Frithjof Rittberger ist Pastor und explizit kein Steuerexperte. Weil er aber der Meinung ist, in Deutschland brauche es wieder eine Diskussion darüber, wie das Steuersystem eine nachhaltige Entwicklung fördern kann, hat er eine Petition gestartet: Rittbergers nachhaltige Mehrwertsteuer-Reform stößt bei Experten auf ein geteiltes Echo, die grundsätzliche Idee finden sie aber richtig.
Frithjof Rittberger greift eine Idee auf, die seit Jahrzehnten immer wieder auf verschiedenen Ebenen diskutiert wird: Mehrwertsteuersätze so umzubauen, dass nachhaltige Produkte und Dienstleistungen besser gestellt werden. Dem 42-jährigen Pastor und Grünen-Mitglied aus Tübingen ist durchaus bewusst, dass sein Vorschlag nicht neu ist.
„Mir geht es darum, dass sich die politischen Akteure nicht durch traditionelle Lobbyverbände entmutigen lassen, sondern endlich ihre Möglichkeiten ernst nehmen“, sagt er. Er wolle im Sinne einer ökologisch-sozialen Verantwortung als Bürger eine Diskussion anregen.
Seine Idee sieht vor, dass nur noch Biolebensmittel und ökologisch-fair produzierte Kleidung und Produkte wie Recyclingpapier einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent unterliegen. Biofleisch und konventionelles Obst- und Gemüse soll mit 14, Fleisch mit 19 Prozent besteuert werden – weil die Fleischproduktion von immer mehr Verbrauchern kritisch gesehen werde. Auch ökologische Verkehrsmittel sollen besser gestellt werden.
Das Interessante ist, dass die Voraussetzungen zur Umsetzung derartiger Ideen auf vielen Ebenen gegeben sind – etwa auf europäischer. Das zeigt eine Analyse des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamtes vom April dieses Jahres.
In ihrem Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa forderte die EU-Kommission bereits im Jahr 2011, bis 2020 weniger Belastung auf den Faktor Arbeit und mehr Umweltbesteuerung – also eine ökologische Steuerreform. Das Umweltkommissariat erörterte bereits 2007 die Lenkungswirkung einer ökologischeren Mehrwertsteuer. Auch das Wuppertal Institut empfiehlt in seiner Analyse, die ermäßigte Mehrwertsteuer für Fleisch und Milchprodukte abzuschaffen, weil der hohe Verbrauch zu Umweltbelastungen führt.
Ökosteuern sind verpufft
Einer der Experten auf dem Gebiet ökologischer Steuern ist Damian Ludewig, bis April Geschäftsführer des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, jetzt im Beirat des FÄS. Seine Analysen zeigen, dass die 1998 von Rot-Grün ins Leben gerufene ökologische Steuerreform mittlerweile komplett verpufft ist.
Demnach finanzierte sich der deutsche Staat 2014 zu 63,4 Prozent durch Steuern und Abgaben auf Arbeit und nur zu 4,9 Prozent aus Umweltsteuern – letztere sind damit so niedrig wie 1998. Ein Grund dafür: Umweltsteuern werden nicht an die Inflation angepasst und sinken damit effektiv von Jahr zu Jahr.
„Die Mehrwertsteuer errechnet sich dagegen aus dem Preis eines Produktes und steigt mit der Inflation an“, erläutert Ludewig. Er sieht einen weiteren Vorteil im ökologischen Umbau der Mehrwertsteuer: Das Argument einer gefährdeten Wettbewerbsfähigkeit zieht nicht. Werden Produkte exportiert, fällt für sie die Mehrwertsteuer des Landes an, in dem sie verkauft werden. Der Satz in Deutschland ist egal.
„Natürlich gibt es bei der Mehrwertsteuer Reformbedarf, ich halte aber andere Baustellen für noch wichtiger“, sagt Ludewig. Priorität hat für ihn der Abbau umweltschädlicher Subventionen, wie etwa die niedrigeren Steuersätze für Dieseltreibstoffe, das Dienstwagenprivileg, die Industrieausnahmen bei Energiesteuern, auch die Einführung einer Besteuerung von Kerosin gehört für ihn dazu.
Als zweites, so Ludewig, müssten externe Kosten besser internalisiert werden – Produkte sollen also die Kosten, die der Allgemeinheit in Form von Umweltschäden aufgebürdet werden, auch widerspiegeln. Dazu brauche es aber zunächst eine höhere Besteuerung von CO2 und eine Ressourcen-Steuer.
Widerstand von Lobbygruppen
Im Endeffekt läuft es auf die Frage hinaus: Soll an der Quelle besteuert werden, also beim Einsatz von Primärrohstoffen und Energie, oder beim Endverbraucher? Beides würde Widerstände entsprechender Lobbygruppen hervorrufen. Auch für Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wäre eine nachhaltige Mehrwertsteuerreform deshalb nur eine von vielen nötigen Instrumenten für ein insgesamt nachhaltigeres Steuersystem – möglicherweise aber eines, das besonders schwer durchsetzbar wäre.
„Wenn Sie nach oben anpassen und die Mehrwertsteuer auf konventionelle Lebensmittel erhöhen, bringen sie die Verbraucher gegen sich auf. Wenn sie die Mehrwertsteuer nach unten anpassen beschwert sich der Finanzminister“, erklärt er beispielhaft. Haushaltsgeräte mit hohen Öko-Standards gesondert zu ermäßigen widerspreche EU-Recht, sagt Bach. Er erinnert daran, dass die Politik bisher selbst daran scheiterte, die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Schnittblumen oder Hundefutter abzuschaffen.
Rittberger sagt, er habe versucht, bei einigen Konflikten Kompromisse zu formulieren – etwa durch die Idee einer Einführung eines mittleren Satzes von 14 Prozent für konventionelle Lebensmittel, um die Belastung gerade für Geringverdiener in Grenzen zu halten. Sollte seine Petition mehr als 10.000 Unterschriften bekommen, würde er das als Erfolg verbuchen, ab 100.000 werde man ernst genommen, sagt er. Falls es nicht klappt? „Dann habe ich vielleicht dazu beigetragen, einige Dinge wieder denkbar zu machen“, hofft Rittberger.
Weiterführende Informationen
Petition für eine nachhaltige Mehrwertsteuer
MwSt nach Ressourceneffizienz, Analyse des Wuppertal-Instituts, 2015 [pdf, 727 KB]
Ressourceneffizienz und MwSt, Analyse des Wuppertal-Instituts, 2011 [pdf, 1,7 MB]
Ökologische Mehrwertsteuer in Europa, Analyse im Auftrag der EU-Kommission, 2007 [pdf, 113 KB]
Woher der Staat sein Geld bekommt, FÄS 2015 [pdf, 225 KB]
Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa, EU-Kommission, 2011 [pdf, 236 KB]