Für erneuerbare Energien werden viele Flächen benötigt, vor allem im ländlichen Raum. Je nach Region profitieren die Bürger vor Ort unterschiedlich stark von der Energiewende, haben Untersuchungen des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung. Im Interview erklärt der stellvertretende Institutsdirektor Timothy Moss, welche Faktoren die Teilhabe begünstigen.
Die Erneuerbare-Energien-Branche bezeichnet die Energiewende oft als „Bürgerprojekt“, von dem die Anwohner und die mittelständische Wirtschaft vor Ort profitieren. Stimmt das?
Timothy Moss: Nur zum Teil. Es gibt Statistiken, wonach die Hälfte der Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland einzelnen Bürgern oder Landwirten gehört. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Großbritannien ist das sehr viel, wo der Wert im Promillebereich liegt. Es ist auch tatsächlich so, dass bestimmte Vorzeigeregionen in Deutschland starke Eigeninitiative zeigen: mit Bürgerwindparks, Energiedörfern und Genossenschaften – ob bei Biomasse, Wind oder Solar. Aber man darf das nicht idealisieren.
Warum nicht?
Unsere ersten Recherchen deuten darauf hin, dass es regional deutliche Unterschiede gibt. Diese Art von Bürgerprojekten ist sehr stark in Bundesländern wie Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein”¦
”¦ wo es eine lange Anti-Atomkraft-Geschichte gibt und lokale Solar- und Windenergieinitiativen schon in den 80er-Jahren aufkamen.
Wenn man aber stärker nach Ostdeutschland schaut – nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo Windenergie eine große Rolle spielt – hat man einen sehr starken Ausbau von Erneuerbaren. Dort muss man hinterfragen, wie stark die Bürger involviert sind und ob sie etwas davon haben.
Ein Zwischenergebnis Ihrer Untersuchungen ist, dass vor allem wohlhabende Regionen von der Energiewende profitieren. Woran machen Sie das fest?
Unsere Vermutung ist, dass der Grad der Beteiligung tatsächlich mit den Einkommensverhältnissen zu tun hat. Meist sind nur Bürger in wohlhabenden Gemeinden in der Lage, in erneuerbare Energien zu investieren – sei es in die Solaranlage auf dem eigenen Dach oder in Genossenschaften. Wir sehen dagegen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, dass viele Investoren von außen kommen und die Bürger vor Ort relativ wenig von den erneuerbaren Energien haben. Der zweite Faktor ist die Selbstorganisation, also inwieweit es eine Tradition von bürgerschaftlichem Engagement gibt und Vorgängerprojekte, wo sich Bürger zusammengetan haben. In Ostdeutschland fehlt oft die Erfahrung mit zivilgesellschaftlichen Initiativen.
Aber Bürger haben doch viele Möglichkeiten, den Standort von Energieanlagen zu beeinflussen: durch Einwendungen im Planungsverfahren, Klagen vor Gericht oder Öffentlichkeitsarbeit von Bürgerinitiativen. Reicht das nicht aus?
Die Erfahrungen sind gemischt. Wir haben sowohl Fälle, wo Bürger gerne etwas mehr Einflussmöglichkeiten hätten auf die Gestaltung von erneuerbaren Energien. Aber wir haben natürlich auch eine ganze Menge von Initiativen gegen Windparks und auch Biogasanlagen. Allein in Brandenburg sind es inzwischen 47 Bürgerinitiativen gegen Windparks. Wenn man genauer hinschaut, wer dahintersteckt, sind es aber nicht unbedingt die alteingesessenen Bürger. Die Initiativen werden teilweise von Berlin aus von hochgebildeten Personen betrieben, die in Brandenburg ihren zweiten Wohnsitz haben oder die erst kürzlich in die Peripherie gezogen sind, weil sie ein ungestörtes Landschaftsbild schätzen. Diese Personen sind medial sehr wirksamInsofern muss man genauer differenzieren, ob sich Personen zu Wort melden, die sehr wenig Einnahmen haben und frustriert darüber sind, dass beispielsweise nur ein einzelner Landwirt durch Pachteinnahmen profitiert, oder ob es ein Auswärtiger ist, der rund um sein Wochenendhäuschen eine heile Landschaft sucht.
In Regionen wie Havelland-Fläming in Brandenburg gibt es aber auch Hunderte Privatpersonen, die Windparks befürworten. Wie lässt sich der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern lösen?
Konflikte entstehen nicht allein aufgrund divergierender Meinungen, sondern vor allem wenn Personen das Empfinden haben, dass ihre Sichtweisen in Entscheidungs- und Planungsprozessen nicht ausreichend Gehör finden. Wer erst über die Presse erfährt, dass ein Windpark in der eigenen Gemeinde geplant wird, reagiert in erster Linie gegen diese Bevormundung. Die Lösung muss heißen: Alle Betroffene frühzeitig in die Konzipierung und Planung des Ausbaus erneuerbarer Energien vor Ort einbeziehen, um die Vor- und Nachteile eines Vorhabens zu diskutieren und eine optimale Lösung für alle anzustreben. Besonders erfolgreich sind diejenigen Fälle, bei denen diese Interessen in eine gemeinsam getragene Strategie für die Energiewende einmünden, bei denen Kosten und Nutzen in der Gemeinde nach allgemeiner Wahrnehmung gerecht verteilt werden.
Das Interview führte Manuel Berkel.
Weiterführende Informationen
Überblick zur Forschung des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung
Forschungsprojekt Gemeinschaftsgutaspekte und räumliche Dimensionen der Energiewende
Forschungsprojekt Entwicklung eines integrierten Landmanagements durch nachhaltige Wasser- und Stoffnutzung in Nordostdeutschland
Grafik der Agentur für Erneuerbare Energien zu Eigentumsverhältnissen von Energieanlagen [PDF, 92 kB]
Stromerzeugung der Bundesländer aus erneuerbaren Energien
Atlas von Gemeinden mit innovativen Erneuerbare-Energien-Projekten
Energie- und Klimaschutzkonzept für die Region Havelland-Fläming [PDF, 1,4 MB]