„Heute sagt keiner mehr, wir können so weitermachen wie bisher“, fasste Alexander Müller, Geschäftsführer von TMG ThinkTank for Sustainability und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), die Debatte rund um die Zukunft der Landwirtschaft am Ende zusammen. Mittlerweile seien die Probleme jedem bekannt. Häufig gebe es bereits vielversprechende Handlungsansätze, aber die reichten noch nicht aus: „Nur in der Auseinandersetzung, in einem Streit um die besseren Lösungen werden wir weiter vorwärtskommen.“
Eine solche Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Sichtweisen hatte zuvor auf dem von ihm moderierten Podium auf der RNE-Jahreskonferenz stattgefunden. Über die Leitfrage „Wie geht eine lebendige natürliche Landwirtschaft?“ hatten Alexandra Brand, Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Syngenta, der Politikberater Franz-Theo Gottwald von der Schweisfurt-Stiftung, Christian Hiß, Gründer der Regionalwert AG, und die Studentin und Jungbäuerin Lena Jacobi diskutiert.
Teil des Problems oder Teil der Lösung?
Es sage schon viel aus, dass es im Kabinett der Bundesregierung eine Ministerin gebe, die zuständig für das eine Thema, die Umwelt, sei, während eine andere sich um die Landwirtschaft kümmere, hatte Ulrich Schraml, Leiter der Abteilung Wald und Gesellschaft an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg und RNE-Mitglied, in seinem Eingangsstatement gesagt. Alexander Müller ergänzte, es gebe zwei Sichtweisen: Aus der einen Ecke betrachtet sei die Landwirtschaft Teil des Problems, verantwortlich für schwindende Biodiversität und Hunger auf der einen Seite und für Verschwendung auf der anderen. Die Gegenposition sehe Landwirtschaft auch als Teil einer Lösung, die am Ende ein besseres Leben für alle ermöglichen könne. Weltweit würden 600 Milliarden US Dollar im Jahr für die Landwirtschaft ausgegeben – die Frage sei, ob diese Ausgaben gut für die Umwelt seien oder ihr schadeten.
Lena Jacobi wies darauf hin, dass sich die niedrigen Erzeugerpreise und der gesellschaftliche Druck auch in einem rasanten Höfesterben niederschlage: „Da geht viel verloren, was Bäuerlichkeit ausmacht“, sagte die Jungbäuerin. „Wir dürfen nicht nur auf ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit setzen, sondern müssen auch auf die soziale Nachhaltigkeit achten.“ Für die Landwirte sei es eine große Herausforderung, neben ihrer eigentlichen Arbeit auch immer noch um die gesellschaftliche Akzeptanz kämpfen zu müssen.
Nachhaltigkeitsaspekte müssen einberechnet werden
Christian Hiß, Sohn eines der ersten Bio-Landwirte Deutschlands und Gründer der Regionalwert AG, die mithilfe von Bürgeraktien in regionale Betriebe entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette investiert, wies darauf hin, dass es immer auch um die Frage gehen müsse, was uns unsere Lebensmittel eigentlich wert seien: „Wir rechnen nicht richtig, wir bilanzieren falsch“, sagte er. „Wenn wir richtig rechnen würden, hätten wir eine andere Wirtschaft. Nachhaltigkeitsaspekte müssen in die Bilanzen der Betriebe mit rein.“
Erste Anzeichen eines Umdenkens zeigen sich aber auch schon auf Industrieseite. Syngenta-Vertreterin Brand hat erkannt: „Wenn wir als Unternehmen nicht darauf reagieren, was unsere Kunden und die Landwirte wollen, werden wir Marktanteile verlieren.“ Früher sei unter Nachhaltigkeit Flächenproduktivität verstanden worden, aber heute reiche Rentabilität als alleinige Zielgröße nicht mehr aus. Biodiversität sei zum Beispiel ein wichtiges Kriterium, das heute mitberücksichtigt werden müsse. Jahrzehntelang habe in der Forschung die Philosophie gegolten, Lösungen zu finden, die für alle anwendbar seien: „Von dieser One-Size-fits-all-Herangehensweise verabschieden wir uns, wir müssen diversifizieren“, sagte sie. „Diese Transformation durchlaufen wir gerade als Unternehmen.“ Politikberater Gottwald betonte erfreut, er habe bisher noch nie „aus einem Industriemund gehört, dass es eine Philosophie der Diversifizierung brauche“.
Wie es genau weitergehen kann auf dem Weg in eine natürliche Landwirtschaft, was konkret getan werden muss, diese Lösung konnte auch die Runde der Diskutanten auf der RNE-Jahreskonferenz nicht liefern: „Wir sind uns schnell einig, dass alles besser werden muss“, sagte Gottwald. „Aber die Frage bleibt, welche Schritte die richtigen sind.“