Medien haben ihre Skepsis gegenüber dem Konzept der Nachhaltigkeit im vergangenen Jahrzehnt nur teilweise abgebaut, hat der Sozialwissenschaftler Friedrich Hagedorn vom Grimme Institut beobachtet. Noch wichtiger sei es inzwischen aber, den Lesern und Zuschauern überzeugende Beispiele für nachhaltiges Handeln aufzuzeigen. Hagedorn vertritt das Grimme Institut beim Runden Tisch der UN-Dekade Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Er leitet das Referat Medienbildung und hat den seit 2001 vergebenen Grimme Online Award entwickelt.
Herr Hagedorn, vor zehn Jahren haben Sie in einer Studie für den Rat für Nachhaltige Entwicklung geschrieben, dass zwar einzelne, engagierte Journalisten über Nachhaltigkeit berichten, es aber kein systematisches Bemühen gebe, die Berichterstattung über Nachhaltigkeit auszubauen. Hat sich das geändert?
Friedrich Hagedorn: Wenn man unter systematischem Bemühen eine institutionelle Verankerung in den Medieninstitutionen wie zum Beispiel Fernsehsendern versteht, dann würde ich sagen nein. Nach wie vor gibt es keinen ausgewiesenen Zuständigkeitsbereich für Nachhaltigkeit. Es ist allerdings schwierig abzugrenzen, was Nachhaltigkeitsthemen sind. Es ist ja eher eine Perspektive, unter der verschiedene Themen betrachtet werden. Diese Perspektive und damit konnotierte Themen sind aber dennoch immer stärker vertreten – vor allem Fragen des Klimawandels oder des Umgangs mit Ressourcen und Energie. Es gibt auch nicht mehr diese ausgeprägte Reserviertheit gegenüber dem Nachhaltigkeitsbegriff, auch wenn nach wie vor Vorbehalte existieren.
Welche Vorbehalte haben Medienschaffende denn gegenüber Nachhaltigkeit?
Es gab zum Beispiel kürzlich einen Artikel auf Spiegel online unter dem Titel Kommen Sie mir bloß nicht mit Nachhaltigkeit. Der zielt darauf ab, dass der Begriff zu diffus sei, um ihn sinnvoll benutzen zu können. Im Grunde gab es diesen Vorwurf auch schon vor zehn Jahren. Der Artikel argumentiert nun aber, dass viele Interessengruppen versuchen, den Nachhaltigkeitsbegriff zu instrumentalisieren. Für eine journalistische Anwendung sei er eigentlich unbrauchbar.
Wie sehen Sie das?
Ich denke, Nachhaltigkeit ist kein streng operationalisierbarer Begriff. Wenn wir analoge Wörter wie Gerechtigkeit, Demokratie und Verantwortung damit vergleichen, sind auch diese diffus und werden mit unterschiedlichsten Interessen belegt. Trotzdem würde kein Journalist sagen, er dürfe nicht mehr von Demokratie schreiben oder sich nicht mehr auf Gerechtigkeit beziehen. Diese Begriffe sind unbestritten. Das hat der Ausdruck Nachhaltigkeit im journalistischen Verständnis nach wie vor nicht geschafft, obwohl er inzwischen häufiger verwendet wird.
Manche im Nachhaltigkeitsdiskurs engagierte Institutionen wie die Leuphana-Universität sehen Mängel in der Qualifikation von Journalisten. In einer Studie aus dem vergangenen Herbst sprechen Wissenschaftler der Hochschule von „Überforderung und Wissensdefiziten“. In jeder größeren Redaktion gibt es aber doch Fachredakteure, die sich zum Beispiel mit Sozialpolitik, Energie oder Entwicklungshilfe beschäftigen.
Es mangelt meines Erachtens immer noch an einem interdisziplinären Blick. Politischer Journalismus hat mehr das soziale Gefüge im Blick, für ökologische Fragen sind stärker naturwissenschaftliche Redaktionen zuständig. Es fehlt an einem redaktionsübergreifenden Zugang. Mit Nachhaltigkeit ist ja gerade eine solche vernetzte Herangehensweise gemeint.
Kennen sie denn gute Beispiele? In den vergangenen Jahren sind neue Angebote wie das Internetportal WiWo Green oder die Zeitschrift enorm entstanden.
Im Fernsehen hat Pro7 beispielsweise den Green-Seven-Day etabliert, aber nach wie vor ist Nachhaltigkeit in den Medien sehr ökologisch belegt. Angesichts der ökologischen Herausforderungen liegt das auf der Hand, in dieser Woche wurden zum Beispiel neue Daten der Vereinten Nationen zum CO2-Ausstoß und zur Versauerung der Meere noch einmal breit publiziert. Einzelne Beiträge stellen aber durchaus auch Zusammenhänge mit sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen her. Ich bin kürzlich auf einen Beitrag über die Vorbereitungen auf einen steigenden Meeresspiegel an der amerikanischen Ostküste gestoßen. Da wurde sehr deutlich herausgearbeitet, was das eigentlich für die Bevölkerung bedeutet und was die wirtschaftlichen Folgen sind. Besonders im Internet gibt es viele Projekte, die versuchen Nachhaltigkeit auch mit konkreten praktischen Ansätzen zu verknüpfen. Nennen kann ich an dieser Stelle zwei Preisträger des Grimme Online Award, nämlich Zukunft Mobilität von 2012 oder das jüngst prämierte Doku-Game Fort McMoney von ARTE, das zeigt, wie vor dem Hintergrund einer realen Situation ökologisch-soziale und ökonomische Zusammenhänge spielerisch erschlossen werden können.
Energie und Klimawandel dominieren in den Medien die Berichterstattung über Nachhaltigkeit. Das hat das Denkwerk Zukunft vergangene Woche in einer Studie empirisch bestätigt. Bindet die Energiewende zu viele journalistische Ressourcen, die für andere Nachhaltigkeitsaspekte fehlen?
In den vergangenen Jahren war das nun mal ein Megathema. Interessant ist aber, dass der Akzent in diesem Diskurs stark verschoben wurde. In letzter Zeit ging es gar nicht mehr um die Frage, was die Energiewende für die Zukunft unserer Gesellschaft bedeutet, sondern für die Stromrechnung der Verbraucher. In dieser Hinsicht laufen die Medien natürlich den Vorgaben des politischen Diskurses hinterher. In der vergangenen Woche wurden aber die Ergebnisse einer Befragung veröffentlicht, wovor die Deutschen Angst haben. Den meisten geht es nach wie vor ums Geld, aber danach kommen schon Naturkatastrophen und da werden Zusammenhänge zur Nachhaltigkeit immer noch zu selten hergestellt.
Grundsätzlich sind die Zusammenhänge aber doch bekannt.
Es geht momentan auch gar nicht mehr in erster Linie darum, Nachhaltigkeit irgendwie in die Medien zu drücken. Ich glaube schon, dass viele Menschen sensibilisiert sind und ein Grundwissen in einem Großteil der Bevölkerung vorhanden ist. Natürlich werden in den Medien in erster Linie aktuelle Probleme dargestellt. Aber wie geht es dann weiter? Man kann nicht in permanenten Alarmismus verfallen und dann die Leser und Zuschauer ratlos zurücklassen. Es fehlt an einem gesellschaftlichen Leitbild, das dem Einzelnen Handlungsoptionen vermittelt. Bloß zu sagen: Versucht mal weniger Auto zu fahren, Car-Sharing zu betreiben und Energie zu sparen – ich glaube, die meisten wissen, dass man mit solchen partiellen Verschiebungen des Nutzungsverhaltens die Welt nicht retten kann. Die entscheidenden Akteure in dieser Gesellschaft müssten mutig größere Schritte unternehmen, damit eine Nachhaltigkeitsorientierung glaubwürdig wird und sich andere anschließen können. Solange das nicht der Fall ist, ist auch die Berichterstattung hilflos.
Weiterführende Informationen
UN-Dekade Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Studie „Welchen Journalismus braucht die Nachhaltigkeit“ der Leuphana Universität Lüneburg [PDF, 1,9 MB]
Analyse des Denkwerks Zukunft zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit