Im G20-Strategiepapier zu Afrika betont der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) die Partnerschaft auf Augenhöhe mit dem afrikanischen Kontinent. Was bedeutet dies konkret?
Das Wichtigste ist, dass die G20-Staaten nicht erzählen, wie die Afrikaner es zu machen hätten, sondern dass innerhalb einer gleichberechtigten Partnerschaft gearbeitet wird. Das heißt beispielsweise, dass die Afrikanische Union einen ständigen Sitz bei den G20-Treffen haben soll. Zudem sollten sich die Vorbereitungsstränge der G20 mit Afrika nicht nur auf die Entwicklungszusammenarbeit beschränken, sondern alle Politikfelder beinhalten.
Was erwarten Sie von den afrikanischen Staatenlenkern?
Afrika ist so vielgestaltig wie Europa zwischen Andorra und Norwegen. Die G20 wollen besonders mit den Staaten kooperieren, die sich zu verantwortungsvoller Regierungsführung bekennen und die an Investitionen interessiert sind. Wichtig ist, gemeinsame Prinzipien festzulegen. Dies gilt ganz konkret im Kampf gegen Korruption oder Steuerhinterziehung – auch für die G20-Staaten. Allein durch Steuervermeidungstricks entgehen Afrika jedes Jahr rund 50 Milliarden US-Dollar. Das ist ein schwerer Aderlass für die afrikanischen Länder.
Mit dem Strategiepapier will der RNE auch darauf aufmerksam machen, wie globale Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann. Welchen Schwerpunkt sehen Sie?
Wir brauchen unter anderem einen „Nachhaltigkeits-TÜV“ für internationale Organisationen. Dazu zählen etwa die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das sind alles internationale Organisationen, die genauso die UN-Nachhaltigkeitsziele erfüllen sollen wie die Staaten. Denn gerade ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf Afrika. Für den TÜV könnte sich eine Staatengruppe zusammenschließen, die Nachweise fordert, wie die UN-Nachhaltigkeitsziele von den Organisationen umgesetzt werden oder ob sie in Konflikt stehen. So darf etwa die Handelspolitik – und damit auch die Politik der WTO – nicht dem Ziel der Armutsbekämpfung widersprechen.
Die RNE-Empfehlungen an eine Partnerschaft der G20 mit Afrika konzentrieren sich auf die Politikbereiche Handel, Landwirtschaft, Energie, Infrastruktur und Gesundheit. Insbesondere die internationale Handelspolitik wirkt sich immens auf den globalen Süden aus. Wie kann Handelspolitik gerechter gestaltet werden?
Die G20 konzentrieren sich sehr stark auf die Frage der Investitionen. Aber bestimmte Abhängigkeiten lassen sich nur ändern, wenn sich auch die Handelspolitik gravierend ändert. Dazu gehört, dass die afrikanischen Märkte nicht zerstört werden. Ein Beispiel: Hühnerfleischreste werden aus Europa nach Afrika exportiert. Dies führt letztlich dazu, dass die gesamte landwirtschaftliche Produktion vor Ort kaputt geht. Es wäre ein Leichtes für die G20 zu sagen, dass solche Methoden nicht zulässig sind. Ein weiterer Punkt ist, den Zugang zu den europäischen oder den G20-Märkten zu erleichtern. Es müssen faire Möglichkeiten geschaffen werden, damit die afrikanischen Staaten ihr eigenes Einkommen erzielen können. Um dieses Ziel umzusetzen, muss vor allem die Europäische Union mitziehen. Zum Beispiel bei der Neugestaltung der Handelsbeziehungen auf Augenhöhe. Eine Prognose über die Haltung der USA ist mit der derzeitigen Administration unter Präsident Donald Trump nur schwer abzugeben.
Jobs, Jobs, Jobs – so lautet die Maxime der Bundesregierung, wenn es um den Kampf gegen Hunger und Armut besonders im ländlichen Raum auf dem afrikanischen Kontinent geht. Wie kann ein solcher Ansatz umgesetzt werden?
Hier sind konkrete Projekte mit den Staaten gefragt und auch eine gezielte Förderung von Frauen. Die Diskriminierung von Frauen zu beenden ist auch ein Ziel der Sustainable Development Goals (SDGs), der UN-Nachhaltigkeitsziele. Vor allem junge Frauen brauchen den Zugang zu Mitteln der Familienplanung und Bildungschancen, damit sie aus der Armut herausfinden.
In der Debatte um Unterstützung für die afrikanische Wirtschaft geht es immer wieder um Investitionen ausländischer Geldgeber. Wie kann man deutsche Firmen für Afrika begeistern?
Wichtig ist, dass man vor Ort in den Ländern ist und die Lage entsprechend einschätzen kann. Der Blick allein von außen reicht nicht aus, um in den afrikanischen Staaten wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Zudem muss man sich die Frage stellen, in welche Wirtschaftsbereiche investiert wird. Projekte mit Schwerpunkt auf Erneuerbare Energien sind zukunftsweisend für den afrikanischen Kontinent.
Derzeit herrscht in Ostafrika eine der schlimmsten Hungersnöte seit Jahren. Was erwarten Sie von der Staatengemeinschaft?
Vor allem unmittelbare Hilfe, damit kein Mensch verhungern muss. Die Gründe für die verheerende Hungersnot sind vielfältig. Der Klimawandel begünstigt Dürren – und damit Ernteausfälle. Und natürlich gibt es auch Fehler in Bezug auf die ländliche Entwicklung. Von heute auf morgen wird es hier keine Änderungen geben. Der Zugang zu sauberem Wasser, zu Energieeffizienz, ist eine zentrale Aufgabe. Ein weiterer Grund für die Hungerkatastrophe sind gewaltsame Konflikte, die die Menschen aus ihren Heimatländern vertreiben. Wenn die Welt so viel für Krisenprävention oder für den zivilen Friedensdienst ausgäbe wie für Rüstung, wäre die Welt – und damit auch Afrika – wohl ein besserer Ort.
war von 1998 bis 2009 Bundesentwicklungsministerin. Sie ist Vizepräsidentin der Freunde des Globalen Fonds Europa und Mitglied des Aufsichtsrates der International Partnership for Microbicides (IPM). Seit 2016 ist sie Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE).
Das Interview führte Hanna Gersmann.