Herr Dr. Bergmann, Madaster ist seit 2020 in Deutschland aktiv. Was ist Madaster eigentlich?
Dr. Patrick Bergmann: Madaster ist ein Kunstwort aus den Worten Material und dem niederländischen Wort für Kataster, dem Grundstücksverzeichnis – denn wir sind niederländischen Ursprungs. Wir dokumentieren Bauteile und Materialien in Gebäuden, geben den Materialien sozusagen eine Identität, damit sie nach Rückbau oder Sanierung wiederverwendet, statt einfach weggeworfen werden.
Welches Potenzial steckt im Gebäudesektor, um die Klimaziele zu erreichen?
Mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft im Baubereich könnten bis zu 60 Prozent der CO2-Emissionen gesenkt werden. Wenn wir ein ordentliches Baudesign haben, nicht viel kleben und mischen und die Eigentümer*innen dafür sorgen, dass diese Informationen nicht in Vergessenheit geraten und so rückgebaut wird, dass es wieder eingesetzt werden kann, dann sparen wir enorme Mengen an CO2 und auch Abfall. Der Bausektor ist für 60 Prozent der Abfälle verantwortlich.
Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Zirkularität in den Gebäudesektor zu bringen. Wie sieht das konkret aus?
Technisch ist es schon möglich, Bauteile und Materialien im Gebäudesektor wiederzuverwenden. Das Problem ist nur, dass Eigentümerinnen von Bestandsgebäuden meistens nicht wissen, was verbaut wurde, da diese Informationen mit der Zeit verloren gehen. Genau hier setzt Madaster an: Wir speichern die Infos, die in der Regel am Anfang Architektinnen haben, versehen sie mit Herstellerinformationen und laden das auf unsere Plattform hoch. Wenn das Gebäude verkauft wird, haben die neuen Eigentümerinnen Zugang zu den Daten. So sorgen wir dafür, dass auch der oder die zehnte Eigentümerin die Informationen noch hat. Mit unserer Plattform können Architekt*innen außerdem auch verschiedene Varianten planen und in der frühen Planungsphase sehen, welche Variante die Beste im Sinne von Ökologie und Kreislaufwirtschaft ist. Sie sehen, welche Masse drinsteckt, wie zirkulär das Material ist, wieviel CO2-Emissionen in dem Gebäude stecken und wieviel das Material wert ist.
Sind die Eingaben mit Mehraufwand für Bauherren und Architekten verbunden?
In den Niederlanden planen Architekt*innen digital mit Building Information Modeling (BIM). Wir haben eine Schnittstelle zu BIM, sodass wir die Informationen, was verbaut wurde, per Knopfdruck direkt aus der Software ziehen können. Es ist also kein Mehraufwand. In Deutschland ist digitales Planen und Bauen allerdings – noch – nicht so verbreitet und standardisiert.
Welchen Anreiz haben Bauherrinnen, Madaster zu nutzen?
Der wichtigste Anreiz ist die Berichterstattung für die EU-Taxonomie, die künftig noch schärfer werden wird. Mit uns können Bauherrinnen die vier Indikatoren – Materialmenge, Zirkularität, Embodied Carbon, Rohstoff-Restwert – nachweisen und für alle ihre Gebäude aggregiert einsehen. Es ist empfehlenswert, die Informationen jetzt schon sehr einfach zu sammeln, als in der Zukunft mit viel Aufwand. Außerdem kann man auf der Plattform ablesen, welchen Wert das Material, etwa Aluminium oder Stahl, aktuell an der London Metal Exchange hat. Wenn Bauteile mit einem Preis versehen sind und Eigentümer*innen also sehen, die Wände sind zum Beispiel 500.000 Euro wert, werden sie sie nicht einfach wegwerfen.
Gebäude haben ein langes Leben. Wird Madaster seine Wirkung erst in vielen Jahren entfalten?
Die Mehrzahl der Gebäude im Madaster sind derzeit Bestandsgebäude, die jetzt oder in den kommenden Jahren umgebaut, kernsaniert oder rückgebaut werden. Darüber hinaus wird in Bürogebäuden der Innenbereich alle drei Jahre ausgetauscht. Die Materialien werden dort schon viel früher frei.
Wie viele Gebäude sind im Madaster verzeichnet?
In Deutschland sind etwa 1.000 Gebäude registriert, insgesamt haben wir 4.000 in sechs Ländern. Unser Ziel ist es in den kommenden Jahren 30.000 Gebäude aufzunehmen.
Wie kam es zur Gründung?
Madaster wurde 2017 vom deutschen Architekten Thomas Rau in den Niederlanden initiiert. Als wir angefangen haben, wurden wir im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020 mit etwa 2,5 Millionen Euro gefördert, um unsere Plattform aufzubauen. Thomas Rau befasste sich schon in seinem Buch „Material Matters“ mit der Frage wie wir mit Gebäuden und Materialien umgehen müssen, um unsere Erde nicht weiter auszubeuten und gleichzeitig die Klimaziele zu erreichen. Für uns ist klar, dass das nur mit einer echten Kreislaufwirtschaft funktioniert.
Madaster ist eine Stiftung. Welchen Hintergrund hat das?
Wir sind nicht profitorientiert, sondern sind in den Niederlanden als gemeinnützige Stiftung eingetragen, der auch die Plattform gehört. Die Stiftung hat sich dazu verpflichtet, auf das Ziel hinzuarbeiten, die Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Das hat auch viel mit Datenschutz und Datensicherheit zu tun: Als Stiftung ist es nicht möglich, dass wir von einem ausländischen Unternehmen gekauft werden. Die einzige „Exit-Strategie“ die wir uns vorstellen können: die Bundesregierung übernimmt uns und wir werden eine Art vorgelagerte Behörde.
Welche Vision hat Madaster?
Wir wollen, dass die Kreislaufwirtschaft tatsächlich umgesetzt wird. Unser Ziel ist, dass jedes Gebäude in Deutschland und letztendlich in Europa im Materialkataster registriert wird. Natürlich nützt der Materialkataster Privateigentümer*innen. Aber was wir eigentlich anstreben, ist eine Karte, die Gemeinden, Kommunen und ganzen Regionen eine aggregierte Übersicht über verbautes Material gibt. So können sie besser planen, wenn es frei wird und sehen, ob die Verordnungen so gestrickt sind, dass das anfallende Material auch wieder eingesetzt werden kann.
Projekt Nachhaltigkeit zeichnet die Madaster Foundation aus
Seit fünf Jahren zeichnet Projekt Nachhaltigkeit herausragende Initiativen und Projekte des Wandels in Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen aus, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Vergeben wird der Nachhaltigkeitspreis von den vier RENN (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) in Kooperation mit Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) unter dem Dach des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit.
Die Madaster Foundation wurde 2017 vom deutschen Architekten Thomas Rau in den Niederlanden gegründet. Es handelt sich um ein Katasterverzeichnis für Bauteile und Materialien in Gebäuden und Bauobjekten. Ziel ist es, über die Kenntnis der verbauten Materialien Aufschluss über deren Wiederverwendbarkeit und Wert zu erhalten und somit Abfallmengen und CO2-Emissionen im Bausektor deutlich zu reduzieren. Das Tool dafür ist eine Plattform, deren Entwicklung das EU-Forschungsprojekt Horizon2020 mit ca. 2,5 Millionen Euro gefördert hat. Die Plattform kann in den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Norwegen, Österreich und der Schweiz genutzt werden. Etwa 4.000 Gebäude sind derzeit registriert.