Mit einer neuen Strategie verstärkt Nordrhein-Westfalen seine Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit im Land. „Wir übernehmen Verantwortung und wollen auf dem Weg zu einem nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Land eine neue Stufe der Konkretisierung erreichen“, bewertet NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) das Konzept. „Nachhaltigkeit bedeutet die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft mit ökologischer Verantwortung. Deshalb setzt sich die Landesregierung für gute Arbeit, für ambitionierte Umweltstandards und für einen nachhaltigen Industriestandort ein.“ Die neue Nachhaltigkeitsstrategie soll eine Art Leitfaden dafür sein.
NRW leistet mit dem Konzept einen Beitrag zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele, also der beim UN-Gipfel im September 2015 in New York verabschiedeten Agenda 2030. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die gerade überarbeitet wird, spielen die Länder eine wichtige Rolle. Wie das Thema von den Landesregierungen und Kommunalbehörden umgesetzt wird, bleibt den Zuständigen vor Ort überlassen.
Messbare Entwicklung der Nachhaltigkeitsindikatoren
Das NRW-Konzept wurde von einer interministeriellen Arbeitsgruppe der Landesregierung unter der Federführung des Umweltministeriums erarbeitet. Mitte Juni beschloss das Kabinett die Strategie. Im Zentrum steht ein Ziel- und Indikatorensystem für 19 zentrale Handlungsfelder. Zu den Indikatoren zählen etwa der Anteil der Erneuerbaren Energien, die Recyclingquote, die Schere zwischen Arm und Reich in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens, aber auch die Anzahl der Kommunen, die eigene kommunale Beschlüsse zur nachhaltigen Entwicklung verabschiedet haben.
Das Statistische Landesamt soll die Entwicklung der Indikatoren aufbereiten und alle zwei Jahre in einem Bericht über Fortschritte informieren. Laut Umweltminister Remmel geht NRW mit diesem Ansatz neue Wege. „Auf dieser Grundlage wird die Entwicklung jederzeit mess- und interpretierbar sein“, sagt der Grünen-Politiker.
Die Nachhaltigkeitsziele in Nordrhein-Westfalen sollen die Vorgaben der Bundesregierung unterstützen. So will das Land bis 2020 Treibhausgase um mindestens 25 Prozent reduzieren, bis 2050 um 80 Prozent. Diese Werte entsprechen den Plänen der Bundesregierung. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien will NRW nachziehen. Bis 2025 sollen mehr als 25 Prozent des Stroms aus regenerativen Energien gewonnen werden. Dann soll bis 2050 weiter ausgebaut werden, um das bundesweite Ziel von mehr als 80 Prozent erneuerbarer Energien zu erreichen.
Auch die Artenvielfalt soll bis 2030 gestärkt werden und deutlich weniger Tiere und Pflanzen auf der Roten Liste erscheinen. Zudem will die Landesregierung beweisen, dass mehr Nachhaltigkeit für mehr Jobs sorgt. Mindestens 420.000 Menschen sollen bis 2025 in der Umweltwirtschaft beschäftigt sein und damit eine „substanzielle Steigerung“ in diesem Sektor bewirken. Teil der Strategie ist zudem der Umgang mit dem demografischen Wandel. Vor allem ältere Frauen sollen die Chance bekommen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
Als Vorreiter in den Ländern gilt die Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württembergs. Die Landesverwaltung hat einen Nachhaltigkeitscheck für alle Gesetze und Verordnungen eingeführt. Bis 2040 soll es eine nahezu klimaneutrale Behördenstruktur geben. Alle Ministerien müssen einen Nachhaltigkeitsbericht abgeben. Das Thema ist Chefsache, unterstützt wird Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) von einem Beirat, dem Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft angehören. Auch Baden-Württemberg orientiert sich an den globalen Nachhaltigkeitszielen und setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Bund.
„Es gilt das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“, heißt es aus dem baden-württembergischen Umweltministerium. „In jedem Land können die Ziele auf die unterschiedlichen Bedürfnisse abgestimmt, gewichtet und umgesetzt werden. Das gilt für die Ebene der Bundesländer genauso wie für die kommunale Ebene.“ Notwendig sei ein abgestimmtes, gemeinsames Handeln zwischen den beteiligten Akteuren von Bund und Ländern, in Zusammenarbeit mit Kommunen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kirchen.
Kompetenz liegt in den Regionen
Auch für Gerald Berger vom European Sustainable Development Network (ESDN) führt nur eine gute Zusammenarbeit zum Erfolg. Natur- und Umweltschutz, Armutsbekämpfung, aber auch Wirtschaftsentwicklung unter Nachhaltigkeitsaspekten müssten auf regionaler Ebene gelöst werden, da sie dort die stärkste Auswirkung hätten, sagt Berger. „Gerade bei föderal strukturierten Ländern wie Deutschland oder Österreich liegt hier die Kompetenz in vielen Politikbereichen der Nachhaltigkeit.“ Er sieht die Konzepte der Regionen aber keineswegs als Gegensatz zu nationalen Nachhaltigkeitsstrategien. Ganz im Gegenteil. „Die Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sollten sich als übergeordnete Ziele auch in den regionalen Nachhaltigkeitsstrategien spiegeln, damit gemeinsam eine Zielerreichung funktioniert“, sagt Berger.
Damit dies auch funktioniert, empfiehlt der Politikwissenschaftler ganz praktische Maßnahmen: Die Koordinatoren auf nationaler und regionaler Ebene sollten sich mindestens zwei Mal im Jahr treffen und Fortschritte bei der Umsetzung der Strategien besprechen. Dabei soll geprüft werden, ob internationale Vorgaben wie beispielsweise die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen integriert werden. Zudem spricht sich Berger für eine große Nachhaltigkeitskonferenz im Jahr aus, bei der Bund und Länder gemeinsam ihre Erfolge, aber auch Probleme der Öffentlichkeit vorstellen.