Entschlossene Weichenstellungen zu einem klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaften sind dringend. Es geht einerseits um die Lebensbedingungen für heutige und zukünftige Generationen. Andererseits startet jetzt der Wettlauf um die Märkte der Zukunft. Entscheidend für den Erfolg dieses Wandels wird sein, ob er uns sozial gerecht gelingt. Das ist ein Fazit der politischen Debatten bei der 20. RNE-Jahreskonferenz unter dem Motto „Aufbruch in ein Jahrzehnt der Nachhaltigkeit“.
Sie fand am 8. Juni 2021 online statt. Im Jahr 2001 hatte der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Rat für Nachhaltige Entwicklung als Beratergremium der Bundesregierung ins Leben gerufen. Seither weise der Rat „unermüdlich“ und „nachdrücklich“ darauf hin, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammen gedacht werden müssen, so Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Amtszeit auf allen Jahreskonferenzen dabei war. Derzeit habe Nachhaltigkeit allerdings „ein Momentum wie wohl noch nie zuvor“, so Werner Schnappauf, der den Vorsitz des Rates für Nachhaltige Entwicklung innehat. So habe unter anderem die historische Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, nach der der Staat künftige Generationen vor dem Klimawandel schützen muss, einen enormen Schub gegeben.
Aber auch global gibt es eine neue Dynamik. Sie zeigte sich sowohl in der Grußbotschaft von John Kerry, dem Sonderbeauftragten des US-Präsidenten für Klimafragen, als auch in der Rede des Exekutiv-Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans. Sie beide gratulierten dem RNE zum Jubiläum – mit hohen Erwartungen an dessen zukünftige Arbeit.
Inspiration für die Welt
Kerry meinte: „Die deutsche Energiewende ist eine Inspiration für den Rest der Welt, sie zeigt jahrelange Entschlossenheit.” Auch die USA wolle das Energiesystem umfassend transformieren, sie seien bereit für einen transatlantischen und globalen Schulterschluss für eine klimaneutrale Zukunft. Deutschland und die USA könnten zum Beispiel beim Ausbau der Wasserstofftechnologie zusammenarbeiten – als Vorreiter, auch um gute Jobs zu schaffen. Die Regierung unter US-Präsident Joe Biden betont immer wieder die Chancen für die Wirtschaft durch Investitionen in Klimaschutz und in neue Technologien, auch weil sich Exportmärkte erschließen ließen.
Frans Timmermans schlussfolgerte: „Es wird neue Arbeit geben, viel mehr als vorher.“ Timmermans ist als Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission eine der einflussreichsten Personen für das Gelingen der grünen Transformation in der EU. Zudem ist er der Kopf hinter dem European Green Deal, der den Umbau hin zu einer klimaneutralen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft garantieren soll. Der Green Deal sei „ziemlich einmalig“ gewesen, als die EU ihn 2019 vorgestellt habe, sagte er. Aber nun dächten viele Staaten um und legten ehrgeizigere Klimaziele vor – vor allem im Vorfeld der UN-Klimakonferenz im November in Glasgow. Darunter seien etwa Japan, Kanada, Südkorea.
Fit for 55
Vorschläge, wie das genau gehen soll, wolle die EU-Kommission, so kündigte Timmermans an, am 14. Juli 2021 vorstellen – mit dem Gesetzespaket „Fit for 55“. Im Namen spiegelt sich wider, worauf sich auch die EU unlängst verständigt hat: Sie will bis 2030 klimaschädliche Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent mindern. Es ist ein wichtiger Zwischenschritt, um bis 2050 klimaneutral zu werden.
Das zentrale Instrument der EU für den Klimaschutz, der Emissionshandel, so Timmermans weiter, solle verschärft und womöglich ausgeweitet werden. Neue CO2-Normen für PKW sollten gesetzt und Mechanismen für einen sozialen Ausgleich, einen „gerechten Übergang“, entwickelt werden. Mit dem befristeten Wiederaufbauplan „Next Generation EU“ – das 750-Milliarden-Euro schwere EU-Corona-Konjunkturpaket – habe die EU schon diesen Weg beschritten. Denn mindestens 37 Prozent dieser Hilfen sollen dem Klimaschutz dienen, 20 Prozent der Digitalisierung, kein Projekt darf der Umwelt schaden.
Nachhaltigkeitsstrategie erneuert
„Mut zu einer echten Transformation“ forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bundesregierung werde nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Klimaziele bis 2030 verschärfen – der Ausstoß von Treibhausgasen soll nun im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent gemindert werden. Die Vorschläge, die der RNE und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina für den Weg zur Klimaneutralität in einem gemeinsamen Positionspapier gemacht hätten, werde sie „genau prüfen“. Einen Bericht zur Vorstellung des Klimaneutralitätsprojekts auf unserer Jahreskonferenz finden Sie hier.
Zudem habe die Bundesregierung im März 2021 die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickelt. Ein Zwischenstand: Bei 18 von 75 selbstgesetzten Zielen hinke Deutschland derzeit hinterher, zum Beispiel beim Flächenversbrauch. Und bei sieben Zielen, wie etwa beim CO2-Ausstoß des privaten Konsums, gehe die Entwicklung sogar in die falsche Richtung. „Was wir bisher tun, reicht schlichtweg nicht aus“, sagte Merkel. Mit der neu aufgelegten Nachhaltigkeitsstrategie habe die Bundesregierung nun sechs große Transformationsbereiche ausgemacht, auf die sie ihre Aktivitäten fokussieren wolle. Nie sei die Nachhaltigkeit so tief in der Politik verankert gewesen wie heute, so die Bundeskanzlerin.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat vorgeschlagen, die deutsche Nachhaltigkeits-Governance weiter zu stärken, zum Beispiel durch die Aufnahme einer Staatszielbestimmung zur nachhaltigen Entwicklung in das Grundgesetz und die Aufwertung des Parlamentarischen Beirats für Nachhaltige Entwicklung im Bundestag zu einem Parlamentsausschuss mit Querschnittsfunktion ähnlich dem Europaausschuss.
Ein Modernisierungsjahrzehnt
Das sind Themen für die politischen Parteien und die Abgeordneten des nächsten Bundestags. Auf der Jubiläumskonferenz bekräftigten alle anwesenden Parteivertreterinnen und -vertreter, sich für Nachhaltigkeit stark machen zu wollen. Ihre Statements zur Bundestagswahl waren aufgrund einer technischen Störung teilweise nur sehr schlecht verständlich. Wir reichen diese in Kürze hier nach.
Bleibt am Ende der Wunsch, den der Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission Timmermans formulierte: „Wenn wir uns zum 30-jährigen Bestehen des Rates für Nachhaltige Entwicklung wiedersehen, möchte ich auf ein Jahrzehnt zurückblicken, von dem wir unseren Kindern und Enkelkindern sagen, dass wir die entscheidenden Weichen gestellt haben.“