Menschen zusammenbringen, die mit an der Agenda 2030 und an einer nachhaltigen Zukunft für Deutschland arbeiten, lautet das Motto des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. Denn auch die besten Initiativen, Organisationen oder Startups können noch besser werden, wenn sie sich miteinander vernetzen, austauschen und die Möglichkeit haben, auf diesem Weg voneinander zu lernen. Doch Vernetzung ist zeitintensiv, wie macht man das also am effizientesten?
Das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit, das der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) auf Initiative von Bund und Ländern aufbaut, hat darauf eine Antwort gefunden. Seit September 2022 ist bereits die gleichnamige Plattform online, die Verbände, Zivilgesellschaft, Unternehmen, Gewerkschaften und viele mehr auflistet und zusammenbringt. Bisher wurden die Akteur*innen dazu manuell recherchiert und eingeladen – oder haben selbst ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet. In Zukunft soll nun Künstliche Intelligenz (KI) bei diesem Prozess helfen. Ab dem Frühjahr durchsucht ein Webcrawler das Internet nach nachhaltigen Organisationen in Deutschland.
Dass das ein sinnvoller Schritt ist, unterstreicht Finn Wölm, Data Scientist und Mitgründer von Global Goals Directory, der an der Softwaregrundlage für das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit mitgearbeitet hat. „Wir haben festgestellt, dass es in vielen Städten eine gute Nachhaltigkeitsstrategie gibt, dass aber Zivilgesellschaft, Unternehmen, Organisationen, Initiativen und Vereine nur selten strategisch involviert werden.“ Diese Akteur*innen seien es, die Nachhaltigkeit in die Bevölkerung tragen, so Wölm. In vielen Kommunen gebe es deshalb noch mehr Potential, Akteur*innen systematischer einzubinden. Das kann auch Sophia von Petersdorff-Campen, Koordinatorin des Gemeinschaftswerks in der RNE-Geschäftsstelle, bestätigen: “Eine Vorstudie hat gezeigt, dass es viele Organisationen und Initiativen gibt, die aktiv zur Erreichung der Agenda 2030 beitragen, die aber zu ihren nachhaltigen Lösungen noch nicht im Austausch mit anderen stehen.”
Mit der Agenda 2030 hat sich die globale Staatengemeinschaft vorgenommen, die Welt bis 2030 nachhaltig zu machen. Die darin enthaltenen 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (auch Sustainable Development Goals oder kurz SDGs genannt) geben den Rahmen vor. Sie sehen unter anderem bezahlbare und saubere Energie für alle, die Beseitigung von Armut und Hunger oder Geschlechtergerechtigkeit vor. Über die Suchfunktion auf der Plattform des Gemeinschaftswerks können die Organisationen auch nach den einzelnen SDGs, zu denen sie beitragen, gefiltert werden. Die Vorarbeit dafür wird in Zukunft ebenfalls automatisiert ablaufen: “Die KI kann herausfinden, zu welchen SDGs die jeweiligen Organisationen tatsächlich beitragen. Wir können so Leute in Zukunft noch viel gezielter ansprechen und zum Gemeinschaftswerk einladen”, so Petersdorff-Campen.
Daten fast in Echtzeit
Global Goals Directory wurde 2019 gegründet und besteht aus einem Team aus SDG-Expert*innen und Entwickler*innen, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kommunen, Landkreise und Städte in Deutschland bei ihrer Nachhaltigkeitstransformation zu unterstützen. Das Team ist unter anderem spezialisiert auf Big Data, künstliche Intelligenz, und maschinelles Lernen mit Bezug zu den SDGs. „Wir zeigen Kommunen ihr SDG-Ökosystem. Wir suchen die Akteur*innen nicht nur, wie analysieren auch, welchen Nachhaltigkeitsbeitrag sie leisten, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen und zeigen so auch, welche Stärken und Schwächen es gibt“, sagt Wölm. So könne man etwa sehr gut erkennen, wenn eine Kommune zwar im Bereich von SDG 7, Erneuerbare Energien, viele Partner hat, aber im Bereich von SDG 5, Geschlechtergleichheit, noch kaum. Auf Basis dieser Daten, die durch die KI fast in Echtzeit generiert werden, besteht also die Möglichkeit, effektiv gegenzusteuern.
Im Gegensatz zu den KI-gesteuerten Mappings, sind die manuellen Versionen sehr zeit- und kostenintensiv. „Viele Kommunen haben nicht die Ressourcen, um ein manuelles Mapping umzusetzen“, sagt Finn Wölm. Doch für eine nachhaltige Entwicklung ist es essentiell, den Überblick zu behalten. Mit manuellen Mitteln ist das kaum zu schaffen. In Kanada gibt es etwa ein Projekt, das ein ähnliches Ziel wie das Gemeinschaftswerk hat, die „Movement Map“. Dabei hat man zwei Jahre lang um die 10.000 Organisationen manuell kartiert und deren Nachhaltigkeitsbeitrag bestimmt. „Nur wenn man dann fertig ist, kann man eigentlich wieder von vorne anfangen“, sagt Finn Wölm. Das Feld sei zu dynamisch für die Geschwindigkeit, in der Menschen arbeiten.
Die KI hat es da einfacher, sie scannt die Webseiten nach Inhalten und nimmt so die SDG-Klassifizierung vor. Gelernt hat sie das anhand zahlreicher Beispiele. Sie wurde gefüttert mit Textdokumenten, die nach unterschiedlichen SDGs vorklassifiziert wurden. „Die KI erkennt daraus ein Muster – wenn gewisse Wörter in Kombination auftauchen, dann erkennt sie die Relevanz und kann dieses Muster auch wieder anwenden auf neue Texte“, sagt Finn Wölm.
Aber natürlich zählen nicht nur die Angaben auf der Webseite der jeweiligen Organisationen, erklärt Sophia von Petersdorff-Campen. “Wir machen bei allen Teilnehmenden, die sich beim Gemeinschaftswerk anmelden eine Qualitätskontrolle. Wir prüfen auf Basis von festgelegten Kriterien, ob ein Akteur etwa demokratische Grundwerte vertritt und es einen erkenntlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit gibt.“ Die KI soll das in Zukunft eigenständig filtern. Die Zukunft sieht also gut aus, wenn es um die Zusammenarbeit geht. Der Austausch über das Gemeinschaftswerk soll weiter gefördert werden. Die registrierten Organisationen sollen ihre Inhalte dort aktiv gestalten und aktualisieren können, sagt Petersdorff-Campen.
Potenziale künstlicher Intelligenz für die Nachhaltigkeitstransformation
Eine KI könnte in Zukunft auch in anderen Bereichen bei der Nachhaltigkeitstransformation helfen, sagt Finn Wölm: „Wenn politische Entscheidungen auf Basis von Daten getroffen werden, die drei oder vier, manchmal sogar zehn Jahre alt sind, sieht man immer nur den Rückspiegel. Durch KI gibt es interessante Möglichkeiten, Daten in Echtzeit zu messen. Etwa mit Satellitenbildern.“ So kann man messen, wie groß die Bevölkerung ist, wenn man weiß, wo nachts Licht brennt. Man kann Daten sammeln zur Abforstung und Aufforstung, zur Biodiversität und sogar dazu, wie viel CO2-Emissionen in Wäldern gespeichert sind. „Mit Luftbildaufnahmen kann man Baumarten und deren Größe gut erkennen, so lässt sich das berechnen“, sagt Wölm.
Aber auch wenn es um die Erreichung der SDGs geht, kann KI noch mehr unterstützen: Etwa im Bereich Forschung. Es können Forschungsartikel und -papiere klassifiziert werden, um zu analysieren, zu welchen Themen bereits geforscht wird und wo es vielleicht noch Bedarf gibt. Oder im Bereich der Gesetzgebung. Eine KI kann scannen, welche Gesetze entworfen und verabschiedet werden und zu welchen SDGs diese Gesetze potenziell beitragen können. Denn wer Ziele erreichen will, braucht einen guten Überblick.