Städte und Gemeinden in Deutschland verfügen über eine große Marktmacht. Zwischen 60 und 300 Milliarden Euro geben sie jedes Jahr für neue Gebäude, Straßen oder Fahrzeuge aus, für Waren wie Büromaterial, IT-Ausrüstung, für Uniformen oder für Dienstleistungen. Eine Studie des Instituts für den öffentlichen Sektor sowie des Fachbereichs Supply Chain Management & Procurement der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG untersuchte erstmals, wie nachhaltig sie dabei vorgehen.
Soziale und ökologische Aspekte spielen bei öffentlichen Ausschreibungen eine immer größere Rolle, auch wenn die Wirtschaftlichkeit nach wie vor im Vordergrund steht. Zu diesem Schluss kommt die Studie “Kommunale Beschaffung im Umbruch”. „Soziale und ökologische Aspekte haben schon jetzt einen realen Einfluss darauf, welches Unternehmen in einer öffentlichen Vergabe den Zuschlag erhält“, sagt Ferdinand Schuster, Leiter des Instituts.
Das Potenzial ist nicht nur bei Städten und Gemeinden groß: Europaweit, so schätzte die EU 2010, kauft die öffentliche Hand pro Jahr Waren und Dienstleistungen im Wert von 2,4 Billionen Euro ein. Für Deutschland schwanken die Zahlen für Bund, Länder und Gemeinden zusammen zwischen 150 und 480 Milliarden Euro. Die Angaben sind oft Hochrechnungen: „Die öffentliche Hand, somit auch die Kommunalverwaltung, kann in der Regel ihr Beschaffungsvolumen nicht genau beziffern“, heißt es in der Studie. Pro Einwohner geben deutsche Kommunen und öffentliche Unternehmen rund 1000 Euro im Jahr für Beschaffungen aus, schätzt die KPMG.
„Wir erleben im Bereich der öffentlichen Beschaffung gerade einen historischen Umbruch“, sagt Schuster. Möglich machte das eine Novellierung der europäischen Vergaberichtlinien im Jahr 2004. Seitdem können öffentliche Stellen auch umwelt- und sozialpolitische Aspekte in eine Ausschreibung einbeziehen. Zuvor ging es nur um Qualität und das günstigste Angebot. Momentan arbeitet die EU an einer neuen Vergaberichtlinie, die 2014 von Parlament und Rat beschlossen werden soll. „Darin wird die nachhaltige Beschaffung nochmals gestärkt“, sagt Schuster. Die Richtlinie sieht nach bisherigen Entwürfen beispielsweise vor, dass die Lebenszykluskosten und nicht nur die Beschaffungskosten eines Produktes künftig als Maßstab für Wirtschaftlichkeit herangezogen werden können.
Mittlerweile sind ökologische und nachhaltige Kriterien bei Ausschreibungen fast überall in Deutschland Pflicht. „In den letzten Jahren haben alle Bundesländer, mit der Ausnahme von Bayern, ihr Landesrecht dementsprechend angepasst bzw. planen eine derartige Anpassung“, heißt es in der Studie. In den meisten Bundesländern gelten mittlerweile Mindestlöhne für Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten wollen, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen.
Die Hälfte der befragten Kommunen und 70 Prozent der Städte haben allerdings von sich aus entsprechende Ratsbeschlüsse gefasst. „Die sind sehr unterschiedlich. Manche beschließen schlicht, nur noch Recyclingpapier zu kaufen, andere fordern die Verwaltung auf, energieeffizienter zu arbeiten. Wichtig ist aber: Die Kommunen machen das nicht nur, weil sie dazu verpflichtet sind, sondern das aus eigenem Antrieb“, sagt Schuster. Sein Team hat bundesweit die Praxis in 37 Städten (unter 100.000 bis über 400.000 Einwohner) sowie in 19 Landkreisen ausgewertet und Interviews mit den Verantwortlichen geführt.
Die große Chance für die Kommunen liegt laut KPMG darin, Beschaffungsstellen zu „strategischen Managern“ zu machen: Dabei werden sie als „interne Innovationstreiber“ selbst aktiv, gehen etwa auf Verwaltungsstellen beratend zu, um beispielsweise Klimaschutz- oder Energiesparziele durch geeignete Beschaffungen umzusetzen. Bisher nehmen 28 Prozent der Kommunen nach eigenen Angaben die Rolle der Beschaffung entsprechend wahr, meistens sind die Stellen allerdings interne Dienstleister, die bei Bedarf neue Computer oder Schreibtische bestellen. Zu mehr fehlt es den Kommunen laut der Studie häufig an Personal und Fachwissen.
Probleme bereitet offenbar die zunehmende Komplexität des Themas nachhaltige Beschaffung: Welche Standards, welche Label, welche Zertifikate liegen einer Ausschreibung zugrunde? „Die Vorgaben des Landes Berlin zur Beschaffung eines Wasserkochers umfassen eine DIN A4-Seite“, sagt Schuster beispielhaft.
„Die Akten bei einer Vergabe werden auf jeden Fall dicker“, ergänzt er. Allerdings will er das nicht als Hinderungsgrund für eine nachhaltige Beschaffung verstanden wissen. Die Gesetze seien noch frisch, die Kommunen müssten zunächst Erfahrungen damit sammeln. Schuster sieht noch ein zweites Problem: Die Gesetze zur nachhaltigen Vergabe stammen meist von den Ländern, oft kommt es zu unterschiedlichen Auslegungen. „Ein einheitlicher Markt in Deutschland geht in gewissem Maß verloren“, sagt Schuster.
Am häufigsten orientieren sich Kommunen heute an bekannten Labels: Immerhin rund 77 Prozent der Kommunen berücksichtigen „immer“ oder „häufig“ Umweltstandards bei ihren Ausschreibungen und orientieren sich an Siegeln wie dem Blauen Engel oder Gütezeichen wie dem Energy Star oder dem Forest Stewardship Council. Ebenso viele Kommunen achten auf Sozialstandards wie Mindestlöhne, die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und sie setzen auf Produkte mit Fairtrade-Siegel.
Die Tendenz zu mehr sozialen und ökologischen Kriterien bei der Beschaffung hält Schuster für unumkehrbar und hält fest: „Eine einzelne Kommune zahlt vielleicht kurzfristig mehr, aber langfristig macht das volkswirtschaftlich Sinn, wenn Folgekosten etwa durch Umweltschäden vermieden werden“.
Weiterführende Informationen
Webseite zur Novellierung der EU-Vergaberichtlinie
PM zur EU-Novellierung der Vergaberichtlinie
„Kommunale Beschaffung im Umbruch“, KPMG-Studie, [pdf, 632 KB]
Kompetenzentrum innovative Beschaffung, Bundeswirtschaftsministerium