Es war ein denkwürdiger Tag, an dem die Bewohner der Stadt Zürich ihre Zukunft besiegelt haben: Am 30. November 2008 haben sie mit einer 76-Prozent-Mehrheit zugestimmt, dass der Energieverbrauch bis zum Jahr 2050 auf 2000 Watt Leistung pro Kopf gesenkt werden soll. Der Wert liegt in der Schweiz derzeit bei 6000 Watt.
Die 2000-Watt-Gesellschaft ist seither in der Gemeindeordnung festgeschrieben. „Besonders ist aber vor allem, wie diese erreicht werden soll“, sagt die Ökonomin Angelika Zahrnt. Sie ist Ehrenvorsitzende des Umweltverbandes BUND, war einst Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und gilt als eine der wichtigsten Expertinnen in der Postwachstumsdebatte. Der politische Ansatz in Zürich ist für sie „vorbildlich“: „So sollte es auch in Deutschland laufen, um die nachhaltige Entwicklung voranzubringen.“
Die Züricher Stadtoberen erklären, dass sich die 2000-Watt-Gesellschaft nicht allein durch technischen Fortschritt und energieeffizientere Geräte machen lasse. Der Fortschritt führe nämlich zugleich zu dem bekannten Rebound-Effekt – die Effizienzsteigerung motiviert Verbraucher aufgrund von Kostensenkungen oft zu einem Mehr an Konsum. Häufig werden dann weitere und größere Geräte genutzt und die Einsparungen so teilweise wieder aufgehoben. Auch eine Umstellung auf Erneuerbare Energien helfe allein nicht. Es brauche, so die Stadt Zürich, „Suffizienz. Das heißt: weniger Energie, Material und Fläche verbrauchen und Ressourcen sparsamer nutzen“. Als eine der wenigen Städte weltweit verankert Zürich somit in seiner Politik die Frage, was das rechte Maß ist.
Landkarte Suffizienzpolitik soll helfen
Die Maßnahmen für die neue Genügsamkeit sind im Prinzip klar: Nachverdichtung in Städten, intelligente Verkehrskonzepte, bewusster Konsum. In Deutschland werde Suffizienz „bisher aber kaum konkret in politisches Handeln eingebracht“, meint Zahrnt. Es gebe viele Initiativen, um nachhaltiger zu leben. Jede sei für sich gut. Doch fehle die gemeinsame politische Schlagkraft, damit sich ein nachhaltiger Lebensstil auch verbreiten kann.
Eine ihrer Ideen: Repair Cafés könnten sich zum Beispiel zusammentun, um die Politik unter Druck zu setzen. Würden Garantiezeiten verlängert oder Siegel für Reparaturfähigkeit entwickelt, ändere sich auch Grundsätzliches. Es wäre ein Schritt raus aus der Wegwerfgesellschaft. Zahrnt glaubt, dass eine Repolitisierung einen Unterschied macht und die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft voranbringt. Sie will das jetzt fördern – mit der „Landkarte Suffizienzpolitik“ im Internet.
Diese hat sie zusammen mit Dominik Zahrnt von (r)evolutionäre ideen erarbeitet. Begleitet wird das Projekt vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Die Online-Fassung wurde durch eine Förderung der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung ermöglicht. Inhaltliche Grundlage ist das Buch „Damit gutes Leben einfacher wird – Perspektiven einer Suffizienzpolitik“, welches die Ökonomin gemeinsam mit Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal-Instituts, im Jahr 2013 veröffentlicht hat.
Aufzugtest üben
Das Online-Tool soll zivilgesellschaftlichen Gruppen und Politik helfen, ihr Engagement strategisch anzugehen und klar zu kommunizieren. Die Landkarte ist als Checkliste zu verstehen, wie sich aus einzelnen Projekten wie Repair Cafés oder Urban Gardening übergreifende politische Forderungen entwickeln lassen. Zunächst, sagt Zahrnt, gehe es etwa um Fragen wie: „Welche unterschiedlichen Initiativen gibt es in der Stadt? Wo sind die Verbündeten? Welche Gegenargumente können einem um die Ohren gehauen werden? Wie gehe ich damit um?“
Wer sich durch die Landkarte klickt, bekommt Ideen und Hilfestellungen, was sich wie machen lässt. Im „Argumentarium“ versteckt sich etwa ein „Aufzugtest“. Wie kann ich so schnell wie möglich, etwa im Lift vom ersten in den siebten Stock, Skeptiker von einer Idee überzeugen? Das ist eine beliebte Übung unter Managern. Ein Vorschlag von Zahrnt: Wem die Frage gestellt wird, warum Suffizienzpolitik gute Chancen haben soll, beginnt die Antwort darauf so: „Ein Kulturwandel zeichnet sich ab, der Wunsch nach Achtsamkeit und Entschleunigung nimmt zu.“
Zahrnt hofft, dass sich am Ende viele Leute gemeinsam einmischen etwa in Arbeitszeitpolitik, in Verbraucher- oder Verkehrspolitik: „Die Ausgangsbasis ist so gut wie nie zuvor.“ Peu à peu zeichne sich ab, dass eine bewusste Förderung von Suffizienz nötig sei.
Vor drei Jahren sprach bereits die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages von „Suffizienzpolitik“. Und das Bundesumweltministerium fordert von den sogenannten Masterplan-Kommunen, die beim Klimaschutz gefördert werden, „Suffizienzstrategien“.
Landkarte Suffizienzpolitik soll nachhaltige Entwicklung voranbringen
Effizienz allein reicht für eine nachhaltige Entwicklung nicht, meint die Ökonomin Angelika Zahrnt. Sie fordert eine Suffizienzpolitik nach dem Vorbild Zürichs. Ein Online-Tool soll dabei helfen, einen nachhaltigen Lebensstil zu verbreiten.