Der ehemalige Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, António Guterres, wird im kommenden Jahr den scheidenden UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem Amt ablösen. Obwohl sich viele eine Frau auf diesem Posten gewünscht hatten oder einen Vertreter aus einem osteuropäischen Land, ist Guterres‘ Ernennung auf ein breites positives Echo gestoßen.
Der Portugiese gilt als Humanist, aber auch als Realist, der Probleme angeht. „Er ist integer und hat die Menschenrechte im Blick“, sagt Anja Papenfuß, Referentin im Referat Internationale Politikanalyse bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zugute kommt Guterres vor allem seine langjährige Erfahrung als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. Er kennt die Ausreden und Strategien der Mitgliedsstaaten, wenn diese ihre Verpflichtungen beispielsweise für Hilfen in Kriegs- und Krisenländern nicht einhalten.
Migration als größte Herausforderung der UN
In Guterres’ Amtszeit werden die weltweiten Migrationsbewegungen im Mittelpunkt stehen. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge sind derzeit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Jemen, Irak, die Ukraine – und immer wieder Syrien. Seit mehr als fünf Jahren tobt dort der Bürgerkrieg. Nach den verfahrenen Verhandlungen zwischen Russland und den USA scheint eine Lösung in weite Ferne zu rücken. „Diese Krise muss Guterres zuerst angehen“, sagt Papenfuß.
Von einem Versagen der Vereinten Nationen möchte die Politikwissenschaftlerin nicht sprechen. Ein ähnliches Forum, in dem die Staaten einen Ausweg aus der Gewaltspirale finden können, gebe es schließlich nicht. Beim Gipfeltreffen zu Migration und Flucht im September haben die UN vereinbart, bis 2018 zwei globale Übereinkünfte zu erarbeiten, um den Schutz der Menschen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu stärken.
Zu den wichtigsten Herausforderungen der Vereinten Nationen gehört die Förderung staatlicher Strukturen in Ländern, die nach jahrelangem Bürgerkrieg einen Neustart wagen müssen. Es geht um den Aufbau der Gerichtsbarkeit, um einen Polizeiapparat, um die Sicherheit in den Staaten. Aber auch um nachhaltige Bildungsprojekte, die die UN steuern. „Es geht darum, den Übergang von der Friedensmission zur Entwicklungshilfe zu schaffen“, sagt Papenfuß. Beispiele dafür sind Liberia, Sierra Leone, aber auch der Kongo. Angesichts der Krisen in der Welt müssen die UN die Weichen für den Wiederaufbau kriegsgeschüttelter Staaten und Regionen stellen. Auch hier muss Guterres eine Führungsrolle übernehmen.
Zusammenhang zwischen Klima und Flucht beleuchten
Es sind nicht nur Krieg und Gewalt, die die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben, sondern auch klimabedingte Veränderungen in der Region. Bei der Verleihung des Ehrenpreises des Deutschen Nachhaltigkeitspreises im vergangenen Jahr an Guterres verwies der Diplomat selbst auf die Verbindung zwischen durch den Klimawandel bedingten Naturereignissen und Konflikten und Bürgerkriegen. „Diese Zusammenhänge werden noch nicht ausreichend untersucht und beachtet“, sagte Guterres beim Kongress des 8. Deutschen Nachhaltigkeitstags, in dessen Rahmen die Auszeichnung stattfand.
Die Perspektive ändern, den Fokus verschieben – dafür muss der neue Generalsekretär auch Reformen innerhalb der Vereinten Nationen vorantreiben. Vorschläge für einen Umbau der UN-Strukturen hat der frühere Bundesumweltminister und ehemalige Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP, Klaus Töpfer vor wenigen Monaten vorgelegt. Das Papier mit dem Titel „The Future We Want – The United Nations We Need“ spricht sich für Strukturreformen aus, die ganzheitliche Politikansätze ermöglichen. Töpfer ist derzeit Ko-Vorsitzender der unabhängigen Beratergruppe des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC).
Der ehemalige UNEP-Chef und die Experten des ECOSOC-Rates wollen dem Thema Nachhaltigkeit mehr Gewicht verleihen. Einer der wichtigsten Vorschläge ist: Der Stellvertreter des UN-Generalsekretärs übernimmt die Koordination für die nachhaltige Entwicklung. Noch ist nicht bekannt, ob Guterres diesen Vorschlag umsetzen will.
Unterstützung für Reformkurs der Vereinten Nationen
Viele Nichtregierungsorganisationen unterstützen einen UN-Reformprozess. „Um weiterhin relevant, wirksam und verantwortlich agieren zu können, muss sich auch die UN verändern“, sagt Winnie Byanyima, Geschäftsführerin von Oxfam International. Sie bezeichnet Guterres‘ Job als eine der „herausforderndsten Aufgaben auf diesem Planeten“.
„Der neue Generalsekretär muss bereit sein, sich verstärkt der extremen sozialen Ungleichheit auf der Welt anzunehmen, die verhindert, dass sich Menschen aus Armut befreien, die wirtschaftliche Entwicklung hemmt und die Stabilität von Gesellschaften gefährdet“, sagt Byanyima. Auch sie drängt darauf, den Kampf gegen den Klimawandel zu verstärken. Ihr geht es um einen ambitionierten „Entwicklungspfad in eine kohlenstoffarme Zukunft“.
Mit dem Klimaabkommen von Paris und der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs), der UN-Nachhaltigkeitsziele, sind den Vereinten Nationen enorme Erfolge gelungen. Die Messlatte für den neuen Generalsekretär liegt also hoch. Doch genau diese Vereinbarungen können Guterres Orientierung für eine bessere Zusammenarbeit und neue Anstöße innerhalb der UN geben.