„Bei Fahrradkurieren denken immer noch manche Menschen an so harte Hunde, die ohne jede Risikoscheu durch den New Yorker Verkehr rasen”, sagt Christoph Neimög und muss fast lachen: „Das ist natürlich Quatsch.” Neimög muss es wissen, denn er hat zusammen mit seiner Mitgründerin Juliane Borths vor drei Jahren in Rostock ein innovatives Kurier-Kollektiv gegründet, die „Cykelbude”. Nicht nur die Organisationsform ist innovativ, auch das Angebot. Zum einen legt das Team großen Wert auf Mitbestimmung und versucht, auf hierarchische Strukturen zu verzichten. „Und wir stellen uns als Gruppe so divers wie möglich auf”, sagt Neimög. „Wir streben ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis an und motivieren explizit nicht-männliche Personen, sich bei uns zu bewerben.
Zum anderen ist auch die Dienstleistung der „Cykelbude” zukunftsweisend, gerade erst wurde sie von den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeit (RENN) als Transformationsprojekt im Wettbewerb „Projekt Nachhaltigkeit 2021“ ausgezeichnet. Die Begründung: Der Kurierdienst etabliere „eine ökologisch-nachhaltige Warenlieferung für den Rostocker Innenstadteinzelhandel”. Das Besondere dabei: Der reine Fahrrad-Kurierdienst verfügt zusätzlich über zwei Lastenräder und beliefert Kundinnen und Kunden auf Wunsch noch am Tag der Bestellung. Die „Cykelbude” bietet also „eine emissionsfreie Same-Day-Delivery-Möglichkeit”, hob die Wettbewerbs-Jury heraus, und trage damit dazu bei, die so genannte „Last Mile” der Transportlogistik so emissionsfrei wie möglich zu gestalten. Diese letzten Meter im Transport verursachen sonst oft besonders viele Emissionen.
Mitstreitende gesucht
Die Idee dazu ist im Sommer 2019 entstanden. Christoph Neimög hatte da gerade einen neuen Job angetreten, auf Teilzeitbasis, und stellte fest, dass er noch einen Zuverdienst brauchte. Der heute 31-Jährige hatte 2018 den Rostocker Radentscheid mitgegründet, der sich für eine bessere Radinfrastruktur in der Stadt einsetzt. Ihm war schon länger aufgefallen, dass es hier keinen reinen Fahrrad-Kurierdienst gab – vielleicht würde er das ändern können? Allerdings: Was wäre, wenn er mal krank würde, oder in den Urlaub fahren wollte? Wäre es nicht besser, dass ganze gemeinsam mit anderen, als Kurierkollektiv, anzugehen? Also suchte er sich Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Heute kümmert er sich um die administrativen Aufgaben – Kundenakquise, Buchhaltung, Verwaltung –, deswegen bleibt ihm weniger Zeit auf dem Fahrrad. Seine inzwischen acht Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Nebenjob als Kuriere. 75 Prozent ihrer Fahrten sind ohne Lastenrad zu bewältigen, da passt die Fracht in den Rucksack des Fahrers oder der Fahrerin. Beim restlichen Viertel der Aufträge profitieren sie davon, dass die zwei Lastenräder der „Cykelbude” ganz besonders leicht sind. Sie wiegen gerade mal 18 Kilogramm: „Die kann man auch ganz gut mal eine Treppe rauf oder runter tragen, ohne sich einen Bruch zu heben”, sagt Niemög.
Wachsende Nachfrage
Das Bewusstsein für klimasparende Mobilität steige, sagt Neimög. So hat er sich zum Beispiel gefreut, dass die Stadt eine Ausschreibung für Dienstleistungsunternehmen, die Pässe für eine Gebühr zu den Bürgerinnen und Bürgern nach Hause bringt, auf Fahrrad-Kurierdienste beschränkt habe. Die „Cykelbude” hat die Ausschreibung gewonnen und liefert seit vergangenem Frühjahr diese Dokumente aus. Auch vegane Restaurants und ökologisch orientierte Geschäfte entscheiden sich gern für das klimaneutrale Angebot der „Cykelbude”. Derzeit sucht das Kollektiv gerade wieder nach Verstärkung, zwei weitere Teammitglieder werden gebraucht. Vermutlich nicht die letzte Vergrößerung: „Es gibt noch viele potentielle Kundinnen und Kunden, die wir überzeugen wollen, aufs eigene Auto zu verzichten und stattdessen uns ihre Ware transportieren zu lassen”, sagt Neimög. „Wenn man die Gesamtkosten betrachtet, ist das einfach auch günstiger.”