Frage: Frau Pätzold, Sie haben auf der Tagung zur betrieblichen Altersversorgung, die der WWF, die Verbraucherzentrale Bremen und der RNE am 29. Mai in Berlin ausgerichtet haben, einen aufschlussreichen Vortrag zur europäischen Richtlinie EbAV-II für Pensionskassen und Pensionsfonds gehalten. Ihre Analyse hat viele der Anwesenden überrascht. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Heidi Pätzold: Wir beobachten derzeit, dass die EU den Prozess für Sustainable Finance massiv vorantreibt und in diesem Zuge auch die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in die EbAV-II-Richtlinie implementiert. Allerdings geschieht das noch sehr zurückhaltend, vor allem aber: Teilweise sind die Vorgaben widersprüchlich. So wird es zur freiwilligen Entscheidung der Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV) erklärt, ob sie ESG-Kriterien in ihrer Anlagepolitik berücksichtigen wollen. Im Risikomanagement allerdings ist es verpflichtend, diese Faktoren einzubeziehen – einerseits. Andererseits soll es nur für jene Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge verpflichtend sein, ESG-Risiken zu beurteilen, die in ihrer Anlagepolitik Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen.
Auf Vorschlag der EU-Kommission sollen nun allerdings weitere Änderungen an der Richtlinie vorgenommen werden. Diese gehen meiner Meinung nach in die richtige Richtung, ob sie aber den skizzierten Widerspruch auflösen, lässt sich momentan noch nicht abschließend beurteilen.
Inzwischen liegt ein erster Referentenentwurf des Finanzministeriums vor, der die EbAV II-Richtlinie in deutsches Recht umsetzt. Was haben die Unternehmen dadurch konkret zu erwarten?
Das Bundesfinanzministerium setzt die Vorgaben der EbAV II-Richtlinie 1:1 um. Das bedeutet, Unternehmen, die bisher keine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt haben, werden auch künftig nicht verpflichtet, ESG-Faktoren bei den Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Ebenso wenig werden solche nicht-nachhaltigkeitsorientierten Unternehmen die Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Ressourcennutzung oder soziale Risiken zu beurteilen haben, genauso wenig wie das Risiko von “stranded assets”– also von Anlagewerten, die aufgrund von geänderten Regulierungen unerwartet an Wert verlieren können. Denken Sie beispielsweise an ein Kohlekraftwerk, das aufgrund höherer Energie- und Emissionseffizienzkriterien nicht mehr betrieben werden darf. Auf der anderen Seite werden Unternehmen, die Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen ihrer Anlagepolitik und Anlageentscheidungen bereits beachten, dazu verpflichtet, die Risiken, die sich unter anderem aus dem Klimawandel ergeben, zu beurteilen. Diese Zweiteilung ist nicht nachvollziehbar, wenn man auf eine nachhaltige Finanzwirtschaft abzielen will.
Das klingt für den juristischen Laien so, als ob die Hürde, die betrieblichen Pensionsrücklagen nach nachhaltigen Kriterien anzulegen, dadurch höher gelegt wird?
Da nur für nachhaltig orientierte Pensionskassen und Pensionsfonds zusätzliche Vorgaben gemacht werden, treffen auch nur diese die höheren Anforderungen. Ich gehe aber davon aus, dass diese Institute zum Beispiel Klimarisiken ohnehin schon berücksichtigen. Es wäre allerdings nicht nur für diese Einrichtungen, sondern für alle Pensionskassen beziehungsweise Pensionsfonds angezeigt, etwa das Wertminderungsrisiko durch “stranded assets” im Rahmen des Risikomanagements zu beurteilen.
Nun sind in diesem Frühsommer weitere Gesetzesinitiativen zum Thema Sustainable Finance gestartet worden, die auch auf die betriebliche Altersversorgung Auswirkungen haben können: Die EU-Kommission hat im März ihren nachhaltigen Aktionsplan und, darauf beruhend, im Mai die ersten Gesetzgebungsvorschläge zur Sustainable Finance auf den Weg gebracht, und das EU-Parlament hat direkt im Anschluss mit breiter Zustimmung eine Resolution verabschiedet, die in eine ähnliche Richtung, sogar eher noch weiter, geht. Stimmt der Eindruck, dass diese beiden Initiativen einen anderen Ansatz verfolgen als die EbAV-II-Richtlinie?
Der Ansatz hin zu nachhaltig orientierter Finanzwirtschaft und dazu, finanzielle Klimarisiken zu vermindern und CO2-intensive Investitionen zu verringern, ist in allen EU-Initiativen erkennbar. Die bisherigen und aktuellen Gesetzesinitiativen der EU-Kommission und des EU-Parlaments zeigen die Entwicklung von einem zunächst vorsichtigen Ansatz, der sich immer mehr auf konkrete Umsetzungspläne fokussiert. Ich sehe dies als Teil eines Prozesses, der gerade massiv Fahrt aufnimmt, um Nachhaltigkeit im Finanzwesen zu verankern.
Auch aufgrund der Erfahrung mit der Entstehungsgeschichte der EbAV-II-Richtlinie: Inwieweit ist es sinnvoll, von den Inhalten der aktuell vorliegenden Vorschläge und Pläne auf deren tatsächliche Umsetzung zu schließen? Von welchem Zeithorizont kann man da ausgehen?
Die aktuellen Vorschläge der EU-Gremien sind Vorlagen, die nun in die Diskussion auf politischer und gesellschaftlicher Ebene gehen. Dabei werden nicht nur Entscheidungsträger auf EU-Ebene, sondern auch die von den Gesetzen betroffenen Institutionen einbezogen. Die Erfahrung zeigt, dass im Laufe dieses Prozesses noch verschiedene Änderungen der ambitionierten Vorschläge zu erwarten sind. Der Gesetzgebungsprozess zur EbAV II-Richtlinie hat mehrere Jahre gedauert, und der ursprüngliche Wortlaut der Richtlinie wurde immer wieder verändert und angepasst.
Geht man zu weit, wenn man vor diesem Hintergrund von einer rechtlichen Unsicherheit spricht, in der sich Einrichtungen bewegen, die sich für eine nachhaltige Ausrichtung ihrer betrieblichen Altersversorgung interessieren? Welche Folgen wird das voraussichtlich für die Entwicklung der bAV haben? Wie sollten die Institutionen mit der Situation umgehen?
Die Pensionskassen werden zunächst die Umsetzung der EbaV II-Richtlinie in deutsches Recht zum 13.01.2019 abwarten müssen. Ob kurzfristig weitergehende Regelungen greifen werden, lässt sich im Moment schwer vorhersagen. Ganz unabhängig davon tun aber alle Pensionskassen aus meiner Sicht gut daran, ihre Anlagepolitik nachhaltig auszurichten und die klimarelevanten Risiken ihrer Vermögenswerte zu beurteilen. Ich gehe nicht davon aus, dass die geplanten neuen Regelungen eine Ausrichtung auf Nachhaltigkeit blockieren werden. Im Gegenteil werden sie eher die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, die sich mit dem Thema bisher nicht beschäftigt haben, vor neue Anforderungen stellen.
Das Interview führte Carolyn Braun.