Nachhaltigkeitsrat sieht deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Momentum für mehr Nachhaltigkeit in Europa

Berlin, 30. Juni 2020 – „Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verbindet der Rat für Nachhaltige Entwicklung große Erwartungen: alle europäischen Mitgliedstaaten sollten den Weg aus der Krise am Leitprinzip der Nachhaltigkeit ausrichten und den geplanten 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds von Anfang an feinmaschig mit dem European Green Deal verweben. Eine solidarische und nachhaltige Bewältigung der Krise wird auch ein starkes Zeichen für eine erfolgreiche deutsche EU-Ratspräsidentschaft sein“, erklärte Ratsvorsitzender Dr. Werner Schnappauf. Er warnte zugleich vor einem Rückfall in alte Muster und Gewohnheiten. Denn Nachhaltigkeit bedeute bessere Vorsorge, höhere Resilienz und innovatives, qualitatives Wachstum. Konkret forderte Schnappauf eine wirklich integrierte europäische Energie- und Klimapolitik, den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und eine europäische Wasserstoffstrategie. Insgesamt gelte es, „Sustainable Europe“ zu bauen, das Momentum hierfür sei genau jetzt.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat seit seiner Neuberufung zu Beginn des Jahres insgesamt sechs Stellungnahmen und Empfehlungen vorgelegt, die eine große Themenbreite von Wasserstoff über Ernährungssysteme, Lieferketten, Sustainable Finance, den Weg aus der Corona-Krise und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie behandeln – und immer auch die europäische Dimension einbeziehen.

Erst kürzlich hatte die Bundeskanzlerin auf der Online-Konferenz des Nachhaltigkeitsrats bekräftigt, dass das Maßnahmenpaket der Bundesregierung kurz- und langfristigen Zielen dienen solle und damit „gleichermaßen die Folgen der Pandemie eindämmen und in nachhaltige Entwicklung investieren“ werde. „Dies gilt genauso für Europa“, sagte Schnappauf.

Prof. Dr. Imme Scholz, stellvertretende Ratsvorsitzende und stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), ergänzte: „Auch die Verantwortung der Unternehmen für soziale und ökologische Standards in ihren Lieferketten gehört auf die Tagesordnung der EU-Ratspräsidentschaft, genauso wie die Neuausrichtung der Agrarpolitik auf nachhaltige Ernährungssysteme. Das betrifft die Beschäftigungsbedingungen ebenso wie die Qualität der Produkte und Produktionsprozesse. Nachhaltige Entwicklung für uns und für alle Menschen weltweit erreichen wir nur, wenn wir jetzt in diesen Politikbereichen mutig voranschreiten.“

Konkret fordert der Rat von der Bundesregierung in den nächsten sechs Monaten:

Ökologische und soziale Zusammenarbeit in der EU zu stärken, insbesondere die mittel- und langfristigen Maßnahmen des geplanten Wiederaufbau-Fonds („recovery fund“) zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und des European Green Deal intelligent miteinander zu verweben und auszugestalten.

Bei den entscheidenden Themen des Green Deals auf ein notwendiges Nachsteuern bei den Vorschlägen der Kommission zu drängen. Diese sind insbesondere die Energietransformation, Ernährungssysteme, Transport sowie nachhaltiger Konsum und Produktion. In Bezug auf Ernährungssysteme sowie bei Produktion und Konsum von Gütern muss die EU ihren globaler Ressourcenfußabdruck reduzieren. Dafür sollte ein ambitionierter Maßnahmenplan entwickelt werden. Beim Thema Transport sollten Institutionen und Infrastruktur für den Personenschienenverkehr in der EU ausgebaut sowie innereuropäische Flüge besteuert werden. Außerdem erwartet der Rat, dass Beschlüsse zu Zielsetzungen und Maßnahmen, die die Umsetzung der Agenda 2030 in den nächsten sieben bis zehn Jahren erfordert, von der Europäischen Kommission vorbereitet werden und sich auch im Mehrjährigen Finanzrahmen abbilden.

Gemeinsame Wiederaufbau- und Transformationsfinanzierung zu schaffen, beispielsweise indem die Verhandlungen zu Sustainable Finance auf europäischer Ebene sowie die Umsetzung des Green Deal vorangetrieben werden. Das bedeutet auch:

Sich mit substanziellen Beiträgen an einer nachhaltigen Umsetzung des Green Deals zu beteiligen und den Mitteleinsatz zum sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Krise so zu steuern, dass die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens und der Agenda 2030 damit erreicht werden können, und zwar sowohl in Deutschland als auch in Europa und weltweit. Um diesen hohen Grad an Zukunftsorientierung und politischer Konsistenz zur Vorbeugung weiterer Krisen und zur Förderung von sozialer Resilienz zu erreichen, muss sich die Bundesregierung entsprechend in der EU, der G7 und der G20 einsetzen.

Strategische Partnerschaften beim Thema Wasserstoff in Europa und international aufzubauen und zu stärken. Ein europäisch abgestimmtes Vorgehen beim Aufbau eines grünen Wasserstoffmarktes wertet der Rat als große Chance, um neue Wertschöpfungsketten zu etablieren und den raschen Hochlauf neuer Technologien zu unterstützen. Der RNE drängt deshalb auf eine europäische Lösung und auf internationale Partnerschaften. Gerade mit den sonnenreichen Ländern Europas, Afrikas und darüber hinaus gilt es, Win-Win-Lösungen zu schaffen. Bei Partnerschaften mit Entwicklungsländern müssen dabei deren nationale Entwicklungsziele im Vordergrund stehen.

Lieferketten zu diversifizieren und Kreislaufwirtschaft zu fördern um auch regionale, nationale und europäische Beschaffungsoptionen zur Verfügung zu haben. Zu diesem Zweck ist es wichtig, strategische Wertschöpfungsketten für Europa zu definieren, z. B. bei lebenswichtigen Arzneimitteln. In der Corona-Pandemie hat sich die Bedeutung von fairen, an ökologisch orientierten und deswegen resilienteren Lieferbeziehungen deutlich gezeigt. Der RNE empfiehlt außerdem den Ausbau der Kreislaufwirtschaft in der Nachhaltigkeitsstrategie verstärkt zu verankern. Dazu sollte ein gemeinsamer europäischer Markt für Sekundärrohstoffe vorangetrieben werden, z. B. durch eine weitere Vereinheitlichung rechtlicher Bestimmungen.

Eine europäische Liefergesetzgebung zu initiieren und die Debatte entlang der Leitlinien eines deutschen Vorschlags führen. Die Bundesregierung sollte beim Thema nachhaltige Lieferketten parallel sowohl im eigenen Land als auch auf europäischer Ebene vorangehen. Wenn es auf EU-Ebene keinen ausreichenden Verhandlungsfortschritt gibt, sollte dann umgehend ein Lieferkettengesetz in Deutschland auf den Weg gebracht werden.

Eine umfassende Neuausrichtung der GAP einzuleiten, da die derzeitigen Zwischenstände in den Verhandlungen auf EU-Ebene aus Sicht des RNE für eine nachhaltige Agrarwende nicht ausreichen. Der RNE fordert daher die EU-Institutionen zu mutigen Schritten hin zu einem ökologisch, sozial und wirtschaftlich ausgewogenen Ernährungssystem auf. Die Mittel der gemeinsamen Agrarpolitik sollten zunehmend dazu genutzt werden, nachhaltige Formen der Landnutzung zu fördern.

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Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) berät die Bundesregierung zur Nachhaltigkeitspolitik. Er ist in seiner Tätigkeit unabhängig und wird seit 2001 alle drei Jahre von der Bundesregierung berufen. Ihm gehören 15 Personen des öffentlichen Lebens aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Politik an. Den Vorsitz führt seit 2020 Dr. Werner Schnappauf, stellvertretende Vorsitzende ist Prof. Dr. Imme Scholz. Der Rat führt auch eigene Projekte durch, mit denen die Nachhaltigkeit praktisch vorangebracht wird. Zudem setzt er Impulse für den politischen und gesellschaftlichen Dialog. Der Rat wird von einer Geschäftsstelle mit Sitz in Berlin unterstützt.

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