Freiburg, die Stadt am südlichen Oberrhein, ist für seine vielen Sonnenstunden und das autofreie Stadtviertel Vauban bekannt. Im Stadtteil Weingarten steht Deutschlands erstes Hochhaus in Passivbauweise und der Neubau des Rathauses im Stadtteil Stühlinger genannt, ist weltweit das erste öffentliche Gebäude im Nettoplusenergie-Standard. Warum braucht diese 230.000 Einwohner*innen-Stadt, darunter etwa 25.000 Studierende, einen Nachhaltigkeitsmanager wie Sebastian Backhaus?
Backhaus muss nicht lange überlegen. Freiburg war auch in diesem Fall eine Art Vorreiter. Schon 2011 wurde eine Stabstelle Nachhaltigkeitsmanagement beim Oberbürgermeister eingerichtet. Backhaus sagt, viele würden denken, „Ach, die machen was mit Umwelt“. Aber so sei es nicht, meint er, der die Aufgabe und das vierköpfige Team erst vor vier Monaten übernommen hat. Zuvor arbeitete er als selbständiger Kommunikationsberater für Nachhaltigkeit in Berlin: „Es geht um viel mehr.“
Der 41-Jährige muss sich darum kümmern, dass die vom Gemeinderat verabschiedeten 59 städtischen Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden. Sie orientieren sich an der von der Weltgemeinschaft 2015 verabschiedeten Agenda 2030. Wie weit die Umsetzung ist, was die Stadtverwaltung macht, auch wie sich Bürgerinnen und Bürger mit sogenannten „Tu-Dus“ engagieren können, wird in Freiburg alle zwei Jahre in einem Nachhaltigkeitsbericht erfasst.
Impulsgeber und Think Tank
„Das ist eine Querschnittsaufgabe“, sagt Backhaus, „wir sind kein ausführendes Amt wie das Garten- und Tiefbauamt, das unsere Radwege baut.“ Stattdessen spricht er mit verschiedenen Ämtern und Dienststellen über Klimaschutz, Mobilitätswende, soziale Themen, klärt den Stand der Dinge, macht Fördertöpfe ausfindig. Er sagt: „Wir sind auch Impulsgeber und Think Tank. Und wir sind für manche auch schon ein bisschen nervig.“ Denn selbst, wenn ein Indikator nach oben zeige, sei seine Aufgabe nicht immer gleich erledigt. So habe Freiburg immer mehr Radwege bekommen. Doch eine Initiative „Fuß- und Radentscheid“ fordere mehr. Freiburg hat auch einen Nachhaltigkeitsrat, mit 40 hochrangigen Personen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Er tagt zweimal im Jahr unter Leitung des Oberbürgermeisters. Backhaus und sein Team organisieren das ganze Drumherum, sind Ansprechpartner. Er hat gut zu tun.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat erst vor kurzem der Bundesregierung empfohlen, Nachhaltigkeitsmanager*innen in den Kommunen mitzufinanzieren. Denn derzeit, so der Rat, fehle vielen Kommunen „das Personal, um Nachhaltigkeitsstrategieprozesse selbständig aufzusetzen und Sachmittel für deren Umsetzung zu beantragen.“ Zwar vergibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zuschüsse für Personalressourcen für kommunales entwicklungspolitisches Engagement. Auch das Bundesumweltministerium finanziert über die Nationale Klimaschutzinitiative neue, projektbezogene Stellen für das kommunale Klimaschutzmanagement. Die sind aber zeitlich befristet. Und Nachhaltigkeit ist mehr als Entwicklungspolitik und Klimaschutz. Die Kommunen sind dabei, so der RNE-Vorsitzende Dr. Werner Schnappauf, „entscheidende Treiber für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft“.
Club der Agenda-2030-Kommunen
Deutschlandweit sind schon mehr als 170 Städte, Kreise und Gemeinden dem „Club der Agenda-2030-Kommunen“ beigetreten. Sie haben sich durch einen Ratsbeschluss zu den globalen Nachhaltigkeitszielen bekannt, wollen sich engagieren. So wie der Landkreis Böblingen – gut 170 Kilometer nördlich von Freiburg, unweit Stuttgarts, mit knapp 400.000 Einwohner*innen.
Dort kümmert sich Astrid Saalbach, Diplom-Kulturwirtin, um das Nachhaltigkeitsmanagement. Der Landkreis hat ihre Vollzeitstelle im Sommer 2020 im Bereich der Regionalentwicklung neu geschaffen. Saalbach versteht ihre Aufgabe ähnlich wie Backhaus, nennt es aber etwas anders: „Motivatorin für Nachhaltigkeit“. Zum einen werde sie – wie vom Kreistag Ende 2020 beschlossen – die Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie für den Landkreis Böblingen koordinieren und mitentwickeln, zum anderen die 2.200 Mitarbeitenden des Kreises bei der Umsetzung unterstützen.
Allerorten gebe es im Landratsamt schon Projekte, sagt Saalbach, sie vernetze, bündele, steuere. Sie gebe auch Anstöße und Tipps zu Förderprogrammen, werde Seminare und Ausstellungen auf die Beine stellen. Erst vor wenigen Wochen hat sie einen Arbeitskreis mit Nachhaltigkeitsmanager*innen aus anderen Landkreisen in Baden-Württemberg initiiert. Jede Kommune müsse ihren eigenen Weg finden, wie sie nachhaltiger werden will und am bisherigen Engagement anknüpfen, sagt Saalbach. Alles neu erfinden müsse sie aber nicht. Das zeigt auch ein Blick nach Geestland im niedersächsischen Landkreis Cuxhaven.
Konflikt „Bildung gegen Bäume“
In dieser Gemeinde mit 31.000 Menschen in 16 Ortschaften bringt Britta Murawski die Nachhaltigkeit voran. Der Kurs sei vom Bürgermeister gesetzt – „er ist voll und ganz dafür, hat sich vom TÜV zum Nachhaltigkeitsmanager zertifizieren lassen, die Spitze muss dahinterstehen“. Derzeit baut Geestland einen Energiewerk, das unter anderem das örtliche Schwimmbad, die Moortherme, und die Schule mit Wärme und Strom versorgen soll – erzeugt auch aus dem Grüngut und Holzschnitzeln von öffentlichen Flächen. Das Rathausdach hat eine Solaranlage. Die Straßenbeleuchtung ist auf energiesparende LED-Technik umgestellt. In der Verwaltung arbeiten zu mehr als 50 Prozent Frauen. Und auf einer Online-Zukunftsplattform können Unternehmen Ideen austauschen, wie sie ihre CO2-Bilanz verbessern können. Die Plattform wurde als Projekt vom Fonds Nachhaltigkeitskultur im Wettbewerb “Land schreibt Zukunft” gefördert.
Ist das alles so einfach? „Nein“, sagt Murawski, „es gibt auch Zielkonflikte“. Beispielsweise als das Gymnasium gebaut wurde und dafür ein Waldstück gerodet wurde. Da stand plötzlich „Bildung gegen Baum“. „Sie müssen mit allen Seiten reden“, sagt Murawski. Das sei entscheidend. „Die Leute müssen verstehen, was Nachhaltigkeit ist, was Sie warum tun.“ Dafür seien Nachhaltigkeitsmanager*innen in Kommunen die Richtigen.