Für Politik und Wirtschaft ist Nachhaltigkeit zwar kein Fremdwort mehr, doch die Mitte der Gesellschaft hat das Thema längst nicht erreicht. Vor allem der Technikglaube der Menschen verhindere Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit, sagt Harald Welzer, Direktor der Stiftung Futur 2/Stiftung Zukunftsfähigkeit.
Bei der ersten Dialogkonferenz „RENN.tage Berlin 2017“ der Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) sprach der Sozialpsychologe von einer Fehlannahme in der Bevölkerung, technische Möglichkeiten könnten einen umweltzerstörerischen Lebenswandel ausgleichen. Den Menschen sei klar, dass ihr Lebensstil große Probleme verursacht, so Welzer. Zugleich würden sie auf diesen nicht verzichten wollen.
Der Sozialpsychologe sprach sich für einen kulturellen Wandel aus, der eine gesellschaftliche Lösung bringen kann. „Uns ist es bisher nicht gelungen, eine Zukunftserzählung zu machen“, sagte Welzer. Bedeutet: Es geht nicht darum, noch mehr Wissen über die Folgen des Klimawandels anzuhäufen oder gar um moralische Ansprüche. Vielmehr geht es darum, gute zukunftsfähige Beispiele zu finden. Etwa beim Verkehr: Gebe es ein gutes öffentliches Verkehrssystem in Deutschland, würden die Menschen dies nutzen und weniger Auto fahren. „Wir können eine andere Art der Mobilität praktizieren“, so Welzer. Mit den kulturellen Veränderungen würde auch ein nachhaltiger Lebensstil zum Standard. Denn den Bürgern wird klar: Alternative Handlungsweisen sind attraktiv, vorteilhaft und sinnvoll. Nachhaltigkeit wird dann ein positiver Nebeneffekt.
Kleine Projekte, große Wirkung
Anstoß für einen solchen gesellschaftlichen Wandel bringen Nachhaltigkeitsprojekte, die im Kleinen etwa in den Städten und Gemeinden entstehen und dann ganze soziale Bewegungen anstoßen. Etliche gute Beispiele setzt die Anstiftung München um. In Repair-Cafés, in denen Elektrogeräte vor dem Müll gerettet werden oder in der Opensource-Bewegung, die Software für alle kostenlos bereitstellt, sieht die Geschäftsführerin der Initiative, Christa Müller, einen Weg, eine bessere Welt zu gestalten. „Es geht immer darum, Dinge in die Welt zu bringen, die gut sind“, sagte Müller. Sie sieht in den Projekten Möglichkeiten, neue Dinge auszuprobieren, abseits der gängigen und etablierten Modelle.
Alternativen zu entwickeln braucht Zeit, Experten und den Raum, ohne finanziellen Druck an Nachhaltigkeitsprojekten zu tüfteln. Für Sylvia Veenhoff vom Umweltbundesamt ist die Nische der passende Ort dafür. Die Behörde selbst arbeitet an Projekten, die nach Alternativen etwa in der Infrastrukturtechnologie oder auch für die kommunale Versorgung sucht. Projekte anzustoßen, reicht ihr jedoch nicht aus. „Die Förderung von Nischen muss eingebettet sein in einen größeren Rahmen“, sagte Veenhoff. Nischen seien ein wichtiger Baustein, aber letztlich müssten sie zu konkretem politischen Handeln führen.
Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit
Doch kann sich die Gesellschaft leisten, sich diese Zeit zu nehmen? Die Erderwärmung ist kaum aufzuhalten, die Müllberge wachsen, politische Querelen verhindern strengere Vorgaben für mehr Klimaschutz. „Unser Handeln ist dringlich“, sagte Christine Wenzl, Leiterin Nachhaltigkeit beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Wenn wir die planetaren Grenzen wahren wollen, dann müssen wir unseren Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren.“ Sie drückt aufs Tempo, wenn es um Nachhaltigkeitsmaßnahmen geht. Für sie sind kleine und kommunale Bewegungen ebenso wichtig wie politische Vorgaben, etwa die Öko-Design-Richtlinie. Über sie sollen die Umweltfolgen bei der Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Produkten gemindert werden.
Doch sorgt ein erhöhter zeitlicher Druck automatisch für Erfolge auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit? „Soziale Prozesse brauchen Zeit und haben eine eigene Logik“, sagt Sozialpsychologe Harald Welzer. Sein Appell: Von der Dringlichkeit darf man sich nicht verrückt machen lassen.