Der Bund und die deutschen Wirtschaftsverbände haben vereinbart, 500 Netzwerke zu gründen, in denen Unternehmen voneinander lernen, wie sie Energie effizienter einsetzen können. Der Initiator des Projekts, Eberhard Jochem, erklärt im Interview, warum Deutschland manchmal ein Entwicklungsland der Energieeffizienz ist. Jochem arbeitet am Fraunhofer ISI. In diesem Jahr erhielt er den B.A.U.M.-Umweltwissenschaftspreis.
Herr Jochem, ein zentraler Baustein der Energiewende ist die Effizienz. Zwischen 2000 und 2012 stieg die gerade mal um 0,5 Prozent im Jahr. Der Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch in Deutschland sank von 2000 bis 2013 von 180 auf 170 Gigajoule pro Jahr. Nicht gerade viel. Was ist da los?
Dafür gibt es eine Menge Gründe. Die geringe Effizienzsteigerung war unter anderem strukturell bedingt: die energieintensiven Industriezweige der Grundstoffproduktion stagnierten auf hohem Niveau. Diese Prozesse haben kaum Effizienz-Potentiale oder nur nach sehr langen Re-Investitionszeiten. Dadurch stagnieren die Effizienzgewinne der gesamten Industrie. Die Energiekosten für diese Produktionen sind in den letzten Jahren aufgrund der Befreiungen von Strom- und Energiesteuern und der EEG-Umlage nicht gestiegen.
Das heißt, es hat einfach Innovationsdruck gefehlt?
Das ist nicht unbedingt mangelnder Innovationsdruck. Energie-intensive Industrien haben eigene Abteilungen, die sich um das Thema Effizienz kümmern, allerdings häufig mit Fokus auf den Produktionsprozess, wie zum Beispiel bei einen Hochofen oder Cracker. Dort stehen Re-Investitionen erst nach Jahrzehnten an. Dafür bleibt viel unbeachtetes Potenzial in Querschnittstechniken ungenutzt, etwa bei Druckluft, Kälte, Ventilation, Pumpen, Kesselanlagen, Beleuchtung und Gebäudetechnik. Zudem entstehen etwa bei der Stahl- oder Ethylenproduktion enorme Mengen von Prozessabwärme, die ungenutzt bleiben. Hier müsste man ran.
Nun sollen unter der Verantwortung von 18 unterzeichnenden Wirtschaftsverbänden etwa 500 Energieeffizienz-Netzwerke mit etwa 6.000 Firmen entstehen, die voneinander lernen, wie Energiesparen funktioniert. Das soll fünf Millionen Tonnen CO2 bis 2020 einsparen – 0,6 Prozent des jährlichen deutschen Ausstoßes. Warum so bescheiden?
Die Industrie emittiert nur ein Drittel der CO2-Emissionen, der Rest entsteht durch die privaten Haushalte, den Verkehr, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen. Die Grundstoff-Industrie emittiert nochmals 60 Prozent des Drittels der Industrie. Hier kann man durch Effizienz nicht viel gewinnen. Bleiben also etwa 100 Millionen Tonnen für die Zielgruppe der Energieeffizienz-Netzwerke. Die verminderten fünf Millionen Tonnen CO2 binnen sechs Jahren sind also fünf Prozent. Ich finde, das ist ein echter Fortschritt.
Was ist eigentlich die zentrale Idee der Energieeffizienz-Netzwerke?
Ich habe die Idee der lernenden Energieeffizienz-Netzwerke 1999 in der Schweiz kennengelernt und ab 2002 auf Deutschland übertragen. Vor allem mittelständische Firmen und größere Unternehmen mit Energiekosten von einer halben bis zu 50 Millionen Euro vernetzen sich für einige Jahre, um Erfahrungen über Investitionen und organisatorische Maßnahmen bei der Energieeffizienz auszutauschen. Durch die Effizienz-Netzwerke können die Teilnehmer ihre Energiekosten um 2,1 Prozent im Jahr verringern. Nichtteilnehmer schaffen es in der Regel nicht einmal auf die Hälfte.
Sie waren auch lange Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung und haben dort die Effizienz-Netzwerk-Idee verfochten. Zehn Jahre später erklären Regierung und Wirtschaft, 500 solcher Netzwerke einzurichten. Überwiegt nun Freude oder Ärger, dass das so lang gedauert hat?
Wir haben bereits heute 60 solcher Netzwerke, bis 2017 könnten wir sie verfünffachen. Natürlich würde ich im Interesse der Wirtschaft mir wünschen, dass wir schneller sind, aber es ist ein guter Beginn. In der Schweiz ging die Vervielfältigung über die Befreiung von der CO2-Abgabe sehr schnell. Jetzt kann die Wirtschaft mal zeigen, ob es auch ohne Peitsche vergleichbar schnell geht.
Bereits im ersten Nationalen Energieeffizienz-Plan von 2007 schrieb das Bundeswirtschaftsministerium, das produzierende Gewerbe könne 352 Petajoule oder 13,9 Prozent seines Energieverbrauchs wirtschaftlich einsparen. Warum wird das Potential so langsam gehoben, obwohl es doch Geld spart?
Dafür gibt es ziemlich viele Gründe. Der wichtigste ist, dass 85 Prozent der Unternehmen in Deutschland ihre Entscheidung für eine Energieeffizienz-Investition allein nach der Amortisationszeit, einem Risiko-Maß, bestimmen; sie wollen ihr Kapital nach zwei bis drei Jahren wieder drin haben. Es macht aber keinen Sinn, sich gegen eine Investition mit 3,5 Jahren Amortisationszeit zu entscheiden, wenn eine Anlage zehn oder 15 Jahre läuft. Denn die Rentabilität, gemessen als interne Verzinsung des eingesetzten Kapitals, ist mit circa 30 Prozent blendend. Zudem haben oft die Energieverantwortlichen und die beratenden Ingenieure nicht ausreichend energietechnische Kenntnisse, und die Einkäufer geben der niedrigsten Investitionssumme den Zuschlag – mit vielleicht den höchsten Energiekosten, die im Angebot nicht ausgewiesen werden.
Sind wir ein Effizienz-Entwicklungsland?
Vielleicht manchmal. Mich hat überrascht, welche geringe Bedeutung zuweilen Hersteller von Maschinen und Anlagen der Energieeffizienz geben. Zuweilen kennen sie nicht einmal den Energieverbrauch ihrer eigenen Produkte.Oder sie verweigern, Anregungen ihrer Kunden zu effizienteren Lösungen aufzugreifen. Aber auch die Unternehmen als Energieanwender unterschätzen, wie motivierend Energiesparen für die Mitarbeiter intern sein kann, wenn sie das Gefühl bekommen, verantwortungsvoll gegenüber der Umwelt und ihren Kindern zu handeln.
Welche Rolle spielt die zögerliche Kreditvergabe der Banken, gerade an kleine- und mittelständische Unternehmen, bei Investitionen in Energieeffizienz?
Banken achten bei der Kreditvergabe an Unternehmen primär auf deren Bonität, und das muss auch so sein, weil Kredite an marode Betriebe ein hohes Risiko wären. Dennoch fehlt es auch hier am Wissen, dass ein Unternehmen zukunftsfähiger wird, wenn es bisher ungenutzte Energieeffizienzpotentiale realisiert. Das senkt schlicht die Kosten. Hier ist vor allem die Selbstorganisation der Wirtschaft gefragt. Verbände, IHK oder Handwerkskammern könnten mehr Information und Betriebs-Kurzbegehungen anbieten, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden wollen.
Die EU will bis 2030 die Energieeffizienz um 27 Prozent erhöhen, doch viele Experten halten höhere Ziele für wirtschaftlicher. Sie auch?
Natürlich hätte das Ziel etwas höher sein können. Hier verschenkt Europa wirtschaftliche Potentiale und schlichtweg Geld an das energieerzeugende Ausland. Das Problem ist, dass es in vielen Mitgliedsländern an dem Wissen fehlt, dass sich Effizienz unmittelbar rentiert.
Wenn Sie könnten, wie Sie wollten: Was würden Sie machen, um die Deutschen zum Energiesparen zu bewegen?
Das ist schwer zu beantworten, weil es sehr viele Punkte gibt, an die wir ran müssen. Ein wichtiger ist sicherlich: viel mehr berufliche Fortbildung und Beratung und weg von der Erwartung von einer Amortisationszeit von zwei, drei Jahren. Die deutsche Wirtschaft und die privaten Haushalte verschenken im Jahr mehrere Milliarden Euro, das müsste Argument genug sein.
Weiterführende Informationen
Nationale Energieeffizienz-Pläne
Daten zur Energieeffizienz in Deutschland, AG Energiebilanzen [PDF, 1,4 MB]
Vereinbarung zu Energieeffizienz-Netzwerken
Energieeffizienz-Potentiale im Mittelstand und ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung