Noch wird hart verhandelt und um jedes Detail gerungen, doch eine weitere Hürde zur Einführung der Finanztransaktionssteuer in einigen EU-Staaten scheint geschafft. Ihre Erlöse werden dringender denn je gebraucht, um den Kampf gegen Armut und Hunger in armen Ländern voranzutreiben.
In die Einführung einer Steuer auf Finanzprodukte kommt wieder Bewegung. Nachdem eine EU-weite Finanztransaktionssteuer vor allem am Widerstand Schwedens und Großbritanniens scheiterte, will eine Gruppe von elf EU-Staaten die Gebühr vorantreiben.
Nach monatelangen Verzögerungen meldeten Mitte September die Finanzminister Österreichs und Frankreichs eine Annäherung bei grundlegenden Regeln der Finanztransaktionssteuer in diesen Staaten an. Vertreter der Teilnehmerländer hätten sich grundsätzlich auf ein Modell verständigt, das so viele Finanzprodukte wie möglich bei einem niedrigen Satz erfassen solle, sagte der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling nach den Beratungen.
Im Kern geht es um eine breit angelegte Steuer, die möglichst viele Varianten an Wertpapieren einbezieht. Dazu gehören Aktien und Anleihen, aber auch Derivate wie Zertifikate und Optionen. Nur Staatsanleihen sollen ausgenommen werden. Geplant ist bisher eine Gebühr von 0,1 Prozent für Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent für Derivate. Allerdings wird bereits über eine Senkung der Steuersätze gesprochen.
Langer Weg bis zum Einsatz der Steuer
Österreich koordiniert die Verhandlungen um Details für die Steuer. Teilnehmer der 2013 beschlossenen sogenannten verstärkten Zusammenarbeit auf EU-Ebene sind neben Frankreich Deutschland, Belgien, Italien, Spanien und Griechenland. Auch Slowenien, die Slowakei, Estland und Portugal haben sich dem Vorhaben angeschlossen.
„Die Aussichten stehen sehr gut, dass es tatsächlich zu einer Einführung der Steuer kommt“, bewertet Dorothea Schäfer, Finanzmarktexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die derzeitigen Gespräche. Allerdings macht sich die Wissenschaftlerin keine Illusionen darüber, dass es bis zum Einsatz der Steuer noch ein weiter und langer Weg ist.
Schäfer geht davon aus, dass die entsprechenden Vorgaben frühestens 2017 in Kraft treten. Um die nötige Infrastruktur zu schaffen, sollen die Länder, die mit hohen Einnahmen rechnen können, Ausgleichszahlungen an die Staaten zahlen, die weniger Erlöse aus der Steuer zur Verfügung haben werden. „Jedes Land muss Investitionen tätigen, damit die Finanztransaktionssteuer überhaupt umgesetzt werden kann“, sagt Schäfer.
Die elf Staaten haben sich in wichtigen Punkten angenähert. „Doch viele Details zum Verfahren müssen noch geklärt werden“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Die Regierungen der Länder müssen etwa Instrumente entwickeln, wie die Steuer erfasst werden kann. Damit die Finanztransaktionssteuer tatsächlich eingeführt wird, müssen sich die teilnehmenden Staaten einstimmig auf Regeln einigen.
Geld soll in Flüchtlingshilfe fließen
Finanzexpertin Schäfer ist überzeugt, dass nach der Einführung der Steuer in den elf Staaten andere Länder nachziehen werden. Sie geht gar von einer „Sogwirkung“ aus, wenn klar wird, dass sich die Steuer lohnt und sich dadurch andere Finanzquellen auftun.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass die Staaten – mit Ausnahme Deutschlands – nach wie vor starke Finanzprobleme haben“, sagt Schäfer. „Die Haushalte sind unter anderem durch die Schuldenbremse eingeschränkt und brauchen dringend zusätzliche Einnahmen, um ihre fiskalische Stabilität wieder zu erreichen.“ Allein Österreich hofft auf Einnahmen in Höhe von 250 Millionen Euro pro Jahr.
Das Geld soll nicht nur den eigenen Haushalt stabilisieren. Auch die Idee der Finanztransaktionssteuer als „Steuer gegen Armut“ kommt stärker denn je zum Tragen. „Die Flüchtlingsströme zeigen uns eindeutig, dass die Staaten dringend mehr tun müssen, um kriegsbedrohte und unterentwickelte Staaten zu fördern“, sagt Schäfer. „Die Entwicklungshilfe muss aufgestockt werden. Dafür brauchen die Länder mehr Geld.“
Starker Widerstand aus dem Finanzsektor
Ähnlich sehen das Entwicklungsexperten. Für die Nichtregierungsorganisation Oxfam haben die Verantwortlichen der Weltwirtschaftskrise – nämlich Spekulanten und „Finanzjongleure“ – noch nicht für die Kosten der Krise bezahlt. „Die Steuerzahler in reichen Ländern und die Bevölkerung in armen Ländern tragen bislang die größte Last bei der Bewältigung der Krise“, heißt es bei Oxfam.
Allein mit den Gebühren, die aus in Deutschland registrierten Finanzprodukten fließen würden, könnten Kinder in den ärmsten Ländern der Welt eine Schulbildung finanziert, Millionen Menschen medizinische Versorgung gewährleistet oder Tausende Windräder für eine umweltfreundlichere Energieversorgung gebaut werden.
Zurückhaltender äußert sich der Sprecher aus dem Hause von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ohne ein konkretes Modell könnten keine Angaben über die Höhe der Einnahmen für den deutschen Bundeshaushalt gemacht werden. Zudem sei es zu früh, konkret zu sagen, wofür das Geld verwendet werde. Die Finanztransaktionssteuer müsse erst Schritt für Schritt umgesetzt werden. Auch zum Zeitplan, wann die Steuer kommt, wollte sich das Ministerium nicht äußern.
Der Widerstand gegen die Steuer ist nach wie vor in vielen Staaten hoch. Experten zufolge versuchen die einzelnen Akteure an den Börsen und im Wertpapierhandel ihre Macht und ihren politischen Einfluss geltend zu machen. „Auch geringere Steuersätze können den Widerstand kaum brechen“, vermutet Finanzexpertin Schäfer. „Wenn bei jeder Transaktion zusätzliche Kosten anfallen, lohnt sich das Geschäft für viele Hochfrequenzhändler nicht mehr.“
Nach lange festgefahrenen Verhandlungen geht es nun also in Trippelschritten vorwärts. Die nächste Verhandlungsrunde findet bereits im Oktober in Brüssel statt. Der österreichische Finanzminister Schelling hofft nicht nur auf konstruktive Gespräche, sondern auf konkrete Beschlüsse.
Weiterführende Informationen
EU-Informationen zur verstärkten Zusammenarbeit zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer
DIW-Studie zur Finanztransaktionssteuer [pdf, 1,5 MB]
Hintergrundpapier von Oxfam zur Steuer gegen Armut