Der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert markiert einen Wendepunkt in der Geschichte: es beginnt die Zeit einer großen Beschleunigung, des Bevölkerungswachstums und eine Zeit, in der die Wissenschaft zu einer Kraft werden soll, um die Natur zu unterwerfen. So skizzierte Klaus Töpfer die Zeit, in der Hans Carl von Carlowitz lebte.
Von Carlowitz war Oberberghauptmann im kurfürstlichen Sachsen, das damals nur eine wichtige Aufgabe hatte: es musste mit dem Silberbergbau Geld verdienen. Dass sich von Carlowitz diesem Ziel unterordnete, zeige sein Lebenswerk, die Sylvicultura Oeconomica – ein im Kern ökonomisches Buch, in dem Begriffe wie Ökologie und Umwelt kaum vorkommen, in dem aber trotzdem der Gedanke der Nachhaltigkeit und die Vorsorge für künftige Generationen formuliert ist.
Von Carlowitz hat es dabei geschafft, so Töpfer, die Dimension der Zeit in seine Überlegungen einzubinden, indem er sich Gedanken über die Konsequenzen seines Handelns in der Zukunft machte. Er wollte zukünftige Generationen nicht belasten, um den eigenen Zielen nicht zu widersprechen – und gilt aufgrund dessen als Begründer des Nachhaltigkeitsgedankens.
Dieses Paradigma sei von der Forstwirtschaft stark genutzt, sonst aber nicht umfänglich beachtet worden. Die Missachtung dieser grundsätzlichen Denkweise ist für Töpfer die Ursache für eine Entwicklung mit weitreichenden Folgen: der Mensch habe zunächst die Natur entschlüsselt, sie damit beeinflussbar gemacht, durch seine Aktivitäten die Funktionsweisen des natürlichen Erdsystems tiefgreifend und unumkehrbar verändert und sei so zu einer quasi-geologischen Kraft geworden. Aus Sicht des Gründungsdirektors des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS ist es daher angemessen, diese Epoche als „Anthropozän“, als Zeitalter des Menschen zu bezeichnen.
Mit den Konsequenzen vorangegangener Entscheidungen umgehen
Eines habe sich seit von Carlowitz grundlegend geändert: war zu kursächsischen Zeiten noch die Abhängigkeit von der Natur bestimmend, so ist es heute die Abhängigkeit von den Konsequenzen vorangegangenen menschlichen Entscheidens. Töpfer nimmt drei Aspekte in den Blick, mit denen gegenwärtige Entwicklungen erklärt werden können und die einer nachhaltigen Entwicklung zuwider laufen.
Erstens stellt er fest, dass Entscheidungen zunehmend schneller durchgeführt werden müssen und „wir unter dem Diktat der Kurzfristigkeit leben“. Die Überlegung, welche Konsequenzen unser Tun mittel- und langfristig hat, käme zu kurz – damit steige die Wahrscheinlichkeit unbeachteter Nebenfolgen, die später von nachfolgenden Generationen aufgearbeitet werden müssten.
Zweitens kritisiert Töpfer, dass die Märkte den Zeittakt für Entscheidungen vorgeben und demokratische Institutionen ins Hintertreffen geraten. Dies führe dazu, dass sich der Staat aus der Sphäre der Wirtschaft zurückzieht, nicht mehr gestaltet sondern sich vermehrt darauf konzentriert, lediglich strafrechtlich zu intervenieren.
Drittens weist er auf die Dominanz der Technik in der Gesellschaft hin und beanstandet deren Herangehensweise, durch den Einsatz von Technologie entstandene Entwicklungen immer wieder durch den Einsatz anderer Technologien korrigieren zu wollen. Die Crux liege in der Abkopplung der Technik von der Ethik, aufgrund derer es unmöglich sei, Technik in den Dienst einer Art Fortschritt im Sinne der Nachhaltigkeit zu stellen.
Verantwortung übernehmen und Alternativen suchen
Aus Töpfers Sicht erwächst aus diesen Aspekten ein Sachzwang, der sich auf gegenwärtige Entscheidungen insofern auswirkt, als dass diese oft als alternativlos bezeichnet werden. Er sieht darin eine Pfadabhängigkeit, die gänzlich in der Verantwortung des Menschen liegt.
Daraus folgt für ihn: „Wenn der Mensch so viel Verantwortung hat durch die Konsequenzen vorangegangenen Tuns, dann ist es umso wichtiger, dass er sich in diese Verantwortung hereinbegibt.“ Töpfer sieht in der Dominanz des Menschen über die Natur und in der Epoche des Anthropozän keinen Freispruch – sondern die Verpflichtung, im Sinne von Carlowitz nach den Konsequenzen gegenwärtigen Handelns für die Zukunft zu fragen und diese in die Entscheidungen von heute einzubinden.
Um politisches Entscheiden von Sachzwängen zu lösen und vermeintlich Alternativloses wieder alternativ denken zu können, empfiehlt Töpfer drei Dinge: Erstens dürfe sich die Gesellschaft nicht mit dem Diktat der Kurzfristigkeit abgeben, sondern müsse Pfadabhängigkeiten erkennen und in Frage stellen. Dazu bedarf es einer Suche nach Alternativen, so Töpfer.
Zweitens müsse sich die hoheitliche Macht des Staates gegenüber privatwirtschaftlichen Kapitalinteressen wieder durchsetzen können. Nur so könne die Politik ihre Handlungsfähigkeit bewahren und die Märkte wieder in den Dienst der Menschen stellen. Drittens plädiert Töpfer dafür, die Ethik wieder mit der Technik zu verbinden – denn Technik sei keine nicht zu hinterfragende Größe. Dies sei daher keine Frage der Freiheit der Wissenschaft, sondern eine Frage der Verantwortung von Wissenschaft.
Damit stellen sich für Töpfer grundsätzliche Fragen, die auch für von Carlowitz drängend waren, als er sich um die Nachhaltigkeit des Silberbergbaus kümmerte. Im Zentrum, so zeigt Töpfer, stehen dabei die Suche nach Alternativen und die Berücksichtigung von Konsequenzen. Durch das Anthropozän ist das nicht weniger notwendig, „sondern mehr denn je gefragt“, bekräftigt Töpfer.