In Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wird seit langem über das Thema Nachhaltigkeit in Deutschland debattiert. Doch wo genau aus Debatten auch Taten werden, darüber wird nur wenig bekannt. Für die ehemalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sind die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung das „bestgehütete Geheimnis der deutschen Politik“.
Dabei seien die Ziele der Agenda 2030, also die UN-Nachhaltigkeitsziele, in einer Zeit, in der immer mehr Staaten den Rückzug in den Nationalismus anträten, ein Bollwerk gegen Strömungen, die die Transformation aufhalten wollen, sagte Wieczorek-Zeul bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 4. Juni in Berlin.
Die ehemalige Bundesministerin, die auch Mitglied im RNE ist, fordert die Bundesregierung auf, mehr für die Agenda 2030 zu werben. Sie plädiert zudem für einen UN-Nachhaltigkeitsrat, der weit über den Stichtag hinausdenkt. Ein solches Gremium könne dafür sorgen, dass die Agenda-Ziele nicht in Vergessenheit geraten, sagte Wieczorek-Zeul.
Nachhaltigkeit setzt beim Menschen an
Nachhaltigkeit ist bei weitem nicht nur ein globales Thema, beispielsweise, wenn es um Klimaschutz oder den Kampf gegen Armut weltweit geht. Eine nachhaltige Entwicklung setzt in erster Linie bei den Menschen an. Für Karin Fehres, Vorstand Sportentwicklung beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), ist Nachhaltigkeit ein zentrales Thema im Sport.
In kaum einem anderen gesellschaftlichen Feld werde Integration und Inklusion so intensiv gelebt. „Sport ist eben mehr als 1:0“, sagte Fehres bei der RNE-Jahreskonferenz beim Programmpunkt „Taten – mitten in der Gesellschaft“. Der DOSB entwickelt derzeit eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie, die die verschiedenen sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte zusammenführt und Ziele für die Zukunft aufstellt.
Rund 90.000 Sportvereine gibt es in Deutschland. Tausende Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit und in der Regel ohne Bezahlung in den Vereinen. „Unser Land lebt vom Ehrenamt“, sagte Fehres. Sie wünscht sich eine stärkere Wertschätzung der Arbeit der Freiwilligen und eine ausgewogenere Berichterstattung über den Sport. Es sei nicht nur wichtig zu erfahren, welcher Spieler zur WM mitkomme, sondern auch andere Aspekte des Sports müssten mehr Raum bekommen.
Dass Nachhaltigkeit in der Berichterstattung zu kurz kommt, räumt auch Thomas Bellut, Intendant des ZDF, ein. Zwar berichtet das Medienhaus in seinem Programm bereits über Umweltschutz, soziale Themen und nachhaltige Lebensweisen und will damit in die Gesellschaft hineinwirken. Zudem macht das Unternehmen über eigene Aktionen, zum Beispiel Preisverleihungen oder Spendenveranstaltungen, aufmerksam auf Missstände oder die Bedürfnisse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Dennoch sagte Bellut in der Expertenrunde bei der RNE-Jahreskonferenz: „Wir müssen uns dem Thema verstärkt annehmen.“ Zum Beispiel, was die Integrationsarbeit über das Ehrenamt angeht oder was Nachhaltigkeit im Großen bewirken kann. Der Auftrag sei klar formuliert, sagte der ZDF-Intendant.
Nachhaltigkeit geht nicht ohne Bürgerbeteiligung
Das sieht auch Ullrich Sierau, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, so. „Die Lebenswirklichkeit der Menschen muss auf kommunaler Ebene verbessert werden“, sagte Sierau, stellvertretend für die Kommunen bei der RNE-Jahreskonferenz. „Nachhaltigkeit ohne Bürgergesellschaft geht nicht.“
Dortmund wurde mehrfach für sein nachhaltiges Engagement ausgezeichnet und wird häufig als Stadt der Transformation bezeichnet. Sierau forderte jedoch mehr Unterstützung – auch seitens des Bundes – bei der Integration. „Wir müssen die Armut bekämpfen. Wir werden mit dem Thema allein gelassen“, sagte der Oberbürgermeister. Als eines der dringlichsten Themen sieht er die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und guten Arbeitsplätzen. Um eine echte nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, sei hier das Zusammenspiel gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Akteure nötig.