Das sind Nachhaltigkeitsberichte
Wie erfolgreich ein Unternehmen wirtschaftet, zeigt sich längst nicht mehr nur anhand einer einfachen Bilanz aus Einnahmen und Ausgaben. Weltweit legen Konzerne auch dar, wie sie mit ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Geschäfte umgehen. Dazu veröffentlichen sie Nachhaltigkeitsberichte, die weit mehr sind als eine Sammlung von Daten und Beschreibung von Prozessen.
Sie sollen das komplexe Thema Nachhaltigkeit strukturieren und messbar machen, Zielkonflikte darlegen und zeigen, ob Ziele auch erreicht werden. Eine „strategische Reise“ nennt die Global Reporting Initiative diesen langfristigen Wandel von Unternehmen. Im Englischen werden oft die Begriffe CSR-Report oder ESG-Report verwendet, was für Corporate Social Responsibility (unternehmerische Verantwortung) oder Environmental, Social and Governance (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) steht.
Der globale Kontext
Die Bedeutung dieser Berichte lässt sich am besten im globalen Kontext verstehen. Die Staaten der Welt haben sich im Jahr 2015 zu Globalen Nachhaltigkeitszielen und zum Klimaschutz verpflichtet. Bis 2030 sollen Armut und Hunger besiegt sein, die Energieversorgung sauberer werden, Geschlechtergerechtigkeit hergestellt sein und der Raubbau an der Natur gestoppt werden, um nur einige Ziele zu nennen. Ohne die Wirtschaft sind diese Ziele nicht zu erreichen, sie wird als expliziter Akteur erwähnt.
Allerdings geht es nicht nur um ein Geschäft mit Nachhaltigkeit, sondern um eine im Kern nachhaltige Wirtschaft. Die Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD schätzt, dass jährlich 3,3 bis 4,5 Billionen Euro aufgebracht werden müssen, um die Globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen – investiert von einer nachhaltigen Wirtschaft. Nachhaltigkeitsberichte beschreiben diese unternehmerischen Beiträge. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung sieht sie als „Impuls für eine Neuorientierung der Wirtschaft“.
Der Stand der Dinge
Weltweit geht die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsberichte erstellen, in die Tausende. Rund 32.000 Berichte von über 9.000 Organisationen erfasst die Datenbank des wichtigsten globalen Standards, der Global Reporting Initiative. In der Europäischen Union sind die Berichte ab dem Jahr 2017 für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Pflicht. Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf zur nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie vorgelegt.
Die EU-Kommission geht von circa 5.500 direkt betroffenen Unternehmen in Europa aus. Derzeit veröffentlichen nach Zahlen der Umwelt-Ratingagentur oekom research von 42.000 größeren Unternehmen der EU lediglich 2.500 Nachhaltigkeitsberichte. Das verdeutlicht die immense Herausforderung, die betroffenen Unternehmen zu qualifizieren, um aussagekräftige Berichte mit relevanten Informationen zu erhalten. Einen Beitrag dazu will die EU mit einem Leitfaden leisten, wie solche nicht-finanziellen Berichte ab 2017 aussehen könnten. Noch bis zum 15. April können alle Interessierten eine Stellungnahme dazu abgeben.
Blick ins Detail – der Deutsche Nachhaltigkeitskodex
Was genau steht nun in Nachhaltigkeitsberichten drin? Zunächst gibt es eine ganze Reihe von Standards. Wichtige Grundprinzipien haben die Vereinten Nationen mit dem UN Global Compact formuliert. Die Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen werden in diesem Jahr 40 Jahre alt.
Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation regeln zudem, wie Arbeitsrechte in global verzweigten Geschäftsbeziehungen und Lieferketten weltweit wirksam werden können und strukturiert sie in Arbeitsnormen.
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) des Rates für Nachhaltige Entwicklung hat zum Ziel, diese Initiativen zu bündeln, auf das Wesentliche reduziert zu verdichten und ihnen damit zum Durchbruch zu verhelfen. Der DNK umfasst 20 Kriterien, die vier Bereiche abdecken.
Die erste der vier Bereiche dreht sich um das Thema Strategie. Darin zeigen Unternehmen, ob und wie Nachhaltigkeit im Kern der Geschäftstätigkeit angekommen ist. Welche Themen der Nachhaltigkeit sind wesentlich für die Unternehmen, aber auch: Was sind die wesentlichen Geschäftsbereiche des Unternehmens, die einen Beitrag leisten können? Ist das Thema direkt beim Vorstand angesiedelt, wird es als Querschnittsaufgabe wahrgenommen, wie viele Menschen sind für das Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen verantwortlich? Ebenso zählen dazu die Prinzipien, die in der Unternehmenskultur zum Tragen kommen. Zudem erklärt ein Bericht nach dem DNK, wie Nachhaltigkeit gemessen und kontrolliert wird, welche Ziele und Maßnahmen daraus abgeleitet werden und wie weit die Lieferketten einbezogen werden.
Sechs weitere Kriterien beschäftigen sich mit dem Bereich Prozessmanagement. Hier wird es konkret. Wie beispielsweise wird das Management angehalten, die nachhaltigen Ziele zu erreichen? Bei manchen Unternehmen gibt es Bonuszahlungen, wenn die Produkte energieeffizienter und Kunden und Mitarbeiter zufriedener werden. Wie genau wird Nachhaltigkeit kontrolliert, gibt es spezielle Beiräte, beschäftigt sich der Aufsichtsrat damit? Arbeitet das Unternehmen mit Zulieferern an Umweltmanagementsystemen? Wie gestaltet das Unternehmen den Stakeholderdialog mit den Anspruchsgruppen in und außerhalb des Unternehmens, wie werden sie in die Entwicklung der unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie einbezogen? Wie hoch ist der Anteil der Umsätze, der in Forschung und Entwicklung für Nachhaltigkeitsthemen geht? Und: investiert das Unternehmen selbst nachhaltig?
Der dritte Bereich beschäftigt sich mit dem Thema Umwelt und fragt einige messbare Indikatoren ab: Wie viel Wasser, Boden und welche Rohstoffe verbraucht das Unternehmen, wie effizient werden sie eingesetzt, welche Ziele gibt es dazu? Wie hoch sind die CO2-Emissionen und welche Ziele setzt das Unternehmen für die Zukunft?
Im vierten und letzten Bereich geht es um die Gesellschaft. Legt das Unternehmen seine Lobbyarbeit offen über Einträge in entsprechende Register, wie viel wurde an Parteien gespendet, wie viele Eingaben bei Gesetzesvorgaben wurden gemacht, aus denen das Unternehmen einen Vorteil ziehen könnte? Wie wird Vorsorge gegen Korruption getroffen, wie viele Mitarbeiter werden geschult? Es geht in diesem Bereich auch um Chancengerechtigkeit, die Anzahl von Frauen in der Führungsebene, spezielle Förderung von Migranten oder Fortbildungen für Mitarbeiter aber auch um das herausfordernde Thema Menschenrechte.
Was für Standards gibt es noch?
Es gibt verschiedenste Standards, die sich meist an den großen, internationalen Systemen orientieren. Ab 2017 müssen Unternehmen in der EU mit mehr als 500 Mitarbeitern „nichtfinanzielle Erklärungen“ erstellen – das können Nachhaltigkeitsberichte, aber auch im Geschäftsbericht integrierte Informationen über die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen sein. Die Richtlinie, mit der der Deutsche Nachhaltigkeitskodex des RNE kompatibel ist, enthält folgende Standards als Orientierung:
- Eco-Management and Audit Scheme (EMAS)
- The United Nations (UN) Global Compact
- The Guiding Principles on Business and Human Rights implementing the UN ‘Protect, Respect and Remedy’ Framework
- The Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) Guidelines for Multinational Enterprises
- The International Organisation for Standardisation’s ISO 26000
- The International Labour Organisation’s Tripartite Declaration of principles concerning multinational enterprises and social policy
- The Global Reporting Initiative
Wer interessiert sich für Nachhaltigkeitsberichte?
Mittlerweile interessieren sich längst nicht nur Umweltschutzorganisationen, sondern auch Finanzmarktakteure dafür. In der EU sind die Berichte für große Unternehmen bald verpflichtend, damit ist zu erwarten, dass die schiere Menge an verfügbaren Informationen steigt und damit auch deren Relevanz. Auf internationaler Ebene versucht eine Initiative der Vereinten Nationen für Nachhaltige Börsen, die Sustainable Stock Exchanges (SSE) Initiative, das Thema voran zu treiben. Ziel ist es, dass bis Ende 2016 weltweit alle Börsen schriftliche Richtlinien für Nachhaltigkeitsberichterstattung für gelistete Unternehmen erarbeiten – die allerdings freiwillig sind. Jüngst hat sich die US-Technologiebörse Nasdaq angeschlossen.
Vor allem dämmert Investoren langsam, dass sich nachhaltiges Management in unternehmerischen Erfolg auszahlt. In einer Metastudie wertete die Universität Oxford in Zusammenarbeit mit der Investmentfirma Arabesque Partners über 200 Arbeiten aus, die sich mit der Frage beschäftigten, ob sich nachhaltige Unternehmensführung ökonomisch auszahlt. In 88 Prozent der Untersuchungen war das der Fall. Eine Metastudie der Deutsche Asset & Wealth Management und der Universität Hamburg, die über 2000 Arbeiten auswertete, kommt zu einem ähnlich positiven Ergebnis.
Darauf reagieren auch Ratingagenturen. Sie bewerten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und spielen damit eine entscheidende Rolle auf den Finanzmärkten. Die US-Agentur Moodys hat bekannt gegeben, dass Fragen nachhaltiger Unternehmensführung mittlerweile in die Kreditratings einfließen – Nachhaltigkeitsinformationen bringen also möglicherweise niedrigere Zinssätze.
Nicht zuletzt sind es langfristig orientierte Investoren, für die Nachhaltigkeitsinformationen entscheidend sind. Anleger mit einem Kapital von 59 Billionen Dollar (Stand April 2015) haben die Principles for Responsible Investment unterzeichnet, in denen sie sich dazu bereit erklären, soziale und ökologische Aspekte in ihre Anlageentscheidung freiwillig mit aufzunehmen.
Besonders Versicherer, Pensionsfonds und öffentliche Finanzinstitutionen achten auf sozial-ökologische Kriterien, wie eine Untersuchung des französischen Institut Novethic in Zusammenarbeit mit dem Forum für Nachhaltige Geldanlagen zeigt. Demnach haben 90 Prozent der 181 untersuchten Investoren in Europa mit einer Bilanzsumme von 7,4 Billionen Euro Kriterien für verantwortungsvolles Investieren. Etwa, indem sie bestimmte Unternehmen ausschließen oder nur in solche Geld anlegen, die Nachhaltigkeitsberichte erstellen.
Die Kritik
Wenn ein Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt, heißt das nicht, dass es auch Produkte herstellt, die einer nachhaltigen Entwicklung dienen. So rühmt sich beispielsweise der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin seiner Nachhaltigkeitsberichte, mittlerweile wird das Unternehmen im Dow Jones Sustainability World Index geführt. Lockheed Martin produziert allerdings unter anderem Atomwaffen und Kampfflugzeuge.
Das zeigt die Schwächen eines benchmarkinggestützten Ratings, das systemische Risiken und ökonomische Risiken, die im Geschäftszwecke liegen, beiseite läßt. Qualifizierte ESG-Ratings, die sowohl qualitative als auch quantitative Informationen auswerten, sind besser geeignet, diese Risiken zu identifizieren und damit auch im Portfoliomanagement zu vermeiden.
Das Beratungsunternehmen oekom research untersucht regelmäßig, wie nachhaltig internationale Großunternehmen handeln – 2014 erfüllten nur 16,3 Prozent die Mindestanforderungen an nachhaltiges Management. Bisher sind also, trotz vieler Versprechungen, zahlreiche Unternehmen nicht bereit, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Doch selbst wenn sie einen solchen haben ist das keine Garantie, dass ein Unternehmen auch entsprechend handelt – er liefert aber deutliche Hinweise darauf, wenn dem nicht der Fall ist. Er zeigt auf, wann sich Effizienz, Transparenz, gesellschaftliche Verantwortung und Umweltbewusstsein auszahlen.