Die Industrienationen werden einer Vorbildrolle nicht gerecht. Das kritisieren die Autoren des aktuellen SDG-Index. Experten der Bertelsmann Stiftung haben den neuen Index zusammen mit dem Sustainable Development Solutions Network, SDSN, erarbeitet. Er zeigt, welches Land wo steht bei der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele. Zwei Jahre ist es nun her, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt die 17 Sustainable Development Goals verabschiedet haben. In seiner jüngst überarbeiteten Form erhebt der SDG-Index den Anspruch, erstmals abzubilden, wie sich der Lebensstandard in reichen Ländern auf ärmere Länder auswirkt.
Der SDG Index reagiert damit auf Anregungen, die Thomas Silberhorn, der Parlamentarische Staatssekretär im Entwicklungsministerium, noch am 30. Mai in folgende Worte packte: „Es wäre auch hilfreich, die wahren Kosten unseres Handelns besser abgebildet zu sehen. Im SDG-Index entsteht der Eindruck, dass der globale Norden schon sehr gut dasteht. Aber das liegt auch daran, dass wir unsere Ressourcennutzung outsourcen. Lässt sich nicht vielleicht ein Index erstellen, der Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzung und CO2-Ausstoß mit einpreist? Unser tägliches Handeln hat globale Konsequenzen, die kaum beziffert werden. Vielleicht könnte man dafür eine innovative Lösung finden!“
Das SDSN ist ein von Jeffrey Sachs, Wirtschaftsprofessor an der Columbia-Universität und UN-Berater seit Jahren aufgebautes, internationales Netzwerk von Wissensorganisationen, das auch nationale Untergliederungen hat. Dirk Messner, einer der beiden Vorsitzenden des SDSN Germany, sagt: „Die Belastungen, die die technologisch hoch entwickelten Industrieländer in ärmeren Ländern und in der globalen Umwelt verursachen, sind enorm.“
Skandinavier ganz oben
Messners Kollegen haben 157 Staaten anhand von 99 Indikatoren verglichen. Afrikanische Staaten wie die Zentralafrikanische Republik, Tschad oder die Demokratische Republik Kongo sind wegen Hunger und Armut am weitesten von den Zielvorgaben entfernt. Die Skandinavier kommen den Zielen am ehesten nah. Schweden liegt auf Platz eins, vor Dänemark und Finnland. Deutschland rangiert auf Platz sechs. Die Bundesrepublik punktet zum Beispiel bei der Bildung.
Erwartungsgemäß schlecht schneidet die Spitzengruppe bei den negativen Ausstrahlungseffekten, den sogenannten Spillover-Effekten, ab. Als Spillover-Effekt bezeichnen die Autoren den ökologischen Fußabdruck und weitere sogenannte externe Effekte, etwa Waffenexporte, den Schutz von Steueroasen oder mangelnde Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit.
Die Berechnung war also in vielen Fällen „Pionierarbeit“, sagt Messner. Als der Index 2016 in einer Textversion vorlag, warnte der Rat für Nachhaltige Entwicklung noch vor einer zu starken Vereinfachung und empfahl, der Beschaffung von Einzeldaten Priorität zu geben vor der rechnerischen Aggregation und Zusammenführung. Nun ergänzt das Ranking die von der UN Statistik-Kommission vereinbarten Indikatoren um offizielle Daten oder Daten von sogenannten verlässlichen alternativen Quellen. Allerdings räumt der Bericht ein, dass wesentliche Daten fehlen, um alle diese Effekte zu quantifizieren. Insofern bleibt es auch vorerst dabei, dass die Spitzengruppe aus reichen Europäischen Ländern besteht.
Leicht nachzuvollziehen sind allerdings die externen Effekte etwa bei den Waffenexporten. Da stehen Israel, Russland und Norwegen international an der Spitze der Waffenlieferanten, aber schon auf Platz 10 der Waffenexporte taucht Deutschland auf. Dazu kommt der Schutz von Steuerparadiesen, so dass anderen Ländern viel Geld entgeht. Großbritannien ist beispielsweise so ein Steuerparadies, etwa für große Unternehmen, aber auch Zypern und Irland liegen weit vorne.
„Einbahnstraße Protektionismus“
Die Studienmacher warnen, dass die Entwicklungsziele nicht erreicht werden, wenn nationale Egoismen zunehmen. Sie nennen das „`my country first´-Ansätze“. Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, sagt: „Protektionismus ist eine Einbahnstraße, die uns nicht zur Umsetzung der Agenda 2030, sondern zurück ins Jahr 1930 bringen könnte.“ Durchweg schlecht sieht es beim Konsumverhalten in den Industriestaaten aus. In OECD-Länder fallen im Schnitt 18 Kilogramm Elektroschrott pro Person und Jahr an. In afrikanischen Ländern wie Burundi sind es 0,2 Kilogramm.
Ein Sprecher aus dem Bundesumweltministerium sagte: „Die kritischen Hinweise des Berichtes sind ernst zu nehmen, auch in Bezug auf die Spillover-Effekte.“ Für Jeffrey Sachs, Direktor des globalen SDSN-Netzwerks und UN-Sonderberater, zeigt sich, „dass alle Länder bei der Umsetzung der Ziele gefordert sind“ – auch jene auf den vorderen Plätzen.