„Wir haben natürlich Angst vor den neuen Richtlinien und Sorge, dass uns das überfordert.“ So beschreibt Gerd Röders die Stimmung vieler Mittelständler mit Blick auf die anstehenden Berichtspflichten zu Nachhaltigkeitsthemen. Gerade deswegen hoffe er auf „dieses neue Projekt“, so der Chef der Soltauer Gießerei G.A. Röders, der gleichzeitig Präsident der WirtschaftsVereinigung Metalle ist. Das „neue Projekt“, von dem beim Pressegespräch im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Anfang April die Rede ist, ist die Weiterentwicklung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), die den neuen gesetzlichen Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung Rechnung trägt und vom BMWK mit knapp 20 Millionen Euro gefördert wird.
Bereits seit zehn Jahren müssen börsennotierte Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Mitarbeitenden in der EU zu Nachhaltigkeitsthemen Bericht erstatten. Der Kreis der Firmen, die solche gesetzlichen Vorgaben erfüllen müssen, wird nun schrittweise ausgeweitet (siehe Kasten). Auch mittelständische Firmen müssen künftig Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Den DNK gibt es schon länger als die EU-Vorschriften; er wurde 2011 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) entwickelt und unterstützt seither Firmen dabei, einen niederschwelligen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu finden. Heute nutzen rund 1.200 Unternehmen das Instrument. Auch Gerd Röders’ Unternehmen, das er in sechster Generation leitet, hat das im vergangenen Jahr ausprobiert – freiwillig.
Gute Erfahrungen mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex
Die Entscheidung habe mehrere Gründe, berichtet er: „Zuerst ist von unseren Kunden aus der Medizintechnik und der Automobilindustrie die Anforderung an nachhaltige Lieferanten ganz eindeutig gegeben.“ Aber es seien nicht nur die Kunden, auch weitere Stakeholder hätten diese Erwartung: „Unsere Gießerei steht mitten in der Stadt, wir sind Teil der Gesellschaft.“ Nicht zuletzt die Mitarbeiter wüssten es zu schätzen, für ein Unternehmen zu arbeiten, das auf Nachhaltigkeit Wert lege. Und es motiviere sie: „Ich habe es zum ersten Mal in meinem Berufsleben erlebt, dass sich eine Mitarbeiterin freiwillig als Beauftragte für ein Thema gemeldet hat – es war die Position der Nachhaltigkeitsbeauftragten.“
Bei der Erstellung des ersten Nachhaltigkeitsberichts sei er froh gewesen, durch Zufall vom Instrument des DNK zu erfahren, berichtet der Mittelständler: „Das hat geholfen, mit wenig externer Beratung einen Nachhaltigkeitsreport erstellen zu können.“ In seiner bisherigen Form sei der DNK gut anzuwenden gewesen.
Das Tool wird weiterentwickelt
Doch demnächst unterliegt seine Gießerei den neuen Berichtspflichten, und Röders befürchtet, „dass das wieder ein Bürokratieaufwand wird“. Damit sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet, wird der DNK nun weiterentwickelt und an die neuen Gegebenheiten angepasst. Der „DNK 2.0“ wird die geltenden gesetzlichen Vorschriften im Kontext Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive) abbilden, sowie in Zukunft auch die Berichterstattung über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten nach der EU-Lieferketten-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive).
Anfang 2025 wird eine neue Webplattform zur elektronischen Erstellung und Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsberichte gemäß der EU-Berichtsstandards ans Netz gehen. Außerdem geplant: ein Helpdesk für inhaltliche und technische Fragen, zudem beispielsweise Webinare oder Leitfäden. Das – kostenfrei nutzbare – Unterstützungsangebot soll „insbesondere den Mittelstand bei Nachhaltigkeitsberichten entlasten“, sagt Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär beim BMWK und Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung. Er sieht das neue Tool als eine „Serviceleistung für eine bürokratiearme Berichterstattungsmöglichkeit“ und als Versuch, den Firmen das Leben leichter zu machen.
„Wir sehen eine Zunahme an Berichtspflichten für Unternehmen auf verschiedene Ebenen, von der Frage der Nachhaltigkeitsberichterstattung über die Frage der Lieferketten bis hin zu Fragen der Taxonomie, also auch hinein in den Finanz- und Bankenbereich“, sagt der Staatssekretär. Davon betroffen seien insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, die weniger Ressourcen hätten, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Als Mittelstandsbeauftragter sei es ihm daher ein Anliegen gewesen, den Deutschen Nachhaltigkeitskodex weiterzuentwickeln.
Mehrfachbelastungen verhindern
„Durch die Integration unterschiedlicher Berichtsanforderungen im DNK soll eine Mehrfachberichterstattung und somit Mehrfachbelastungen auch gerade für kleinere und mittlere Unternehmen verhindert werden“, sagte der RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Auch aus seiner Sicht sei es dringend notwendig gewesen, den DNK an die neuen gesetzlichen Berichtspflichten anzupassen. Aber auch für nicht direkt von den Vorschriften betroffene Unternehmen sei ein solches Angebot wichtig, da auch sie zunehmend von ihren Stakeholdern, von ihren Abnehmer*innen, aber auch von Banken und Investor*innen nach ihren Nachhaltigkeitsleistungen gefragt würden.
Hofmann betonte außerdem, dass im Laufe des Jahres eine Reihe von Stakeholderprozessen geplant seien, um „das Ganze wirklich praxistauglich“ zu machen. Gerd Röders blieb optimistisch. Er freue sich, sagte er, dass „uns auch dort wieder der Rat für Nachhaltigkeit mit einer hoffentlich genauso praktikablen mittelstandsmäßigen Lösung helfen wird, wie das bei dem bisherigen DNK der Fall war“.
Die Berichtspflichten der Unternehmen
Bereits seit 2014 gilt EU-weit die Non-Financial Reporting Directive (NFRD), die 2017 in Deutschland mit dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) umgesetzt wurde. Sie gibt vor, dass börsennotierte Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Mitarbeitenden sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen über ihre Nachhaltigkeit Bericht erstatten müssen. Rund 550 solcher Unternehmen gibt es in Deutschland. Im Januar 2023 ist nun die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft getreten und hat die NFRD abgelöst. Die neuen einheitlichen EU-Berichtsstandards – die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) – konkretisieren die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Durch die CSRD steigt die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen innerhalb der Europäischen Union von geschätzten 11.600 auf 49.000, etwa 13.000 davon in Deutschland. Sie werden ab dem Jahr 2025 stufenweise berichtspflichtig, müssen also die Nachhaltigkeitsberichte in einen eigenen Abschnitt in den Lagebericht integrieren. Bis Juli muss diese Richtlinie in ein deutsches Gesetz gegossen werden. Dem vorliegenden Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ) zufolge sollen doppelte Berichtspflichten vermieden werden, indem Berichtspflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) durch die Vorlage eines Nachhaltigkeitsberichts nach CSRD erfüllt werden. Im März haben sich die EU-Staaten zudem auf eine EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD) geeinigt, die die Mitgliedsländer noch in jeweils nationales Recht umsetzen müssen. Auch die Berichterstattung über die Sorgfaltspflichten nach der CSDDD soll über die bereits existierende CSRD erfolgen.