“Halfway through, but nowhere near – so wurde in New York der Weg der Weltgemeinschaft zu den Globalen Nachhaltigkeitszielen immer wieder zusammengefasst”, berichtet Kai Niebert, Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE), der Mitte Juli beim High Level Political Forum (HLPF) in New York dabei war: “Klar ist, es wird mehr als eng bis 2030.”
Es ist schon Halbzeit in der Agenda 2030. Vor acht Jahren nahm sich die Weltgemeinschaft vor, mit der Agenda 2030 und den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs), nicht nur ein menschenwürdiges Leben für alle zu ermöglichen, sondern auch die natürlichen Lebensgrundlagen, die es dafür braucht, dauerhaft zu bewahren. Große Ziele, die von den Vereinten Nationen im September 2015 gesetzt wurden und die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte von nachhaltiger Entwicklung vereinen sollen. Seither sind alle 193 Mitgliedsstaaten der UN aufgefordert, ihr Handeln danach auszurichten. Denn die 17 SDGs sind unteilbar, es müssen also nicht einige von manchen, sondern alle von allen erreicht werden.
Sieben Jahre haben wir noch vor uns. Ein guter Zeitpunkt also, um eine Zwischenbilanz zu ziehen – auch wenn schon vor dem Start des HLPF klar war, dass diese Zwischenbilanz mindestens ernüchternd sein wird. Denn zum einen haben die globalen Krisen der letzten Jahre die Welt auch in Sachen Nachhaltigkeit und Entwicklung zurückgeworfen, zum anderen tun die Staaten insgesamt nicht genug. Bei den meisten Nachhaltigkeitszielen gebe es bisher kaum Fortschritte, heißt es auch im Fortschrittsbericht des UNO-Generalsekretärs António Guterres. Auch Deutschland setzt sich daher für verstärkte nationale und internationale Anstrengungen ein, damit die Umsetzung der Agenda 2030 in der zweiten Halbzeit gelingen kann.
Eine Plattform für Dialog und Austausch
Beim HLPF in New York trafen sich also von 10.-19. Juli Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten und aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, um über die drängendsten Fragen zur Erreichung der SDGs zu sprechen. Es fanden eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Themenreviews statt – vor Ort aber auch virtuell. 39 Staaten legten außerdem ihre freiwilligen Fortschrittsberichte vor. Auf dem HLPF bleiben diese Berichte nicht im luftleeren Raum stehen, sondern können direkt von UN-Mitgliedsstaaten und der Zivilgesellschaft kommentiert werden. Den Nachhaltigkeitsberichten geht in der Regel ein einjähriger, umfassender gesellschaftlicher Konsultationsprozess mit Stakeholdern auf lokaler und nationaler Ebene voraus.
Das HLPF ist die wichtigste Plattform der Vereinten Nationen, um den Stand der einzelnen Staaten abzufragen, die Teilnehmer*innenzahlen waren in diesem Jahr wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Pandemie. Allerdings waren viele Delegationen, insbesondere aus Schwellen- und Entwicklungsländern, kleiner als vor der Pandemie. So waren die jeweils nationalen Stakeholder nicht so stark vertreten, wie es für einen ausreichenden globalen Austausch- und Lernprozess zwischen den Ländern notwendig wäre.
Insgesamt stand das HLPF unter dem sperrigen Titel „Beschleunigung der Erholung von Corona (COVID-19) und der vollständigen Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf allen Ebenen“. In diesem Rahmen wurden Maßnahmen und erfolgreiche Beispiele zur Überwindung der Pandemiefolgen vorgestellt. Denn auch wenn dieser gesundheitspolitische Ausnahmezustand weitgehend überstanden scheint, treten nun die ökonomischen Folgen und der Vertrauensverlust in den Vordergrund. Auch deshalb spitzt sich die Schuldensituation vieler Länder des globalen Südens weiter dramatisch zu.
Üblicherweise wird das Forum mit einer politischen Deklaration beendet, ein erster Entwurf liegt bereits vor und befindet sich weiter in der Verhandlung zwischen den UN-Mitgliedsstaaten. In diesem Jahr wird es die Deklaration aber erst nach dem SDG-Summit im September geben.
Die Themen für den SDG Summit
Nach dem HLPF steht fest, dass eines der großen Themen für den SDG-Summit die Finanzierung der nachhaltigen Transformation ist. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze forderte deshalb schon im Vorfeld bei der Deutschen Konferenz zur Agenda 2030 im Mai, wo die deutschen Positionen zum HLPF erarbeitet wurden, eine Reform der Weltbank. Diese müsse eine Transformationsbank werden, die neben der Bekämpfung von Hunger und Armut auch Lösungen für den Schutz von Klima und Natur vorantreiben kann.
Auch der RNE hat bereits eine Stellungnahme zur Reform der internationalen Finanzarchitektur veröffentlicht und war auf dem HLPF bei einer Veranstaltung zum SDG Summit und zum Zukunftsgipfel 2024 vertreten, wo Positionen dieser Stellungnahme diskutiert wurden. Der RNE hat sich insgesamt mit zwei eigenen Veranstaltungen und vielen Gesprächen in New York eingebracht, sagt Marc-Oliver Pahl, Generalsekretär des RNE. “Wichtig war mir dabei vor allem der Ausbau unserer Kooperationen mit afrikanischen Partnern, der Afrikanischen Union und dem African Peer Review Mechanism.“
Als Kontinent Verantwortung übernehmen
Eine Besonderheit auf dem diesjährigen HLPF war, dass die Europäische Union ihren ersten Voluntary Review, ihren ersten freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht, auf kontinentaler Ebene vorgetragen hat. Er war ein Appell an den Multilateralismus, der auf die Erfolge internationaler Kooperation hinwies, sowie auf die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung in Europa. Doch es ging auch um die externen Effekte des europäischen Konsums in anderen Weltregionen.
“Diese erstmalige, aber ehrliche und ambitionierte Bestandsaufnahme der EU war beeindruckend”, sagt Kai Niebert. Das „Team Europa“ habe der Weltgemeinschaft das Versprechen gegeben, die Transformation zu beschleunigen und dem Globalen Süden auf Augenhöhe die Hand zu reichen. “Als RNE werden wir mit unseren europäischen und internationalen Partnern alles dafür tun, dass wir 2030 ins Ziel kommen und Nachhaltigkeit Wirklichkeit wird.“
Ein weiteres Thema in New York ist und bleibt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Folgen für die Weltgemeinschaft. Vor allem in Bezug auf SDG 2, dem Ziel, Hunger zu beenden, hat dieser Krieg die Weltgemeinschaft zurückgeworfen, denn sowohl die Ukraine als auch Russland sind wichtige Exporteure für Nahrungsmittel, Dünger und Energie.
Die nötige Schlagkraft
Auch der neue Weltnachhaltigkeitsbericht 2023 (Global Sustainable Development Report, GSDR), der in seiner endgültigen Version auf dem SDG Summit veröffentlicht wird, war in zahlreichen Veranstaltungen Gegenstand der Debatten. Der RNE hat hierzu eine Veranstaltung mit Anwendungsbeispielen aus Belgien, Tansania, Finnland und Deutschland gestaltet, in denen kritisch diskutiert wurde, wie Nachhaltigkeitsberichte die nötige Schlagkraft entwickeln. Aber auch, wie integriertes Handeln in nationalen Governancestrukturen verankert werden kann. “Eine integrierte Betrachtung der 17 SDGs ermöglicht eine kohärente und zielgerichtete Umsetzung. Um die Agenda 2030 noch zu erreichen, brauchen wir diese ehrliche Einlassung für die Gestaltung der Transformationspfade“, sagt Hannah Janetschek, Leiterin für Nachhaltigkeitspolitik und Internationales beim RNE.
Mit vielen Inputs blickt die Weltgemeinschaft nun auf den SDG Summit im Herbst. Denn auch wenn noch viele Fragen offen sind, ist klar: Dieser Gipfel muss ein Startpunkt sein für eine Phase neuer Dringlichkeit. Denn die Weltgemeinschaft ist bisher nicht auf Kurs und 2030 ist nah.