Kommunen sind zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stehen aktuell aber von vielen Seiten unter Druck. Inflation, Ungleichheiten, Mangel an Begegnungsräumen und Überforderung mit gesellschaftlicher Vielfalt polarisieren zunehmend die Gesellschaft. Das Vertrauen in lokale Institutionen und damit den Staat, diese Herausforderungen bewältigen zu können, sinkt. Das wiederum bedeutet eine Gefahr für das Gelingen der Nachhaltigkeitstransformation.
Im Rahmen der 23. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 8.10. hat ein sechsköpfiges Expert*innenpanel aus Politik, Zivilgesellschaft, Industrie und Wissenschaft diskutiert, wie Kommunen zu Orten für alle und zu Motoren des gesellschaftlichen Zusammenhalts werden können.Zur Debatte standen die Empfehlungen, die der RNE in einer Stellungnahme im Juni formuliert hatte.
Diskutiert wurde dabei in Anlehnung an das „Unbubble“-Format nach dem Vorbild der ZDF-Sendung „13 Fragen“. Dabei bewegen sich die Teilnehmenden auf einem Spielfeld, unterschiedliche Meinungen werden nach dem Motto „Raus aus der eigenen Blase“ in einem konstruktiven Austausch zusammengebracht. Die Expert*innen kamen sich bei einigen Fragen auf dem Spielfeld näher, bei anderen nicht. Am Ende standen keine eindeutigen Antworten, aber es wurde deutlich, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt und letztendlich die Transformation mit einer guten Finanzierung stehen und fallen.
Gemeinschaft braucht Geld
So verortet der RNE in der mangelnden Finanzausstattung der Kommunen das größte Problem, um die Transformation zu erreichen. Bei dieser These herrschte große Einigkeit auf dem Panel. Kommunen müssten sehr viele zusätzliche Aufgaben bewältigen, weiß RNE-Mitglied Katja Dörner aus ihrem Alltag als Oberbürgermeisterin von Bonn. Neben Klimainvestitionen kämen auch gesellschaftliche Herausforderungen wie die Integration von Geflüchteten auf die Kommunen zu. „Auf kommunaler Ebene wird staatliches Agieren unmittelbar erfahrbar. Wenn Services funktionieren, dann wird der Staat als bürgerfreundlich erfahren, was zentral für Zustimmung zur Demokratie ist“, so Dörner. Die mangelnde Finanzausstattung der Kommunen gehe daher an den Kern der demokratischen Gesellschaft.
Tanja Gönner, RNE-Mitglied und Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) warf ein, dass mehr Geld wichtig sei, aber auch, woher es komme und wofür es verwendet werde. Gönner strich die Komplexität in den Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen hervor. Ein Nachdenken über die Verteilung der Aufgaben im Staat sei aus ihrer Sicht erforderlich.
Flexibles Transformationsbudget statt starrer Fördermittel und Projektitis
Umstrittener war der RNE-Vorschlag, Transformationsbudgets für die Kommunen aufzusetzen, angelehnt an eine Idee des Deutschen Städtetages. So ein wirkungsorientiertes, festes Budget könnte die jetzige kleinteilige Fördermittelfinanzierung ersetzen. Kommunen würden von Bund und Ländern ein Budget für Transformationsaufgaben wie den kommunalen Klimaschutz bekommen. Am Ende werde geprüft, wofür es ausgegeben wurde und ob die erwünschten Wirkungen, etwa die Reduktion von Treibhausgasemissionen, eingetreten seien. „Es gilt, aus dieser Projektitis, also der befristeten Förderung rauszukommen“, so Anne van Rießen, Professorin für Methoden sozialer Arbeit an der Hochschule Düsseldorf. Aus der kommunalen Perspektive erhofft sich die Bonner Oberbürgermeisterin Dörner viel von solchen Transformationsbudgets. Dabei sei es unabdingbar, neue politische Instrumente und Ansätze auszuprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass etwas mal nicht klappe. „Das funktioniert mit einem flexibleren Finanzsystem im Rahmen so eines Transformationsbudgets viel besser,“ so Dörner.
Reem Alabali-Radovan, Staatsministerin beim Bundeskanzler und Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration haderte hingegen mit dieser Idee: „Wir haben leider die Situation, dass in Kommunen auch gewählte Vertreter*innen sitzen, die zum Beispiel Klimaleugner sind oder gegen Demokratie oder Integration. Eng geschnittene Bundesförderprogramme sind da sehr wichtig, weil sie klar vorgeben, was gemacht werden soll.“ Dieser Argumentation wollte Tanja Gönner vom BDI allerdings nicht folgen; sie stellte die Frage, ob es nicht besser sei, auf Vertrauen in die große Mehrheit zu setzen.
Aus Sicht von Sandra Weeser, FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen sei ein komplett neues Finanzierungsmodell kurzfristig nicht umsetzbar. „Die Kommunen brauchen aber jetzt viel Geld“, betonte Weeser. Die Frage sei daher, was kurz- bis mittelfristig helfen könnte. Für Marina Weisband, Publizistin und Gründerin des Aula-Projekts, geht dieser Vorschlag – Transformationsbudgets, über die die Kommunen entscheiden – nicht weit genug. Sie plädiert für eine Weiterentwicklung des Steuermodells nach Schweizer Vorbild. Dabei würde sichtbar, wie Steuern anteilsweise auf die verschiedenen staatlichen Ebenen verteilt würden – inklusive der Städte und Gemeinden. Damit wären mehr Transparenz, weitergehende Mitgestaltungsmöglichkeit und Identifikation mit den Entscheidungen vor Ort denkbar: „Ich möchte als Steuerzahlerin diese Form von Teilhabe haben. Wenn ich Selbstwirksamkeit fühle, dann sind mir Zumutungen viel leichter erklärbar und Demokratie für mich erlebbarer“, so Weisband.
Migrationsdebatte braucht Narrativwechsel
Der RNE stellt die These auf, dass das Thema Migration unter anderem deswegen so polarisiere, weil es in den Kommunen viele ungelöste Probleme wie etwa den Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder Probleme beim Öffentlichen Nahverkehr oder im Bildungsbereich gebe. Die Situation sei sehr komplex, so van Rießen. In Wirklichkeit gehe es hier nicht nur um Migration, sondern um eine Konkurrenzdebatte in der Gesellschaft, bei der verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt würden. Lokalpolitikerin Dörner wünscht sich, dass die Verantwortlichen tatsächliche Probleme lösen statt Pseudolösungen — etwa die Bezahlkarte für Geflüchtete — zu präsentieren, die den Kommunen nichts nützten. Eine Entlastung bringe dieses Instrument den Verwaltungen nämlich nicht.
Für Staatsministerin Alabali-Radovan ist beim Thema Migration ein Narrativwechsel dringend nötig. „Wir sind ein Einwanderungsland, wir werden eines bleiben und wir wollen es ja auch sein. Wir lösen diese Probleme in der Infrastruktur nur mit Migration“, so die Staatsministerin, die die aktuellen Debatten unsäglich findet, vor allem für Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die dieses Land seit Jahrzehnten mit vorantreiben.
Aufsuchende Kommunen als Lösung
Sollen die Kommunen die Bürger*innen stärker aufsuchen? In der Tat verhindern institutionelle Barrieren, dass Menschen sich beteiligen können, so van Rießen. Oft liegt es an den Lebensumständen oder fehlender Zeit, so die Wissenschaftlerin, die für mehr Beteiligungsprozesse plädiert. Um unterschiedliche Bürger*innen zu erreichen, hat die Stadt Bonn etwa ein Format eingeführt, bei dem Menschen nach repräsentativer Zufallsauswahl zu Beteiligungsveranstaltungen eingeladen werden.
Eher verhalten waren die Meinungen zu der These, ob Bürger*innenbeteiligung die Transformation beschleunigt. Während Alabali-Radovan die Mitwirkung von Bürger*innen an Politik grundsätzlich sehr befürwortet, ist sie skeptisch, was das Resultat angeht. Bei Integrationsräten sei oft zu beobachten, dass sich Menschen viel Zeit dafür nehmen und die erarbeiteten Ergebnisse dann durch die Politik lediglich zur Kenntnis genommen würden. „Ich halte Pseudo-Beteiligung für schlimmer als gar keine Beteiligung,“ ergänzte Weisband und erntete dafür heftigen Applaus aus dem Publikum. So werde nämlich nur Frust gestärkt.
Beteiligungsversprechen bergen Risiken
Der RNE rät, die Kommunen und Bürger*innen stärker finanziell an den Transformationen vor Ort zu beteiligen. Während für Dörner vor allem im Hinblick auf Windkraftprojekte diese Idee interessant ist, glaubt Weeser auf Grund der geringen finanziellen Erträge nicht, dass damit große Transformationsprozesse angestoßen werden können.
Gönner warnte davor, Erwartungshaltungen zu befeuern, die möglicherweise nicht erfüllt werden können. „An der Stelle müssen wir wahnsinnig aufpassen!“ Sie gibt zu bedenken, dass die Transformation zuerst finanziert werden muss, bevor sie möglicherweise in Zukunft Profit abwirft. „Die Frage, ab wann es sich rechnet, ist schwer zu beantworten, weswegen Dinge häufig nicht umgesetzt werden.“ Diese Diskussion müsse im Land noch geführt werden.