Mikroplastik: „Breites Umdenken noch nicht zu erkennen“

Ein deutsch-indisches Schüleraustausch-Projekt fördert neben dem interkulturellen Dialog auch das Bewusstsein für komplexe Umweltproblematiken. Ein Gespräch mit Leiterin Sandra Bösch über Schwierigkeiten und erste Erfolge.

In den Meeren schwimmt schon jede Menge davon herum: Plastik. Kleinste Mikroplastik-Partikel, die entweder bewusst erzeugt werden (zum Beispiel zum Gebrauch in der Kosmetikindustrie) oder durch den Zerfall von Plastikmüll entstehen. Sollte der Mensch an seinem Verhalten nichts ändern, könnte es bis zum Jahr 2050 mehr Plastik in den Weltmeeren geben als Fische. Forschungsministerin Wanka widmet das Wissenschaftsjahr 2016/17 den Ozeanen, um diese noch besser zu erforschen und zu schützen. Die Untersuchung von Mikroplastik in Bächen, Flüssen und Meeren stand im Jahr 2015 im Fokus des deutsch-indische Werkstatt N-Projekt „Mikroplastik – eine zukünftige Gefahr?“. Auch in diesem Jahr konzentriert sich das für 2016 vom Rat für Nachhaltigen Entwicklung ausgezeichnete Schüleraustausch-Projekt auf das Thema Müll und Plastikverschmutzung. Leiterin Sandra Bösch ist im Hauptberuf Lehrerin am Schulzentrum Rübekamp in Bremen.


 
Frau Bösch, seit dem Jahr 2013 führen Sie das Austauschprojekt mit der indischen Partnerschule in Navi-Mumbai durch. Was war die Inspiration für das Projekt?

Sandra Bösch: In unserem Schulzentrum des Sekundarbereiches II bieten wir auch einen Leistungskurs „Nachhaltige Chemie“ an. Hierzu gibt es eine Kooperation mit dem Zentrum für Umweltforschung und nachhaltige Technologien (UFT) und der Universität Bremen, aus der sich verschiedene Projekte ergeben haben. Eines davon war „Greening with Goethe“, ein Umweltprojekt gemeinsam mit indischen Schulen, das sich an den Leitlinien der "Bildung für Nachhaltige Entwicklung" der Vereinten Nationen orientiert. Hier haben wir uns bereits 2012 und 2013 mit dem Thema Mikroplastik beschäftigt. Joachim Stier, inzwischen pensionierter Biologie-Lehrer, hat dieses Projekt als Anlass für einen weiteren Schüleraustausch genommen, der dann 2013 mit naturwissenschaftlichem Hintergrund mit dem Terna Vidyalaya & Junior College in Navi-Mumbai stattfand.

Wer macht mit beim Austausch?

Für den Austausch binden wir jeweils zehn deutsche und zehn indische Schülerinnen und Schüler aus der 10. und 11. Klasse ein. Leider ist es schwierig, genügend Schülerinnen und Schüler für den 14-tägigen Austausch zusammenzubekommen. Die finanzielle Seite ist ein Aspekt, da die Kosten für das Flugticket schon recht hoch sind. Aber viele haben auch Angst vor Indien, das heißt vor der doch sehr fremden Kultur und den Bedingungen vor Ort. Zum Teil haben sie Befürchtungen, was Krankheiten und mangelnde Hygiene angeht. Für viele ist es auch ein großes Problem, überhaupt einen Gast für zwei Wochen unterzubringen.

Sind die Schülerinnen und Schüler Ihrer indischen Partnerschule in Navi-Mumbai und  die Region dort direkt von der Plastikbelastung im Wasser betroffen?

Navi-Mumbai ist ein verhältnismäßig neuer und guter Stadtteil von Mumbai. Täglich kommen tausende Menschen vom Land und lassen sich in den Städten nieder. Überall dort, wo noch Platz ist, entstehen Slum-Hütten. Daraus ergibt sich ein recht gemischtes Bild aus besseren Wohnungen und ärmeren Behausungen. Unsere indischen Austauschschüler stammen aus der Mittelschicht und haben damit schon einen recht guten Bildungsstand. Die Unterschiede in der indischen Gesellschaft sind groß. Das Kastenwesen wurde zwar abgeschafft, es dringt aber immer noch durch. Bei der Müllproblematik wird es beispielsweise deutlich, denn die Müllbeseitigung wird noch immer als Aufgabe der Kaste der „Unberührbaren“ angesehen. Achtlos weggeworfener Müll, der regulär gesammelt und auf eine Sammelstelle gekippt wird, wird von den dort wohnenden Familien sortiert. Dieses etablierte System lässt sich nur schwer umkrempeln. Zum anderen existiert auch die Vorstellung, dass die Natur schon in der Lage sein wird, mit der Verschmutzung fertig zu werden. Die Plastikbelastung besteht überall. Mumbai ist eine Halbinsel, sodass der Plastikmüll einfach ins Meer gelangt.

Wie stark schätzen Sie das öffentliche Bewusstsein in Deutschland und Indien ein, dass Plastiktüten und -flaschen nicht einfach ins Wasser oder in die Natur geworfen werden sollten?

Das Bewusstsein ist in Indien nicht sehr breit gestreut. Es bewegt sich vor allem auf theoretischer Ebene. Die Bewusstseinsentwicklung braucht noch Zeit. Die Schüler haben sich durch den Austausch das erste Mal mit dieser Problematik beschäftigt, aber für einen tiefgreifenden Wandel ist es noch zu früh. Dennoch gibt es bereits verschiedene Ansätze in Indien, wie zum Beispiel den „Clean India Day“, bei dem alle dazu aufgerufen sind, dem Müll den Kampf anzusagen. Wir arbeiten auch mit der örtlichen NGO „Siddhivinayak Social Group“ zusammen, die das „Zero Garbage“-Projekt ins Leben gerufen hat. Zusammen haben wir damit angefangen, ein Stück Flussufer demonstrativ von Plastik zu säubern und den Plastikabfall vor den Häusern einzusammeln. Das Projekt beschäftigt sich außerdem mit der Kompostierung von Küchenabfällen. Ich denke, hier in Deutschland ist es allgemein Konsens, dass Müll angemessen entsorgt und, wenn möglich, recycelt wird, und dass man für seinen eigenen Müll verantwortlich ist. Wilde Müllentsorgung ist hier zum Glück die Ausnahme. Im Hinblick auf die Plastikproblematik ist das Bewusstsein noch immer recht unterschiedlich. Viele beschäftigen sich interessiert mit dem Thema und machen sich Gedanken, aber ein breites Umdenken ist noch nicht zu erkennen.

Ist die Gefahr von Mikroplastik in Indien ein Thema?

Mikroplastik ist bislang kein verbreitetes Thema, aber in der Natur außerhalb der Städte gibt es inzwischen Schilder mit dem Hinweis, kein Plastik wegzuwerfen. Ein Anfang.

Wie war die Resonanz vor Ort in Indien auf Ihre Säuberungsaktion und Ihr Projekt?

Es gab kleinere Artikel in der regionalen Zeitung im Bundesstaat Maharashtra, die vor allem an die lokale NGO angeknüpft haben. Unsere Säuberungsaktion hat neugierige Blicke auf sich gezogen, aber mit angepackt hat sonst niemand.

Welchen Sinn machen noch Siegel für nachhaltige Fischerei, wenn bei zahlreichen Fischarten schon Plastik im Organismus nachgewiesen werden kann? Beim MSC-Siegel beispielsweise ist die Belastung durch Mikroplastik kein Thema. 

Ich denke, dass diese Siegel dennoch sinnvoll sind, denn es gibt ja noch andere Baustellen als die Plastikbelastung. Vor allem ist Überfischung ein massives Problem, wo zum Beispiel das MSC-Siegel ansetzt und damit einen wichtigen Beitrag zur Arterhaltung leistet. Aber nicht nur für Fische gilt das Plastikproblem, schon heute haben gut zwei Drittel aller Seevögel Plastik im Magen.

Wie ist der Ausblick des Projektes für die kommenden Jahre? 

Wir möchten das Projekt in den kommenden Jahren weiterführen und auch noch stärker mit der NGO in Indien zusammenarbeiten. Jedes Jahr ergeben sich neue thematische Anknüpfungspunkte. In diesem Jahr steht das Thema „Müll“ insgesamt im Fokus, aber auch die Plastikverschmutzung behandeln wir weiter. Allen voran steht für uns die interkulturelle Erfahrung für die Schülerinnen und Schüler im Vordergrund. Anfang August werden wir den Austausch mit dem Besuch der indischen Schülerinnern und Schüler bei uns in Bremen einläuten. In der zweiten Septemberhälfte werden wir erneut nach Indien reisen. Es ist schön zu sehen, dass ehemalige Schülerinnen und Schüler zum Teil noch Kontakt mit ihren Austauschpartnern aus Indien haben. Ein indischer Schüler ist nach seinem Schulabschluss sogar zum Studium nach Deutschland gekommen. Das sind weitere positive Nebeneffekte eines solchen Austauschs. Erfreulich ist auch, dass inzwischen viele Schulen in Deutschland solche Austausche mit kulturellem Fokus und einem Bezug zu Umweltthemen anbieten, dann neben Indien auch mit Kanada, Mexiko und anderen Ländern.

Das Interview führte Stephanie Adler.