Er werde „derzeit oft gefragt, wann Corona denn `vorbei sein wird´, und alles wieder zur Normalität zurückkehrt“, schreibt der Zukunftsforscher Matthias Horx. Und weiter: „Meine Antwort: Niemals.“ Es gebe historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändere. Diese seien „jetzt“.
Und die Menschen würden sich wundern, wenn die Krise vorbei sei, was möglich geworden sei: Das viele „Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen“ sei plötzlich zu einem Halt gekommen. „Tele- und Videokonferenzen, gegen die sich die meisten Kollegen immer gewehrt hatten (der Business-Flieger war besser)“ hätten sich bewährt. Und alle hätten erfahren: „Nicht so sehr die Technik, sondern die Veränderung sozialer Verhaltensformen war das Entscheidende“. Wirklich?
Was meinen Bürgerinnen und Bürger? – Das soll sich jetzt mit dem „Logbuch der Veränderungen“ zeigen. Wie erleben sie die Pandemie, die das Leben enorm verändert hat, weil Flugzeuge am Boden bleiben, Restaurants geschlossen sind, hunderttausende Unternehmen Kurzarbeit angemeldet haben? Viele sind vor existenzielle Fragen gestellt, auch vor die von Leben und Tod.
„Ich fühle mich allein“
Im Logbuch kann, wer will, bis zum 24. Mai 2020 aufschreiben, wie sie oder er die Krise beobachten – „lieber kürzer und häufiger als nur ein Mal“, sagen die Macherinnen und Macher. Das ist ein Team um Benjamin Nölting von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE).
Nölting ist Professor für Nachhaltigkeitstransformation. Er sagt: „Es gibt jetzt Dinge, die vor Corona nicht für möglich gehalten wurden, wie weniger zu fliegen. Was könnte davon für die Zukunft von Bedeutung sein? Darum geht es.“ Jemand habe geschrieben: „Ich fühle mich allein, das nervt“, jemand anderes: „Ich schreibe jetzt wieder Briefe“.
Egal ob Familie oder Freizeit, ob Einkaufen („Für mich hat Essen einen noch höheren Stellenwert erhalten“) oder Mobilität („Der Lärm von Berlin ist kaum noch zu hören“) – Routinen fallen weg, das Soziale ändert sich, das Ökonomische ebenso. Auch Werte verschieben sich. In der Finanzkrise vor zehn Jahren seien es die Banker gewesen, die als systemrelevant galten, heute die Pflegerinnen und Pfleger, so Nölting. Er meint: „Es gibt ganz neue Diskussionen.“ Was soll, was kann bleiben? Die Frage treibt nicht nur Nölting um. Vorschläge und Denkanstöße gibt es viele.
Auf Wissenschaft hören
„Es ist wichtig in Krisen auf die Wissenschaft zu hören. Das gelte auch für die Klimakrise“, twitterte Grünen-Politiker Jürgen Trittin. SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze sprach sich dafür aus, bei den bevorstehenden Konjunkturpakten auf den Klimaschutz zu achten. Expertinnen und Experten machen Vorschläge, wie die Wirtschaft nach der Corona-Krise wiederbelebt und zukunftsfähig werden kann.
Die Klimaexperten des Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie etwa, die Professoren Manfred Fischedick und Uwe Schneidewind, fordern „Zukunftskunst“ und wirtschaftliche Hilfen „geschickt zu lenken“ und langfristig zum Beispiel die Stahlindustrie klimafreundlich umzubauen.
Ihre Kollegin, die Ökonomin Dorothea Schostok spielt in einem Diskussionsimpuls durch, was Corona konkret für die einzelnen 17 Nachhaltigkeitsziele bedeutet. Zu Ziel 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ etwa schreibt sie, es bleibe „die Forderung und Notwendigkeit, das Gesundheitssystem in Deutschland zu novellieren. Das müssen wir spätestens nach der Krise anpacken.“ Noch ein Beispiel: Da Ärzte allmählich eine höhere Sterblichkeitsrate bei Covid-19 mit Luftverschmutzung in Verbindung bringen, hofft sie im Hinblick auf Ziel 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“, dass Kommunen die EU-Vorgaben zur Luftqualität künftig ernster nehmen.
Von selbst wird das alles nicht gehen. Der Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft sei nach wie vor „eine Herausforderung“, die durch Wissenschaft und Bildungseinrichtungen begleitet werden müsse, erklärt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, DBU. So gebe es Zielkonflikte, etwa bei der Digitalisierung.
Zurück ins alte Leben?
Digitale Technologien können Durchbrüche zur Nachhaltigkeit bringen, der enorme Energieverbrauch von Serverparks und smarten Endgeräten zugleich aber auch Rückschritte. Die DBU spricht von „Nachhaltigkeitsdilemmata“ und von „Unsicherheiten“. Sie fördert jetzt Bildungs- und Kommunikationsprojekte, um damit einen besseren Umgang zu finden.
Die Ergebnisse, die Nölting und sein Team aus den Einträgen im Logbuch ziehen, sollen später im Jahr interaktiv diskutiert werden, zunächst mit jenen, die mitgemacht haben, dann aber auch mit vielen anderen.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Menschen am Ende nicht einfach nur wieder zurück wollen in ihr altes Leben? „Groß“, sagt Nölting, „sehr vielen Menschen ging es die letzten Jahre gut, so dass sie Angst haben etwas zu verlieren.“ Er glaube aber, es bleibe ein Knacks, ein Umdenken. Es zeige sich: „Veränderung ist nicht immer schlimm, sie kann auch etwas Befreiendes haben.“