Kann nachhaltiger Konsum in den derzeitigen Strukturen funktionieren? Wie passen Lebensstile, persönliche Bedürfnisse, ökologisches und soziales Bewusstsein zusammen? „Bewusster Konsum liegt im Trend“, sagt André Rathfelder, Masterstudent an der Universität Kiel. Doch dieser Trend spiegelt sich nicht in einem niedrigeren Ressourcenverbrauch oder in einem kleineren ökologischen Fußabdruck wider.
Der Nachwuchswissenschaftler gab bei der 16. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) den Anstoß für eine Debatte über die Umsetzung eines nachhaltigen Konsums. Aus seiner Sicht lebt die auf ökologisches Bewusstsein und individuelle Lebensstile fokussierte neue ‚Öko-Bewegung‘ am Kern des Problems vorbei. Ihr großes Manko sei, dass sie nicht politisch ist. Für Rathfelder ein Widerspruch: „Wer öko sein will, muss politisch sein“, sagt er.
Rathfelder erklärt seine Lösungsansätze mit einem einfachen Beispiel aus dem Alltag: Das Essen in vielen Mensen ist weder mit Bio-Zutaten zubereitet noch ist das Angebot regional oder nach fairen Produktionsbedingungen ausgewählt. Zwar gibt es immer mehr Menschen, die ihre Konsumentscheidungen überdenken: Sie machen weniger Flugreisen, um den Ausstoß von Treibhausgas zu verringern, sie nutzen Ökostrom und kaufen im Bioladen ein.
Politik reagiert auf Verbraucher
Diese Maßnahmen schärfen das ökologische Bewusstsein, aber die Wirkung dessen verpufft schnell oder wird von Rebound-Effekten aufgefressen. Solange die Rahmenbedingungen so sind, können Konsum und Lebensstile an sich nur begrenzt nachhaltig sein. Private Lebensstile geben Hinweise darauf, wie sich Strukturen ändern müssen. Für Rathfelder wird die Frage nach dem guten Leben „nicht am Ruder, sondern am Steuer“ realisiert.
Dieses „Steuer“ liegt vor allem in der Hand der Politik. Die Bundesregierung will mit einem nationalen Aktionsprogramm nachhaltigen Konsum stärken. Der Nachhaltigkeitsrat stellt mit dem Nachhaltigen Warenkorb Alternativen zu nachhaltigem Konsum vor. Auch in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung soll das Thema ein stärkeres Gewicht und einen eigenen Indikator zur Messung nachhaltigen Konsums bekommen. Der Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie kann bis 31. Juli kommentiert werden.
Robert Kloos (CDU), Staatsekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, betont, dass Verbraucher die Zeichen setzen, auf die die Politik reagiert. Die Dimensionen seien gewaltig, sagt Kloos. Ein Beispiel sei mehr Tierschutz in der Landwirtschaft. Einerseits sollte eine artgerechtere Haltung der Tiere umgesetzt werden, andererseits gelte es, die Interessen der Bauern zu vertreten sowie den Klimaschutz einzuhalten. Um den Konsumenten Hinweise zu geben, unter welchen Bedingungen Fleisch und tierische Produkte hergestellt wurden, plant sein Ministerium derzeit ein Tierschutzlabel.
„Der Konsument ist ein Machtfaktor“
Das reicht Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt, bei weitem nicht aus. Für sie ist ein staatliches Fleischlabel lediglich eine ergänzende Maßnahme, die aber keineswegs das Problem der Überproduktion löst und die starke Exportorientierung sowohl in Deutschland als auch in Europa verringert. Kirchliche Organisationen kämpfen seit Jahrzehnten für einen fairen Handel, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ökologische Produktionsweisen. Die Ideen Rathfelders sind für sie alles andere als eine Utopie. „Der Konsument ist ein Machtfaktor“, sagt Füllkrug-Weitzel. Die Wirtschaft werde sich nicht ändern, wenn der Konsument sich nicht ändere. Sie plädiert etwa für eine Berichtspflicht für Unternehmen. Damit müssten Firmen dokumentieren, wie sie Menschenrechtsstandards entlang der Lieferketten einhalten. Das Diakonische Werk geht beim Thema Nachhaltigkeit mit gutem Beispiel voran. In den rund 30.000 Einrichtungen wird etwa die Beschaffung verschiedenster Materialien nach Nachhaltigkeitskriterien entschieden.
Unbehagen lösten Rathfelders Ideen dagegen bei Christoph Minhoff aus, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie (BVE). Man dürfe den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben hätten. Die Mitglieder seines Verbands würden jeden Tag dafür sorgen, dass allein in Deutschland rund 82 Millionen Menschen satt werden. Für Minhoff liegt die Entscheidung für nachhaltigeren Konsum nicht am Angebot, sondern an den Bedürfnissen der Verbraucher. „Es gibt kaum eine Branche, die so schnell auf die Wünsche der Kunden reagiert“, sagt Minhoff. Der Trend zu nachhaltigen Produkten würde durchaus wahrgenommen. Ein Großteil der Kunden wolle jedoch nicht zwingend nachhaltigere Produkte zu höheren Preisen kaufen.
Die Debatte zeigt: Die Gräben zwischen Nachhaltigkeitsexperten und Vertretern aus Politik und Wirtschaft sind tief, doch nicht unüberwindbar. Das zeigten nicht zuletzt die vielen Vorschläge aus dem Publikum. Etliche Zuhörer wünschen sich vor allem eine Politik, die nicht länger verwaltet, sondern gestaltet und klar erkennbare Vorbilder für Nachhaltigkeit in Politik und Wirtschaft. Ein nachhaltiges Leben solle alle Bevölkerungsgruppen einschließen und Mut zu Veränderungen haben.