Am Anfang stand ein Appell. So wie es die Menschenrechte schon sind, müsse „Nachhaltigkeit ein universelles Prinzip“ werden, sagte Peter Altmaier, CDU-Kanzleramtsminister. Das zeige aktuell der Flüchtlingszuzug. Derzeit seien weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr. Und dort, wo die Flüchtlinge herkommen, sei die „Nachhaltigkeit gescheitert“, haben Umweltpolitik, Partizipation und Rechtsstaatlichkeit gefehlt. Das ließe sich nicht „über Nacht reparieren“. Aber es sei eine „Aufgabe an uns, das Thema ernst zu nehmen und es in andere Länder zu exportieren“.
So eröffnete der Kanzleramtsminister am letzten Mittwoch die bundesweite Dialogreihe „Globale Nachhaltigkeitsziele – nationale Verantwortung“ zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2016. Zum Auftakt in Berlin kamen hochrangige Politiker, Wissenschaftler, Manager und Vertreter aus Verbänden. In den nächsten Monaten schließen sich vier Bürgerkonferenzen in Dresden, Stuttgart, Bonn und Hamburg an.
„Es geht um nicht weniger als alles“, meinte Altmaier. Die Nachhaltigkeit ist eines der wenigen Themen, das nicht in einem Ministerium, sondern direkt im Kanzleramt angesiedelt sind. Die Regierung will mit einer neuen Nachhaltigkeitsstrategie dem Auftrag nachkommen, den alle Staaten der Welt haben: Sie sollen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umsetzen, die die Vereinten Nationen im September in New York verabschiedet haben.
Im globalen Maßstab vorangehen
Als„Weltzukunftsvertrag“ bezeichnete Entwicklungsstaatssekretär Friedrich Kitschelt die 17 Ziele und 169 Unterziele, um „allen Menschen der Welt ein Leben mit Würde zu ermöglichen“. Marlehn Thieme, die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, betonte: „Da es sich um einen gesellschaftlichen, nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, ist es wichtig, für Vertrauen in den Prozess zu sorgen – und voranzugehen“.
Die Frage aber ist, wo die Regierung anfängt, welche Prioritäten sie setzt, wie sie Konflikte löst und Fortschritte messbar macht. Die Bürger, so die Idee, sollen darüber mit diskutieren. Der Auftakt zum Dialog gab einen Eindruck davon, um was es geht.
„Wir müssen dafür sorgen, dass die Preise die Wahrheit sagen, um Energie- und Ressourceneffizienz voranzubringen“, forderte Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der Co-Präsident des Club of Rome. „Redet man vom Boden, kriegt man Ärger mit den Landwirten, aber sonst interessiert es keinen“, meinte indes der ehemalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer. Dieser sei aber „extrem belastet“ und müsse „Priorität“ bekommen.“
Für einen besonderen Akzent sorgte Töpfer, als er seinen Platz auf dem Podium spontan zur Verfügung stellte, um einem Teilnehmer unter 18 Jahren das Wort zu geben. Er machte damit auf ein tatsächlich bestehendes Defizit des Podiums aufmerksam. So prägte Töpfer einmal mehr die Debatte um Zukunft und ermöglichte es, den Sorgen der nachwachsenden Generation auch Gehör zu geben (übrigens blieb er auf dem Podium, aber ein weiterer Stuhl für einen weiteren Teilnehmer wurde herbeigeschafft).
„Waffenexporte stoppen“, „Finanztransaktionssteuer fördern“, „Tiefseebohrungen verhindern“ forderten Teilnehmer. Anderen ging es darum, Jugendliche stärker zu Wort kommen zu lassen. In der bayerischen Stadt Pfaffenhofen verwaltet zum Beispiel das Jugendparlament das Preisgeld der Allianz Umweltstiftung, das der Ort an der Ilm bekommen hat als er den Deutschen Nachhaltigkeitspreis als nachhaltigste Kleinstadt Deutschlands erhielt. Tun lässt sich einiges – und muss es auch.
Nachhaltigkeit als Staatsziel
Marlehn Thieme hatte schon zum Auftakt der Konferenz eine Aufwertung der Nachhaltigkeitspolitik durch die Bundesregierung gefordert. So sei bislang Nachhaltigkeit zum Beispiel nicht als Staatsziel im deutschen Grundgesetz verankert. Dies sei aber „notwendig, damit der Staat, die Bürger und ihre politischen Mandatsträger und die Wirtschaft entschlossener und verlässlicher als bisher in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung tätig werden“.
„Da sollten wir uns ranmachen“, meinte auch Klaus Töpfer in Berlin. Werde die Nachhaltigkeit dann als Staatsziel aufgenommen, sei dies aber nur „die halbe Miete“, so Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, GIZ. Es müsse mit Leben gefüllt werden.
Schneller ließe sich womöglich ein anderer Vorschlag umsetzen, den Andreas Jung, der Vorsitzende des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung, machte. Die Kanzlerin solle jedes Jahr eine Regierungserklärung zur Nachhaltigkeit abgeben, dazu, was gut läuft und was nicht. „Beichtgespräch“ nennt Jung das.
Kanzleramtsminister Altmaier hat nun zwölf Monate Zeit, um alle Vorschläge zu prüfen und gegebenenfalls einzuarbeiten. Im Herbst 2016 soll die neue Nachhaltigkeitsstrategie fertig sein.