Die Vereinten Nationen warnen, dass der globale Verlust an fruchtbarem Land nicht nur ein Problem der Entwicklungs- und Flüchtlingspolitik ist. Es geht um Sicherheit. In vielen Konfliktgebieten gebe es einen Zusammenhang zwischen Wüstenausbreitung, Wassermangel, Hunger und damit Flucht und Krieg, heißt es in einer neuen Publikation. Die Nato sieht das genauso.
Das Sekretariat der UNCCD, das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung, hat in dem Bericht „Desertification: The Invisible Frontline“ (Desertifikation: Die unsichtbare Front) eindrückliche Zahlen zusammengetragen. So könnte in einigen afrikanischen Ländern der landwirtschaftliche Ertrag in den nächsten Jahren um 50 Prozent fallen. Möglicherweise leben bereits 2025 weltweit 2,4 Milliarden Menschen in Gebieten, die periodischer Wasserknappheit ausgesetzt sind.
Bis 2020 könnten demnach bis zu 60 Millionen Menschen gezwungen sein, von Desertifikation betroffene Gebiete in Subsahara-Afrika zu verlassen und nach Nordafrika oder Europa zu fliehen. Bis 2050 könnten sogar 200 Millionen Menschen wegen Umweltproblemen dauerhaft aus ihrer Heimat vertrieben werden. Manche Studien sehen bis zu 700 Millionen Umweltmigranten im Jahr 2050. Desertifikation ist nicht einfach die Ausbreitung von Wüsten, sondern eine Verschlechterung der Böden in ohnehin trockenen Gebieten, meist durch menschlichen Einfluss.
Mehrere UN-Vertreter haben nun dazu aufgerufen, den Kampf gegen die Desertifikation als Sicherheitsproblem zu begreifen, vor allem in Afrika. “Die Gefahren der Desertifikation hängen nirgends sonst so untrennbar mit Ernährungssicherheit und politischer- und wirtschaftlicher Stabilität zusammen wie in den Trockengebieten von Afrika“, teilte etwa Naoko Ishii mit, Vorsitzende der Global Environment Facility zur Finanzierung von Umweltprojekten.
Yukie Hori, Co-Autorin des jetzt veröffentlichten UNCCD-Berichts, sieht bereits Auswirkungen auf Europa: „In vielen Entwicklungsländern sind die Bedürfnisse von in Armut lebenden Menschen an die Verfügbarkeit von Land und natürlichen Ressourcen gebunden. Der Klimawandel verursacht zunehmend extreme Wetterereignisse, wie etwa anhaltende Dürre und flutartige Überschwemmungen“, sagt sie. Das beschleunige Desertifikation und vertreibe Menschen aus ihrer Heimat: für sie bestehe keine Zukunft in Gebieten, in denen sich immer mehr Menschen immer weniger Ressourcen teilen müssen.
Was ist Umweltmigration?
Infolgedessen siedeln sie in andere Gebiete wie etwa Europa über. Die ökonomischen Probleme vieler Wirtschaftsmigranten seien folglich auf Desertifikation zurückzuführen, sagt Hori. „In diesem Sinne sind sie als Umweltflüchtlinge zu betrachten.“ Diese Art von Umweltmigration wird zwar generell erforscht. Eine universelle Definition gebe es allerdings nicht. „Jeder benutzt andere Indikatoren, das macht es schwer“, sagt sie.
Die Zusammenhänge seien zwar einleuchtend, aber extrem schwer messbar, ergänzt Hori. Desertifikation ist ein sehr langsamer Prozess, auch wenn er sich heute über Dekaden hinweg gut beobachten lässt. „Daraus resultiert dann eine Verschlechterung der Böden, viele Familien verarmen und siedeln in andere Gebiete um. Dies bedeutet, dass Desertifikation eine unsichtbare Krise ist, die Gemeinschaften weltweit destabilisiert“, sagt Hori.
Besonders in Staaten mit schwachen Institution und schlechter Wirtschaft sind die Menschen den Problemen schutzlos ausgeliefert. „Zu versäumen, Desertifikation neben Klimawandel und Armut anzugehen, würde bedeuten Tür und Tor für politisches und wirtschaftliches Chaos zu öffnen“, mahnt Hori.
Der US-amerikanische Ökonom und UN-Sonderberater für die Millenniums-Entwicklungsziele, Jeffrey Sachs, schrieb bereits 2008 in seinem Bericht „Crisis in the Dryland“, über die Krisen in Ländern wie Irak, Pakistan, Somalia oder dem Sudan: „Die Wurzel der Krise in Ländern in Wüstenregionen ist nicht der Islam, sondern extreme Armut und Umweltzerstörung.“ Ein in diesem Zusammenhang oft genanntes Beispiel ist das Horn von Afrika mit Äthiopien und Somalia.
Seit 2009 gibt es dort in den Regenzeiten zu wenig Niederschlag. Die Ernten sind so niedrig, dass viele Bauern sich vom Saatgut für das nächste Jahr ernähren mussten. Im Oktober 2011 brauchten 12,4 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. In den folgenden Unruhen sind über 250.000 Menschen gestorben, Millionen mussten fliehen, viele nach Kenia oder Äthiopien. Somalia entwickelte sich zu Hochburg islamischer Terroristen, die Nachbarländer griffen schließlich militärisch ein.
Das Sicherheitsrisiko ist bekannt
Den Grundstein für die Diskussion legte 2007 der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen mit einem Gutachten zu den sicherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels. Seit November 2010 nennt die Nato in ihrer Sicherheitsstrategie Umweltrisiken und Klimawandel als relevant für die Sicherheitspolitik. 2011 erklärte der UN-Sicherheitsrat, der Klimawandel bedrohe den Weltfrieden.
Es gibt Lösungsansätze, die ebenfalls die UNCCD beschreibt. Seit 20 Jahren sammle man Erfahrung, wie Desertifikation zurückgedrängt werden kann. Über 250 Techniken nachhaltigen Landmanagements sind mittlerweile verfügbar. China beispielsweise hat mit einem Mix aus Aufforstung und Management von Landwirtschaft und Grundwasser 90 Millionen Hektar Land wieder nutzbar gemacht – das entspricht der doppelten Fläche Schwedens.
Im Niger hatten Frauen lange Zeit kein Recht, Bäume zu besitzen, selbst wenn sie auf dem Grund der Familie gepflanzt waren. Als die Regierung gesetzlich festlegte, dass Bäume denen gehören, die sie pflanzen, kam es in vielen Regionen zu Aufforstungen.
Wie aber lässt sich Desertifikation weltweit zurückdrängen? Ein Schritt, den Hori vorschlägt, ließe sich schnell umsetzen: Die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der UN, die derzeit verhandelt werden und ab 2015 gelten sollen, müssten Desertifikation als ein Kernproblem erfassen, fordert sie.
Weiterführende Informationen
Desertification: The Invisible Frontline, UNCCD-Bericht [pdf, 1,9 MB]
„Welt im Wandel“ Bericht des Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen [pdf, 21,1 MB]
Migration and Desertification, UNCCD-Broschüre [pdf, 1,1 MB]
Strategisches Konzept der NATO, 2010 [pdf, 413 KB]