Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland braucht jetzt eine mutige Politik und einen Aufbruch in Gesellschaft und Wirtschaft: Wir brauchen eine Strategie für den zügigen Übergang zu Klimaneutralität bei gleichzeitigem Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit, im Einklang mit den planetaren Grenzen. Eine Strategie, die soziale Spaltungen vermeidet und überwindet, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt sowie einen Beitrag leistet, die Zusammenarbeit in der Staatengemeinschaft auf das globale Gemeinwohl auszurichten.
Ohne eine grundlegende, weltweite Kurskorrektur in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft drohen eine Erderhitzung um mehr als drei Grad und ein dramatischer Verlust an Biodiversität und Lebensräumen, eine dauerhafte Gefährdung von Wohlstand und Entwicklungschancen in ärmeren wie reicheren Ländern und eine Zunahme gesellschaftlicher Zerreißproben mit ernsten Gefahren für Demokratie und Menschenrechte.
In dieser kritischen Situation wenden wir uns erstmals gemeinsam als Vorsitzende und Mitglieder unterschiedlicher, die Bundesregierung und den Bundestag beratender Gremien an Sie als die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, die einen neuen Koalitionsvertrag aushandeln und Deutschland in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts gestalten wollen.
Nach unserem Eindruck sind weite Teile von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland bereit, die anstehenden Transformationen mit zu gestalten. Gleichzeitig haben sich viele Staaten weltweit auf Grundlage des Pariser Klimaübereinkommens zum Ziel der Klimaneutralität gegen Mitte des Jahrhunderts bekannt. Erforderlich sind nun klare Weichenstellungen durch die Politik, die im Einklang mit der UN-Nachhaltigkeitsagenda den ordnungspolitischen Rahmen auf den Klima- und Ressourcenschutz und die Erhaltung der Biodiversität ausrichten und die Klimapolitik global stärker in den Mittelpunkt rücken.
Kernelemente einer solchen zukunftsfähigen Entwicklung in Deutschland sind unter anderem:
- der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem Windkraft und Photovoltaik – als Basis für einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern,
- ein umfangreicher und zügiger Infrastrukturausbau für die Energiewende sowie eine klimafreundliche Mobilität,
- der Einstieg in eine Wasserstoff-Ökonomie,
- ein effektiver Schutz der biologischen Vielfalt und damit auch der unverzichtbaren Ökosystemleistungen für Gesellschaft und Wirtschaft sowie eine konsequente Reduzierung des Flächenverbrauchs,
- der Aufbau von Kooperationen für den globalen Handel erneuerbarer Energien sowie von Technologiekooperationen weltweit,
- der Aufbau einer klimaneutralen und ‘ressourcenleichten’ zirkulären Ökonomie, in der Wiederverwendbarkeit und Langlebigkeit von Beginn an mitgedacht werden,
- eine Verkehrswende, die emissionsarme Antriebe mit neuen Mobilitätskonzepten und dem Ausbau der öffentlichen Verkehre verbindet, um attraktive Angebote für Bürgerinnen und Bürger in Stadt und Land zu machen, und
- Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme, die die Kernempfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft aufgreift.
Insgesamt müssen Anstrengungen unternommen werden, um eine sozial gerechte Verteilung der Nutzen und Lasten aus den Transformationsfolgen zu erreichen (z.B. über eine deutliche finanzielle Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Senkung der Abgaben und Umlagen beim Strompreis) und negative Folgewirkungen unseres Handelns auf globaler Ebene zu vermeiden.
Jede dieser Transformationen ist für sich genommen bereits eine hochkomplexe Aufgabe. Zusammengenommen werden sie in ihren Interdependenzen die Wandlungs- und Reformfähigkeit der Gesellschaft auf eine große Probe stellen, es ergeben sich aber auch große Chancen für eine lebenswerte Umwelt und Gesellschaft sowie menschliche Gesundheit. Klar ist aber auch: Ohne substanzielle nationale und globale Anstrengungen wird der aktuelle Entwicklungspfad die planetaren Grenzen überschreiten.
Daher brauchen wir auch eine Ausrichtung der auswärtigen Politiken und der internationalen Zusammenarbeit Deutschlands an den Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und des Pariser Klimaübereinkommens sowie internationale strategische Partnerschaften auf Augenhöhe.
Notwendig ist aus unserer Sicht eine zielorientierte Nutzung verschiedener „Hebel“. Dazu gehören für uns vor allem die konsequente Ausrichtung des Systems der Steuern und Abgaben auf den Klima- und Umweltschutz, der vollständige Abbau von Subventionen für fossile Energieträger und die Schaffung eines exzellenten Umfelds für technologische und soziale Innovationen. Weiteren auf eine nachhaltige Zukunft ausgerichteten Digitalisierungsschritten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Um privates Kapital für die Transformation zu mobilisieren, ist die Ausrichtung der Regeln für marktwirtschaftliche Preisgestaltung an den ökologischen und sozialen Folgekosten unerlässlich. Dazu gehört auch eine Stärkung des Emissionshandels und seine sektorübergreifende Verankerung auf europäischer Ebene. Zudem muss die Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgebaut und stärker vergleichbar werden, auch mit Blick auf die Bereitstellung geeigneter Verbraucherinformationen.
Darüber hinaus halten wir es für erforderlich, die Arbeitsweise der Bundesregierung sowie der Verwaltung an die dargestellten Herausforderungen anzupassen. Wir empfehlen dazu den Ausbau der ressortübergreifenden Kooperation in Schlüsselbereichen nachhaltiger Zukunftsgestaltung, u.a. über eine Stärkung der Steuerungsfunktion des Bundeskanzleramts sowie eine Verwaltungsmodernisierung mit schlagkräftigen und strategiefähigen Strukturen in den Ministerien. Zudem brauchen wir beschleunigte Planungs- und Umsetzungsprozesse auf allen Ebenen, z.B. durch effizientere und stärker digitalisierte Prozesse, durch eine bessere Personalausstattung in allen relevanten Behörden und Gerichten sowie durch eine Reform des Planungsrechts.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik und insbesondere dem Gesetzgeber aufgetragen, die Freiheit gegenwärtiger und künftiger Generationen auch angesichts der Folgen des Klimawandels zu gewährleisten und gerecht auszubalancieren. Wir appellieren an Sie, nachhaltige Entwicklung zum prägenden und strukturierenden Leitmotiv der neuen Legislaturperiode zu machen und die notwendigen Veränderungen mit Mut anzugehen.
Gerne stehen wir Ihnen für weiterführende Gespräche und Beratungen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Initiator*innen
Werner Schnappauf, Imme Scholz
Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Rat für Nachhaltige Entwicklung
Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Achim Truger, Volker Wieland
Mitglieder, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Anna-Katharina Hornidge, Gesine Schwan
Co-Vorsitzende, Sustainable Development Solutions Network Germany
Karen Pittel, Sabine Schlacke
Co-Vorsitzende, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Daniela Jacob, Mark Lawrence, Christa Liedtke
Co-Vorsitzende, Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Weitere Unterstützer*innen
Marianne Beisheim, Manuel Fröhlich, Thilo Marauhn
Mitglieder, VN-politischer Beirat
Bodo von Borries, Kira Vinke
Co-Vorsitzende, Beirat der Bundesregierung zivile Krisenprävention und Friedensförderung
Andreas Löschel
Vorsitzender, Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“
Peter Kenning, Louisa Specht-Riemenschneider
Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
Ferdinand Gerlach, Petra Thürmann, Jonas Schreyögg
Vorsitzender und Mitglieder, Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
Ute Klammer
stellv. Vorsitzende, Sozialbeirat
Karsten Löffler, Silke Stremlau
Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Sustainable-Finance-Beirat
Klaus Schmidt
Vorsitzender, Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Achim Spiller, Hiltrud Nieberg, Britta Renner
Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Peter H. Feindt, Volkmar Wolters
Vorsitzender und stellv. Vorsitzender, Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Jürgen Bauhus, Ute Seeling
Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Wissenschaftlicher Beirat für Waldpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Ottmar Edenhofer, Sabine Schlacke, Timo Busch, Anita Engels, Holger Hanselka, Felix Christian Matthes, Karen Pittel, Ortwin Renn
Vorsitzende und Mitglieder des Lenkungskreises, Wissenschaftsplattform Klimaschutz
Gemeinsamer Ansprechpartner:
Marc-Oliver Pahl
Generalsekretär
Rat für Nachhaltige Entwicklung
T +49 (0) 30 338424-122
M +49 (0) 177 4404 218
E marc-oliver.pahl@nachhaltigkeitsrat.de
Anhang
Auswahl aktueller Stellungnahmen der Beteiligten:
I. Rat für Nachhaltige Entwicklung
Zirkuläres Wirtschaften: Hebelwirkung für eine nachhaltige Transformation
Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung, 2021
Empfehlungen zur Reform der Regierungsarbeit – Bessere Governance für die Nachhaltige Entwicklung
Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung, 2021
Klimaneutralität – Optionen für eine ambitionierte Weichenstellung und Umsetzung
Gemeinsames Positionspapier des RNE und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2021
Aufbruch in ein Jahrzehnt der Nachhaltigkeit
Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung im Vorfeld der Bundestagswahlen 2021
II. SDSN Germany
Nachhaltigkeitspolitik im Krisenmodus
Stellungnahme SDSN Germany
Fünf Vorschläge zur strukturellen Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
Stellungnahme von SDSN Germany
Stellungnahme zur Dialogfassung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2021
III. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Optionen zur Bepreisung von CO2 und Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit sowie sozialen Ausgewogenheit
Sondergutachten 2019 – “Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik”
Energiepreisreform und komplementäre Maßnahmen zur CO2-Bepreisung
Jahresgutachten 2020 – “Klimaschutz als industriepolitische Chance”
Optionen für den CO2 Grenzausgleich und wichtige Designelemente
Arbeitspapier (Garnadt, Grimm, Reuter) 2020 – “Carbon Adjustment Mechanisms: Empirics, Design and Caveats”
Verteilungswirkung der CO2-Bepreisung und Optionen für die Rückgabe der Einnahmen
Arbeitspapier (Preuss, Reuter, Schmidt) 2019 – ” Verteilungswirkung einer CO2 -Bepreisung in Deutschland”
Umsetzung des Klimaschutzgesetz und notwendige Rahmenbedingungen
Namensbeitrag (Grimm, Schnitzer, Truger, Wieland; Handelsblatt.com) 2021 – “Sachverständigenrat: Wer CO2 ausstößt, soll dafür bezahlen”
IV. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
WBGU-Politikpapier: „Über Klimaneutralität hinausdenken“
WBGU-Hauptgutachten: „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“
WBGU-Hauptgutachten: „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“
WBGU-Sondergutachten: „Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation: Die vier großen I”
WBGU-Hauptgutachten: „Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“
V. Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Impulspapier „Nachhaltig aus der Corona-Krise!“ der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030, 2020
Reflexionspapier „Bitte Wenden!“ zur Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, 2019
VI. Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“
Stellungnahme zum zweiten Fortschrittsbericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2017 (2019)
VII. Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
Nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion ermöglichen – Empfehlungen für die Verbraucherpolitik
Christa Liedtke, Hans W. Micklitz, Louisa Specht-Riemenschneider, Peter Kenning, Susanne Dehmel, Sven Scharioth, Veronika Grimm, Nina Baur, 2020
Onlinehandel im Spannungsfeld von Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit
Hans W. Micklitz, Nikola Schiefke, Christa Liedtke, Peter Kenning, Louisa Specht-Riemenschneider, Nina Baur, 2020
Maßnahmen für eine zukunftsgerechte Naturgefahren-Absicherung
Christian Groß, Gert G. Wagner, Reimund Schwarze, 2019
VIII. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Ein CO2-Grenzausgleich als Baustein eines Klimaclubs – Gutachten
Öffentliche Infrastruktur in Deutschland: Probleme und Reformbedarf – Gutachten
Energiepreise und effiziente Klimapolitik – Gutachten
IX. Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
X. Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Stellungnahme: Für einen flächenwirksamen Insektenschutz, 2018
XI. Beirat der Bundesregierung zivile Krisenprävention und Friedensförderung
Klimawandel und Konflikte. Herausforderungen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik
XII. Wissenschaftlicher Beirat für Waldpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Gutachten: Die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel, 2021