„Egal, wie du heißt oder woher du kommst, wir schaffen Möglichkeiten, damit Du Deinen Bildungsweg gehen kannst!“ – „Es werden mehr Formate wie Bürgersprechstunden eingerichtet, damit Du Dich einbringen kannst und gehört wirst.“ – „Die Stadt, in der Du lebst, wird grüner, sozialer, netter.“ – Das sind Sätze, die in der Kommunikation zur nachhaltigen Entwicklung fehlen, in der Frage, wie sich Deutschland hin zum Guten wandeln kann. Zumindest für Jasmin Scholtbach.
Scholtbach – das Abitur liegt gerade hinter ihr, im Oktober beginnt sie ihr Medizinstudium – hat die Dialogfassung der Nachhaltigkeitsstrategie unter die Lupe genommen, zusammen mit anderen Jugendlichen. Sie alle fordern in einer Stellungnahme „positive Narrative“. Diese sollen zeigen, wie Lebensqualität und Wohlstand dazugewonnen werden können, wenn Deutschland Nachhaltigkeit ernst nimmt. Die Idee dahinter: Wem gesagt wird, was er am Ende bekommt, sieht den Wandel nicht nur als Verlust. Das kann eine Chance sein.
So sollen Bundes- und Landesregierung sowie Verbände zum Beispiel eine Kampagne für den ökologischen Handabdruck starten, erklären die Jugendlichen. Anders als auf den ökologischen Fußabdruck, der die Treibhausgasemissionen eines Menschen deutlich macht und umso größer ist, je höher diese ausfallen, lässt sich auf den Handabdruck durchaus stolz sein. Denn er zeigt, wie viel Emissionen schon eingespart wurden, also was jemand schon erreicht hat. Aber das ist nicht alles, was Scholtbach und ihre Mitstreitenden fordern.
Scholtbach ist Mitglied bei youpaN, einem Youth-Panel aus 30 jungen Menschen, das sich für die Bildung für nachhaltige Entwicklung einsetzt. Auch die anderen, die an der Stellungnahme beteiligt sind, engagieren sich seit längerem schon ehrenamtlich für die nachhaltige Entwicklung. Sie sitzen etwa in Jugendbeiräten von Ministerien wie dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Noch längst nicht alle Ministerien haben solche Formate, um die Stimmen Jüngerer zu hören, aber einige. Dazu kommen Organisationen wie Students for future. Scholtbach sagt: „Wir sprechen als jugendliche Vertreter, aber natürlich nicht für die Jugend schlechthin.“
Jugendliche = 10% der Bevölkerung
In Deutschland leben, so rechnet das Statistische Bundesamt vor, gut 8,3 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren, das sind rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei der Europawahl in diesem Juni entschieden sich viele der unter 25-Jährigen für die AfD. Erst im April hatte auch die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ gezeigt, dass die AfD mehr Anklang bei jungen Menschen findet.
Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School in Berlin und einer der Autoren der Studie, erklärte: „Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen.“ Ihr bereiteten die Inflation, teurer Wohnraum und mögliche Altersarmut Sorgen. Zudem fürchteten sie eine gesellschaftliche Spaltung. Obendrein fühlten sie sich gestresst, auch erschöpft und hilflos. Elf Prozent der gut 2.000 Befragten zwischen 14 und 29 Jahren befänden sich in psychischer Behandlung. Fazit der Studienmacher: Das Vertrauen, die persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen beeinflussen zu können, schwindet.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat die Frage, wie sich der gesellschaftliche Zusammenhalt sichern lässt, zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte gemacht. Myriam Rapior ist Mitglied im RNE und stellvertretene Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie kritisiert: „Von politischen Entscheidungsträger*innen wird aus der Nachhaltigkeit ein Lastthema gemacht anstatt sie als Chance für eine lebenswerte Zukunft zu sehen. An ihr gibt es keinen Weg vorbei.“
Innovativer Hebel Sport
Politiker*innen nähmen den Klimawandel nicht ernst genug, auch die Biodiversitätskrise nicht. „Wenn aber nichts vorangeht, führt das bei jungen Menschen häufig zur Desillusion, die Bereitschaft sich zu engagieren sinkt“, sagt Rapior. Das Gefühl: Es hilft ja doch nichts. Das habe auch mit der derzeitigen Erzählung zu tun, Ökologie sei zu teuer, und wer dazu aufrufe, mehr Gemüse als Fleisch zu essen, sei ein Spaßverderber. Rapior meint: „Warum machen wir nicht mehr Lust auf Nachhaltigkeit.“ Dazu sollten entscheidende, auch innovative Hebel identifiziert werden. Zum Beispiel: Sport. In Deutschland gibt es rund 225.000 Sportstätten. Dort könnten Fassaden und Dächer begrünt, Solaranlagen angebracht werden, durch die Leute vor Ort. Rapior ist an der Universität Hamburg Biodiversitätsmanagerin. Dort hat sie gerade erst eine Mitmachaktion zum Bauen von 150 Vogelhäusern für den Campus organisiert. Es seien mehr Leute gekommen als sie Material gehabt hätten.
Rapior will Jugendlichen Aktionsräume eröffnen, „selbst etwas zu tun und direkt zu sehen, dass es eine positive Wirkung hat, wenn Grün sprießt oder sich Vögel einnisten. Denn jede und jeder kann einen Unterschied machen.“ Engagement müsse auch viel stärker als bisher finanziell durch den Staat gefördert werden. Darüber hinaus müsse der Staat „Indikatoren schärfen und nachbessern, damit klar wird, welche Fortschritte in der Nachhaltigkeit gemacht werden. Das macht es glaubwürdiger.“
Reform der Schuldenbremse
Auch Scholtbach und die anderen jungen Menschen mahnen konkrete Finanzierungspläne in der Nachhaltigkeitsstrategie an. Sie schreiben, derzeit solle an „wichtigen Stellen gekürzt werden, wie z. B. bei sozialer Sicherung, Demokratiebildung, Vereinsarbeit und Engagement. Jedoch ist eine gegenteilige Bewegung notwendig. Sie lehnen zudem ein „Fortführen der Schuldenbremse, vermeintlich im Namen der jungen Menschen“ ab. Jeder Euro, der heute in den Klimaschutz investiert werde, mindere die Kosten für die Anpassung und Eindämmung der Erderhitzung.
Ähnlich sehen es der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) und seine Mitgliedsverbände z. B. die Naturfreundejugend, das Bundesjugendwerk der AWO und die Jugendfeuerwehr, die ebenfalls eine gemeinsame Stellungnahme zur Dialogfassung erarbeitet haben. Neben einer ernsthaften Reform der Schuldenbremse und dem Ausbau eines sozial gerechten Steuersystems fordern sie eine sozial gerechte Klimapolitik: „Eine gerechte Ausgestaltung der Klimapolitik ist erstens geboten und zweitens Grundlage für die Akzeptanz ihrer Maßnahmen.“ Die Einführung eines sozialgestaffelten Klimageldes für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen sei „richtig und wichtig“, könne jedoch nur der Einstieg in eine sozial-ökologisch gerechte Transformation darstellen.
Bis Ende Juli 2024 hatten sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen die Möglichkeit, die Dialogfassung online zu kommentieren und für Kommentare anderer Beteiligter abzustimmen. Die Neufassung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie soll Ende des Jahres beschlossen werden.