Mit einem Investitionsprogramm von 315 Milliarden Euro bis 2017 will die EU-Kommission helfen, die Wirtschaftskrise in Europa zu überwinden. Das Geld soll größtenteils aus der Wirtschaft kommen und fließe kaum in ökologisch und sozial sinnvolle Projekte, kritisieren Nachhaltigkeitsexperten.
Auch sechs Jahre nach Beginn der Wirtschaftskrise haben sich viele Staaten Europas wirtschaftlich noch nicht erholt. Obwohl sich der Arbeitsmarkt seit Mitte 2013 belebt, sind in der Europäischen Union (EU) nach jüngsten Zahlen immer noch 24 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind laut der EU-Statistikbehörde Eurostat vier bis acht Millionen mehr als in den Jahren vor der Rezession. In Griechenland ist jeder Vierte ohne Beschäftigung, in Spanien sieht es nicht viel besser aus.
„Meine erste Priorität als Kommissionspräsident gilt der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas und der Belebung der Investitionstätigkeit in Europa, um auf diese Weise neue Arbeitsplätze zu schaffen“, erklärte deshalb der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Als einen wichtigen Grund hat die Kommission die geringen Investitionen der Mitgliedsstaaten und Unternehmen ausgemacht. „Wir brauchen intelligentere Investitionen, mehr Zielgerichtetheit, weniger Regulierung und mehr Flexibilität bei der Nutzung der öffentlichen Mittel“, sagte Juncker. Auf diese Weise könnten zusätzliche öffentliche und private Investitionen mobilisiert werden.
Mindestens 315 Milliarden Euro sollen in den kommenden drei Jahren zusammenkommen, heißt es im Arbeitsprogramm der neuen EU-Kommission von Mitte Dezember. Aus dem EU-Haushalt soll jedoch nur ein sehr kleiner Anteil stammen: eine Kreditgarantie über 16 Milliarden Euro.
Weitere fünf Milliarden Euro sollen von der Europäischen Investitionsbank fließen, beschlossen Europas Staats- und Regierungschefs kurz vor der Weihnachtspause. Den Rest – so hofft man in Brüssel – werden die Mitgliedsstaaten aus ihren Haushalten als zusätzliche Ausgaben finanzieren und nicht zuletzt sollen das Programm und unternehmensfreundlichere Gesetze das Vertrauen der Privatwirtschaft stärken, sodass Unternehmen ihre Investitionen wieder hochfahren.
Aus 21 sollen 315 Milliarden werden
Schon gegenüber dieser Rechnung zeigen sich Kritiker allerdings skeptisch. „Wir befürchten, dass es schwer sein wird, aus 21 Milliarden Euro öffentlicher Gelder – hauptsächlich Garantien – Investitionen von 315 Milliarden Euro zu generieren“, teilte der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC mit. Selbst wenn die Summe zustande komme, gleiche sie nur 40 Prozent des Investitionsrückgangs seit Krisenbeginn aus. Folglich hält der Gewerkschaftsbund pro Jahr zusätzliche Investitionen in mehr als doppelter Höhe für nötig und das bis 2020, nicht nur bis 2017.
Zusätzliche Zweifel erweckt ein Blick auf die Liste der Projekte, die die Mitgliedsstaaten für förderungswürdig halten und die sie nach Brüssel gemeldet haben. Die ökologische und soziale Dimension von Nachhaltigkeit scheinen bei der Auswahl der Projekte noch weniger berücksichtigt worden zu sein als die wirtschaftliche. Neun Milliarden Euro für Autobahnen, drei Milliarden Euro für den Frankfurter Flughafen, aber kein Geld für die Schiene und kaum Mittel für die Vernetzung von Verkehrsträgern – da fällt das Urteil des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) negativ aus.
„Mit dieser Projektliste lassen sich die Klimaziele und die im Aktionsprogramm Klimaschutz aufgeführten Inhalte nicht erreichen. Von Nachhaltigkeit kann da nicht gesprochen werden“, sagt VCD-Referent Michael Müller-Görnert. Dabei könnten allein in Deutschland pro Jahr 50 Milliarden Euro für Investitionen in Nachhaltigkeit aufgebracht werden, wenn der Bund umweltschädliche Subventionen streiche.
Im sozialen Bereich fällt auf, dass die vorgesehenen Mittel mit 10,4 Milliarden Euro nicht einmal halb so hoch sind wie die Förderung, die in den Breitbandausbau fließen soll, für den der Bund 24 Milliarden Euro vorgesehen hat. Nach schnellem Internet und dem Verkehrssektor sind für die Energieinfrastruktur die dritthöchsten Investitionen vorgesehen: allein 13 Milliarden Euro für Offshore-Windparks und die dazugehörigen Leitungen und das zusätzlich zu den Milliardensummen, die Stromkunden bereits über Entgelte und Umlagen zahlen.
„Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll und notwendig ist, hier noch ein weiteres Förderinstrument in Anschlag zu bringen“, kritisiert Nikolas Wölfing, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Auch eine Milliarde Euro für den Bau einer europäischen Solarfabrik, die das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme mit Partnern aus Frankreich und der Schweiz plant, hält der Energieökonom für einen zweifelhaften Posten.
„Wieso findet sich kein privater Investor?“, fragt Wölfing kritisch. Investitionsförderung erscheine vor allem dort ökonomisch gerechtfertigt, wo Innovationen noch fern der Marktreife seien. Photovoltaik-Module werden jedoch längst in großen Mengen produziert, in Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung sind Solarparks gegenüber neuen fossilen Kraftwerken bereits wettbewerbsfähig.
IT-Sicherheit bleibt außen vor
Wölfing und seine Kollegen in Mannheim halten es sogar generell für fraglich, dass weitere kurzfristige Investitionen in den Energiebereich zusätzliche Wachstumsimpulse auslösen. „Für Investitionen im Rahmen eines Konjunkturpaketes erscheinen die hohe Kapitalintensität in fast allen Bereichen der Energieversorgung und die langen Investitionszyklen als ungeeignet“, analysiert der Forscher. Echte Beiträge zur Wettbewerbsfähigkeit Europas erwartet das ZEW dagegen von Investitionen in Technologien.
Intelligente Energienetze – sogenannte Smart Grids – könnten helfen, Strom aus den vielen dezentralen Ökostrom-Kraftwerken zeitgerecht an die Verbraucher zu liefern und so die Energiewende voranzubringen. Die Stadtwerke rechnen bis 2030 mit einem Investitionsbedarf von sieben Milliarden Euro, der derzeit von den Stromkunden nicht finanziert werde. Wölfing sieht bisher keine geeigneten Finanzierungsmechanismus für Smart Grids und hält deshalb ihre Förderung über das europäische Konjunkturprogramm für gerechtfertigt.
„Ein eng damit verbundenes Thema ist die IT-Sicherheit in der Energieversorgung. Es wird in letzter Zeit verstärkt deutlich, dass Angriffe über die IT auf die vernetzte Energieinfrastruktur möglich erscheinen und schwere Schäden herbeiführen könnten. Es wäre wünschenswert, wenn diese Themen verstärkt auf europäischer Ebene diskutiert und gefördert würden.”
Weiterführende Informationen
Pressemitteilung der EU-Kommission zum neuen Arbeitsprogramm
Beschluss des Europäischen Rates zum Europäischen Fonds für Strategische Investitionen
Statement der European Trade Union Confederation (ETUC)
Projektlisten zur Investitionsoffensive für Europa (Deutschland in Teil 1, S. 205-213)