Transformation „by design“ oder „by disaster“? Noch haben wir die Wahl, welchen Weg wir einschlagen, aber das Zeitfenster wird immer kleiner. So eindringlich mahnte die langjährige Bildung- und Forschungspolitikerin Ulla Burchardt, Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), ein Umdenken an, als sie mit einem Impulsvortrag das Themenforum “Innovationen für Nachhaltigkeit fördern! Sozial. Technologisch. Institutionell.” auf der RNE-Jahreskonferenz eröffnete. Ob und wie Innovation gelingt, ist entscheidend für die Nachhaltigkeitstransformation – aber auch für den Erfolg des „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“, der Bund-Länder-Initiative, die nur wenige Stunden zuvor auf derselben Veranstaltung offiziell an den Start gegangen war.
„Wenn wir fordern, den Turbogang für Innovation und Transformation einzulegen, ist das keine moralische und keine modische Frage. Es geht darum, so zu handeln, dass wirtschaftliche und soziale Verwerfungen vermieden werden, die unausweichliche Folgen der weiteren Zerstörungen unserer natürlichen Lebensgrundlage sind“, sagte Burchardt in ihrer Einleitung, in der sie unter anderem Einblick in die jüngste Stellungnahme des RNE zum Thema Innovationspolitik gab.
Weg von der Technologiefixierung
Schon „seit einiger Zeit“ mahne der Rat, dass die Anstrengungen nicht ausreichend sind, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und multiplen Krisen zu begegnen. Die Hauptbotschaft, so Burchardt, laute deshalb: „Wir brauchen eine Neuorientierung der Innovationspolitik.“ Sie forderte ein ganzheitliches Innovationsverständnis, weg von der Technologiefixierung, die immer noch Maßstab in den federführenden Ressorts sei: „Wir brauchen Systeminnovationen und andere Praktiken im Umgang mit Ressourcen und Menschen, neue Gewohnheiten und andere Konsummuster. Soziale, kulturelle und institutionelle Innovationen müssen den gleichen Stellenwert bekommen wie die technischen.“ Wichtig dabei: Alle Akteure sollen dabei mitgenommen und beteiligt werden. Denn wenn etwas Neues komme, müsse immer auch etwas Altes verschwinden. Dabei solle aber niemand auf der Strecke bleiben.
Der RNE plädiert deswegen für eine ganzheitliche und ressortübergreifende Innovationsstrategie, die beim Bundeskanzleramt aufgehängt ist und sich an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) orientiert. „Die Erarbeitung der Wasserstoffstrategie hat sechs Jahre gedauert. So lange haben die Ressorts die Details abgestimmt“, berichtete Burchardt. Angesichts der drängenden Zeit mache das deutlich: „Wir brauchen auch Innovationen in der Administration, nämlich eine Beschleunigung der Entscheidungen durch eine neue Kooperationskultur“, sagte sie.
Die Sache mit der Pommes-Gabel
Nora Griefahn, Vorständin und Mitgründerin der NGO Cradle to Cradle, prangerte an, dass die Akteure sich viel zu oft darauf fokussierten, „weniger schädlich“ zu werden, also zum Beispiel weniger Emissionen zu produzieren. „Solche Ziele führen uns nicht in eine innovative Zukunft“, sagte sie. „Warum fangen wir nicht an, uns andere Ziele zu setzen, uns also zu fragen, wie wir einen positiven Impact haben können?“ Gleichzeitig sei ein ganzheitliches Innovationsverständnis gefragt. Ein Beispiel: Derzeit schauten alle nur auf die Energiefrage. Die Folge: „Wir bauen Häuser mit Materialien, die nicht innovativ sind, und schaffen uns ein Riesen-Müllproblem.“
Ihr gehe es in ihrer Arbeit darum, Perspektiven aufzuzeigen, die bestenfalls skaliert werden könnten. Oft hat sie dabei mit politischen Hemmnissen zu kämpfen. Im Sommer etwa hat Cradle to Cradle im „Labor Tempelhof“ drei Konzerte der Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin mitorganisiert, mit dem Ziel, die Großveranstaltungen nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv zu gestalten. Nicht alles konnten sie umsetzen: Eine Pommes-Gabel aus einem biologisch abbaubaren Kunststoff zum Beispiel blieb Theorie. Wegen des Verbots für Einweg-Plastik – ob abbaubar oder nicht – fanden sich in ganz Europa keine Maschinen, auf denen die Gabel hätte hergestellt werden können. Ein weiteres Problem: „Für ein solches Projekt kriegt man nur Geld, wann man sagen kann, dass man vorher fünf Jahre Forschung dazu macht“, kritisierte die NGO-Vertreterin. So komme man aber nicht in die Umsetzung. Auch hierfür hatte sie ein weiteres Beispiel: „Das Gemeinschaftswerk wurde 2019 beschlossen, und geht jetzt drei Jahre später an den Start“, sagte sie. „Wir brauchen viel zu lang.“
Regionale Innovations-Ökosysteme fördern
Kai Gehring, der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag, erklärte, die Politik müsse im Transformationsprozess stärker Ziele vorgeben und mit Anreizen und gegebenenfalls mit Sanktionen auf deren Erreichung hinarbeiten. Eine solche politische Steuerung dürfe aber nicht „top-down“ greifen, sondern könne nur zusammen mit der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft gelingen. Es gelte, regionale Innovations-Ökosysteme zu schaffen. Die Nachhaltigkeits-Community, die Pioniere des Wandels in der Wissenschafts-Community, Fridays for Future, Scientists for Future und viele mehr könnten sich „für die gemeinschaftlichen Ziele unterhaken“.
Was braucht es, damit sich die Menschen für Innovation und Transformation engagieren, fragte Moderatorin Tanja Ferkau zum Schluss auch mit Blick auf das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. Wichtig sei es, die positiven Beispiele – etwa ein klimaneutraler Hochschul-Campus oder ein ressourcenpositives Konzert – besser sichtbar zu machen, damit sie nachgeahmt werden können, da war sich die Runde einig. Über eine lange Zeit habe man zwar an den Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gedacht, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Gehring, dabei aber die Gesellschaft vernachlässigt. Aber nur wenn man die „Best Practices“ in die Breite kriege, gelinge ein Kulturwandel. Klar war auch: Die Politik muss andere Rahmenbedingungen und Raum für Experimente schaffen. Ulla Burchardt rief die Wählerinnen und Wähler auf, eine solche Veränderung stärker von der Politik einzufordern: „Das ist auch eine Frage von Angebot und Nachfrage.“
Innovationspolitik für nachhaltige Entwicklung
Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung; Berlin, 30.05.2022