Noch fehlen in der Statistik die Dezemberzahlen des vergangenen Jahres, aber grundsätzlich ändern dürfte das nichts mehr: 2014 ist wahrscheinlich das erste Jahr überhaupt, in dem der Verbrauch an Kohle in China sinkt. Das widerspricht nicht nur sämtlichen Vorhersagen, sondern könnte sich auch als Segen für das Weltklima entpuppen.
Für Li Shuo ist Chinas sinkender Kohleverbrauch weit mehr als eine Zahl in einer Statistik: „Ohne Übertreibung, das ist die derzeit bedeutendste Neuigkeit im Klima- und Energiesektor“, schreibt der Climate & Energy Policy Experte bei Greenpeace Ostasien in einer E-Mail. Er hatte in einer Studie im April 2014 bereits eine grundlegende Änderung der chinesischen Kohlepolitik festgestellt.
Ende 2015 soll es ein neues, internationales Klimaschutzabkommen geben und ein Beitrag von Ländern wie China – mit Abstand weltgrößter CO2-Emittent in absoluten Zahlen, pro Kopf bereits über dem EU-Durchschnitt – scheint unabdingbar. Ein Schlüssel für Chinas Klimapolitik ist dabei der Kohleverbrauch.
Kohle steht für 30 Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs, China hat nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) einen Anteil von 49,4 Prozent am weltweiten Kohleverbrauch, ist mit Abstand größter Kohleproduzent und größter Kohleimporteur. Zwischen 2003 und 2012 wuchs der Bedarf in China jährlich um durchschnittlich 9,7 Prozent – gemessen am Gewicht der verbrauchten Kohle, gemessen am Energiegehalt sind es 8,7 Prozent. „Ein sinkender Verbrauch widerspricht deshalb sämtlichen Mainstream-Projektionen“, schreibt Li Shuo. 2013 stieg der Bedarf noch um 5,3 Prozent.
Die Projektionen sehen tatsächlich anders aus: Die IEA geht von einem jährlichen Plus des chinesischen Kohleverbrauchs von 2,5 Prozent bis 2019 aus, falls die Wirtschaft um sieben Prozent wächst. In den vergangenen drei Jahren lag das Wachstum jeweils bei rund 7,6 Prozent. Wu Xinxiong, scheidender Chef der chinesischen Energiebehörde, prognostiziert laut eines Berichtes der Nachrichtenagentur Reuters bis 2030 einen steigenden Kohleverbrauch in China.
Die IEA hat in einer statistischen Analyse errechnet, was passieren müsste, damit der Verbrauch bereits vor 2019 sein Maximum erreicht. So müsste eines der folgenden Szenarien eintreten:
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das Wirtschaftswachstum in China müsste auf drei Prozent im Jahr fallen oder
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China müsste 300 neue Atomreaktoren bauen oder
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den Gasverbrauch um 250 Prozent steigern oder
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der Zubau an Windkraftwerken müsste auf das Vierfache des Weltmarktes ansteigen oder
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das Wachstum müsste sich elfmal schneller vom Energieverbrauch entkoppeln als bisher.
Möglich wäre auch eine Kombination aus allem, doch die IEA macht explizit darauf aufmerksam, dass Peak Coal in China schwer vorherzusagen ist, weil sich Faktoren gegenseitig beeinflussen. So würde zwar ein langsameres Wirtschaftswachstum den Energieverbrauch weniger stark steigen lassen, könnte aber auch ein Hindernis für den Ausbau erneuerbarer Energie sein – was das für den Kohleverbrauch bedeutet, ist kaum darstellbar.
Zudem sei keine der oben beschriebenen Entwicklungen in der jüngeren Geschichte auch nur ansatzweise irgendwo auf der Welt beobachtet worden, schreibt die IEA – und hält deshalb Peak Coal in China vor 2019 für sehr unwahrscheinlich.
Trendwende von Dauer?
Doch dabei handelt es sich um eine statistische Hochrechnung. Li Shuo macht darauf aufmerksam, dass auch die IEA den sinkenden chinesischen Verbrauch 2014 nicht prognostiziert hat. Für sehr wahrscheinlich hält der Greenpeace-Mann zwar, dass nach 2014 der Verbrauch in China zunächst wieder anziehen wird, verweist aber gleichzeitig auf die grundsätzliche Neuausrichtung der Energieversorgung in China, die schon in den nächsten Jahren den Kohleverbrauch dauerhaft senken könnte.
So gab es im vergangenen Jahr einen Rekord-Zubau an erneuerbaren Energien: zusätzliche 20 Gigawatt Wind- und 11 Gigawatt Solarleistung. Dieser Trend werde sich fortsetzen. Zudem hat die Zentralregierung vier Provinzen angewiesen, Pläne zur Reduktion ihres Kohleverbrauchs auszuarbeiten, vier weitere Provinzen haben sich bereits das Ziel gesetzt, ab 2017 weniger Kohle zu verbrennen. Auch setze das Land zunehmend auf Energieeffizienz.
Der Grund für den Wandel in der chinesischen Energiepolitik liegt nicht nur im Klimaschutz, sondern vor allem im massiven Smog-Problem der Städte. Laut der Analyse von Greenpeace will Peking mehr Wirtschaftswachstum in modernen High-Tech Industrien und Dienstleistungen generieren und weniger mit der schmutzigen Schwerindustrie.
Trotz der IEA-Projektionen hält es auch das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) für möglich, dass Chinas Kohleverbrauch bereits 2016 seinen Höhepunkt erreicht. Das IEEFA arbeitet eng mit der britischen Initiative Carbon Tracker zusammen.
Preisverfall bei der Kohle
Beide versuchen Investoren davon zu überzeugen, dass Anlagen in fossile Energieträger wesentlich risikoreicher sind, als auf den Finanzmärkten angenommen. Dabei geht es nicht nur um politische, sondern auch um ökonomische Risiken, schließlich könnten weltweite Klimaschutzziele fossile Energieträger verteuern.
Im Fall der Kohle ist es ausgerechnet der stetig sinkende Preis des Rohstoffes an den Märkten, der zu einem Sinken des Verbrauchs führen könnte: Seit dem Atomunfall von Fukushima im April 2011 ist der Preis für Kohle um 50 Prozent gefallen, was den Abbau teilweise unrentabel macht.
In China schreiben laut Reuters 70 Prozent der Minen rote Zahlen. Carbon Tracker warnt, dass weltweit Investitionen in den Kohlebergbau von 112 Milliarden Dollar unrentabel sind, sollte der Kohlepreis dauerhaft im Schnitt auf unter 75 Dollar pro Tonne fallen – wo er momentan liegt. Der Kohlemarkt leidet schon seit Längerem unter Überproduktion.
Welche Auswirkung nun eine sinkende Nachfrage nach Kohle im größten Verbraucherland hat, ist bisher kaum abzusehen. Carbon Tracker erkannte schon im Sommer vergangenen Jahres „seismische Verschiebungen auf dem Markt“, also eine Abwärtsspirale beim Kohleverbrauch. Für den Klimaschutz wäre das eine gute Nachricht.
Weiterführende Informationen
Greenpeace-Report The End of China’s Coal Boom
Reuters-Meldung, sinkender Kohle-Verbrauch in China [pdf, 49,2 KB]
Medium-Term Coal Market Report 2014, IEA (Vollversion kostenpflichtig)
Peak-Coal in China 2016?, IEEFA-Analyse
Bloomberg-Artikel zu Carbon Tracker