, brauchen wir eine Reform der Schuldenbremse.“ Vor dem Hintergrund der zahlreichen Herausforderungen und des dringlichen Erreichens der Klimaziele befürworten die Bürgermeister*innen eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, die die Transformation auszubremsen droht.
Ähnlich sehen das auch die Ökonom*innen vom IMK und dem IW. Eine Kreditfinanzierung der Zukunftsinvestitionen sei unumgänglich, da es unrealistisch sei, diese Summen durch Umschichtungen oder Kürzungen in den öffentlichen Haushalten zusammenzubekommen. Die Schuldenbremse sowie die europäischen Schuldenregeln seien aus der Zeit gefallen. Die Studie empfiehlt daher, Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen oder einen Infrastrukturfonds zu schaffen.
In absehbarer Zukunft bleibt der Handlungsspielraum der Kommunen in Sachen Finanzierung weiterhin eng. Daher gilt es nach Lösungen zu suchen, die auch heute schon die Finanzierung von Investitionen erlauben. Die Mobilisierung von Privatkapital vor Ort kann hier Abhilfe schaffen.
Dieser Artikel ist der Auftakt einer Reihe, in dem Ober|bürgermeister*innen aus dem Dialog Nachhaltige Stadt zu unterschiedlichen Themenfeldern der nachhaltigen Entwicklung vor Ort zu Wort kommen. Der Dialog „Nachhaltige Stadt“ wird seit 2010 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) ermöglicht. Als politisch Verantwortliche setzen sich die Ober|bürgermeister*innen von vierzig deutschen Städten auf besondere Art und Weise für eine nachhaltige Entwicklung in ihren Städten ein. Im Rahmen des Dialogs tauschen sie sich zu Strategien und Maßnahmen nachhaltiger Entwicklung aus. Mit gemeinsamen Positionspapieren geben sie bundespolitisch wichtige Impulse zur kommunalen Nachhaltigkeitspolitik und zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Der RNE unterstützt und ermöglicht den Dialogprozess. Mehr Informationen gibt es hier.