Unternehmen machen es schon seit 2011: das eigene Nachhaltigkeitsverständnis mit dem Instrument des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) überprüfen. Er ist ein flexibles Instrument zur nicht-finanziellen Berichterstattung, das dabei hilft, sich über das eigene Verständnis von Nachhaltigkeit in Strategie und Arbeitsabläufen klarzuwerden. Nachdem sowohl öffentliche Beteiligungsunternehmen als auch Hochschulen begonnen haben, den vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) entwickelten DNK anzuwenden, hat der Standard nun eine weitere gesellschaftliche Sphäre erreicht.
In einem zweijährigen Prozess hat das Forschungsprojekt „JetztInZukunft: Nachhaltigkeitskultur entwickeln. Praxis und Perspektiven soziokultureller Zentren“ des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim in enger Kooperation mit dem Bundesverband Soziokultur e.V. das bereits existierende Berichtssystem des DNK auf die Soziokultur abgestimmt. Das Vorhaben wurden vom Fonds Nachhaltigkeitskultur des RNE gefördert.
Experten-Workshops, Datenerhebung, Praxis-Feedback
Wie steht es um Nachhaltigkeit in soziokulturellen Zentren? Wie kann klimafreundlich veranstaltet werden? Und wie können Nachhaltigkeit sowie entsprechende Leistungen nicht nur Besucher*innen, sondern auch der Kulturpolitik oder der Öffentlichkeit kommuniziert werden? Zwischen Mai 2018 und September 2020 sind bei Jetzt in Zukunft praxisnahe Handlungsansätze nachhaltiger Entwicklung in der Soziokultur entstanden. Die Idee zum Vorhaben stammte von Christian Müller-Espey, dem langjährigen Leiter eines soziokulturellen Zentrums, und Wolfgang Schneider, emeritierter Professor für Kulturwissenschaften.
„Dr. Müller-Espey hat sich in seiner Dissertation ‘Zukunftsfähigkeit gestalten’ verschiedene Berichtsstandards angeschaut und bewusst für den DNK als Grundlage für das Forschungsprojekt entschieden”, sagt Kristina Gruber, die als Nachfolgerin von Müller-Espey mit dem Sozialwissenschaftler Davide Brocchi das Projekt geleitet hat. „Hier war die beste Anschlussfähigkeit gegeben.” Außerdem habe zur Entscheidung beigetragen, dass der DNK national unterstützt und relativ stark öffentlich wahrgenommen werde.
In einem ersten Schritt entwickelte ein Experten-Workshop mit Teilnehmenden aus soziokulturellen Einrichtungen und Landesverbänden ein an soziokulturelle Einrichtungen angepasstes Format des DNK. Darauf aufbauend wurde die alle zwei Jahre stattfindende statistische Erhebung des Bundesverbandes Soziokultur e.V. unter rund 600 Zentren und Initiativen um das Thema Zukunftsfähigkeit beziehungsweise Nachhaltigkeit erweitert. Unter anderem gaben darin 46 Prozent der Befragten an, dass Nachhaltigkeit eine Rolle in ihrem Programm spielt, weitere 28 Prozent arbeiten eigenen Angaben zufolge darauf hin. Die genannten Beispiele reichten vom Repaircafé über Upcycling-Kunst bis hin zu Bildung für nachhaltige Entwicklung. 44 Prozent nutzen Strom aus erneuerbaren Energien, weitere 22 Prozent streben das an, und 27 Prozent haben in den letzten fünf Jahren eine Energieberatung durchgeführt. „Nachhaltigkeit war und ist in soziokulturellen Einrichtungen ein immanentes Thema”, sagt Margret Staal, Vorstand des Bundesverbands Soziokultur. Zwar werde der Begriff selten verwendet, aber Ökologie sei in vielen Häusern wichtig, „und ressourcenschonend arbeiten müssen und mussten wir schon immer aus der Not heraus: weil wir kein Geld hatten und haben, dass wir verschwenden könnten”.
Einrichtungen stabil und langfristig finanzieren
In einem dritten und letzten Schritt spiegelten die Forscher ihre Erkenntnisse an die Einrichtungen zurück, ließen ihre Ergebnisse in der Praxis erproben und holten Feedback ein, bevor der angepasste Standard und eine Anwendungshilfe Ende 2020 vorgestellt wurden. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts veröffentlichen Wolfgang Schneider, Kristina Gruber und Davide Brocchi in dem bald erscheinenden Buch „Jetzt in Zukunft. Zur Nachhaltigkeit in der Soziokultur” beim oekom Verlag.
In drei zentralen Punkten weicht der DNK für soziokulturelle Einrichtungen von dem für Unternehmen ab: „Ein wichtiges Thema ist die Finanzierung der Zentren und Initiativen: Sie muss langfristig und stabil sein”, sagt Gruber. Wenn die Finanzierung auf wackligen Füßen stehe, führe das dazu, dass Mitarbeitende in prekäre Lagen gerieten. Im Statistikbericht betont der Bundesverband daher die stärkere institutionelle Förderung, Personalkostenzuschüsse und Zuschüsse für Bau und Investitionen.
Eine zweite Ergänzung der Berichtsinhalte des DNK legt den Fokus stärker auf die politisch-strategische Arbeit der Zentren, die sie oft vor Ort in ihrer Kommune oder ihrem Stadtteil leisten. Diese Besonderheiten sowie die Wertschätzung der vielfältigen Programme und Angebote, mit denen gesellschaftlich wichtige Arbeit geleistet werden, hebt der ergänzte fünfte Bereich „Werte schöpfen“ hervor. „Drittens haben wir einige Kriterien zusammengefasst”, sagt Gruber. Soziokulturelle Einrichtungen arbeiteten im Gegensatz zu Unternehmen ja beispielsweise nicht innerhalb globaler Lieferketten, sodass bestimmte Fragen sich hier gar nicht stellten. Dem Verständnis des RNE von Menschenrechte in Lieferketten nach empfiehlt es sich jedoch, den Aspekt beispielsweise im Kontext eigener Beschaffung im Blick zu behalten.
„Der DNK soll und kann die weitere Transformation auch in soziokulturellen Zentren anstoßen und begleiten”, sagt Staal vom Bundesverband Soziokultur. Etwa die Hälfte der Befragten haben laut Daten des Bundesverbands Interesse an einer strategischen Auseinandersetzung. Dabei könne der DNK ein Hilfsmittel sein, auch wenn eine vollständige Berichterstattung in vielen Fällen zusätzliche Ressourcen benötige. Darum plant der Bundesverband nun ein dreijähriges Modellprojekt mit entsprechenden Ressourcen – den notwendigen finanziellen Mitteln für die beteiligten Einrichtungen –, um den Kodex in der Praxis zu testen. Wünschenswert wäre aus Sicht des RNE, dass es zu einer langfristigen Förderung der Soziokultur durch die Politik kommt, um gemeinnützige Strukturen weiter auf ihrem Weg in Richtung nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.