„Eigentlich sollte das EU-Parlament letzte Woche über TTIP entscheiden. Doch dann verschob Kommissionspräsident Martin Schulz kurzerhand die Abstimmung. Es gab vor allem Streit um private Schiedsgerichte. Ist der Vorfall ein Sieg für die Gegner des transatlantischen Abkommens? Nein, meint der deutsch-US-amerikanische Wirtschaftsexperte Max Otte.
TTIP-Gegner feiern einen Erfolg: Die Organisatoren der Stop-TTIP-Kampagne erklären, ihr Protest „zeigt Wirkung – Abstimmung im Europaparlament verschoben!“ Sie freuen sich womöglich zu früh, meint der Wirtschaftsprofessor Max Otte, der an der Hochschule Worms und der Universität Graz lehrt.
Der Deutsch-Amerikaner, der Dutzende Bücher und Artikel zu Wirtschafts- und Finanzthemen verfasst hat, beobachtet die Verhandlungen zu TTIP seit langem. Er ist einer der deutlichsten Kritiker. Daran, dass ein Handel ohne Hemmnisse Wohlstand für alle bringt, glaubt er nicht.
Er sagt das so: „Der rheinische Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft, weicht dem angelsächsischen Raubtierkapitalismus, wo es nur noch das Recht des Stärkeren gibt.“ Oder: „Europa kapituliert vor den USA. Das ist die Eingliederung in den amerikanischen Machtbereich.“ Und der Eklat im EU-Parlament? „Verzögert TTIP vielleicht, aber es wird kommen.“
Lesenswerte TTIP-Resolution
Selten gab es in Straßburg einen so Aufsehen erregenden Tumult wie am letzten Mittwoch. Der sozialdemokratische Präsident des EU-Parlamentes, Martin Schulz, hatte kurzerhand die geplante Abstimmung über eine TTIP-Resolution verschoben. Die Abgeordneten setzten dann auch noch die einschlägige Debatte aus.
In der Resolution stehen Empfehlungen, wie die EU-Kommission die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA führen soll. Ausgearbeitet hatten diese der Ausschuss für „Internationalen Handel“ unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Bernd Lange.
Darin stecken lesenswerte Sätze. Zum Beispiel heißt es in Abschnitt „D“, Unterpunkt „ii“: Es sei „sicherzustellen, dass das Kapitel über nachhaltige Entwicklung verbindlich und durchsetzbar ist“. Dabei seien die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu berücksichtigen, so dass Arbeit menschenwürdig sei, und die wichtigsten internationalen Übereinkommen im Umweltbereich.
Die Passagen sind als Entgegenkommen gegenüber denjenigen zu sehen, die fürchten, dass das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA sinkende Umwelt- und Arbeitsstandards nach sich zieht. Zu einer Debatte darüber, was sie bringen können, kam es aber gar nicht mehr.
Grund der Eskalation
Grund der Eskalation waren die Passagen, in denen es um private Schiedsgerichte geht, die Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten klären sollen. Die europäischen Sozialdemokraten hielten diesen sogenannten Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus bislang für falsch.
Er sei „abzulehnen“, schreibt zum Beispiel der Europaabgeordnete Bernd Lange in einem „sozialdemokratischen Positionspapier“ vom Mai letzten Jahres. Und: Australien habe in einem bilateralen Handelsabkommen mit den USA dem Verlangen nach einem solchen Mechanismus eine Absage erteilt. Das solle Vorbild sein.
Doch wie schwer sich die Sozialdemokraten damit tun, diese Position aufrecht zu erhalten, zeigte sich bei den Erarbeitung der TTIP-Resolution. Für diese hatte Lange als Vorsitzender des Handelsausschusses Formulierungen gesucht, die so klar nicht waren, sondern vieles offen ließen. Diese trugen Sozialdemokraten und auch die Konservativen mit, die Schiedsgerichte wollen.
Überraschend brachte Lange dann aber für seine sozialdemokratische Fraktion kurz vor der Abstimmung im Parlament zu den Schiedsgerichten doch noch drei Änderungsanträge ein.
Schiedsgerichte: Mal hü, mal hott
In Abschnitt D, Unterpunkt „xv“ des im Handelsausschuss entworfenen Papiers heißt es: Die Kommission möge sich auf das Konzeptpapier der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström stützen. Malmström hatte darin als mittelfristiges Ziel ein permanentes internationales Handelsgericht angeregt, das die derzeit üblichen, umstrittenen privaten Schiedsgerichte eines Tages ablösen soll. Laut Langes erstem Änderungsantrag sollte dieser Verweis nun wieder gelöscht werden.
Zweiter Änderungswunsch: In dem Satz, es seien „dauerhafte Lösung für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten vorzuschlagen, die den demokratischen Grundsätzen entspricht und der demokratischen Kontrolle unterliegt“ sollen private Schiedsgerichte explizit ausgenommen werden. Und – dritte Änderung – bei „in Bezug auf die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ist ein öffentliches internationales Investitionsgericht mittelfristig möglicherweise die beste Lösung“ soll das „möglicherweise“ gestrichen werden.
Damit wurde es unwahrscheinlich, dass die Empfehlungen im Parlament eine Mehrheit zusammen mit den Konservativen finden. Schulz verwies den Entwurf jedenfalls zurück an den Handelsausschuss.
Anne Dänner von der Stop-TTIP-Kampagne meint, zumindest sei Zeit gewonnen, um mehr Druck gegen TTIP zu machen. Der Vorfall zeige, „dass selbst auf der Ebene der EU-Organe die Zustimmung zum Freihandel nicht so groß ist, wie die Verhandler Glauben machen wollen.“
Otte: „Verhöhnung“
Ökonom Max Otte allerdings glaubt nicht daran, dass ein noch so großer Protest viel ändert: „Die privaten Schiedsgerichte werden kommen.“ Die entsprächen zwar einer Aushebelung, ja Verhöhnung des Rechtsstaates, verschafften nur den Anwaltskanzleien Arbeit und frustrierten so Staatsbedienstete. Die private Lobby in Brüssel sei aber zu stark und er erwarte aus der Sozialdemokratie auf Dauer keinen Protest.
Die Resolution hat zwar keine rechtlich bindende Wirkung. Am Ende muss das Parlament allerdings dem Abkommen zustimmen. So kommt der Debatte politische Bedeutung zu. Wie sich die europäischen Sozialdemokraten nun genau positionieren werden, wird sich frühestens am 29. Juni zeigen. Dann wird das TTIP-Papier wieder im Handelsausschuss verhandelt werden und am 8. Juli ins Parlament gehen.
Weiterführende Informationen
Mitteilung Stopp-TTIP-Kampagne
Die umstrittene TTIP-Resolution
Die entscheidenden Änderungswünsche
TTIP-Position der Sozialdemokraten [pdf, 238 KB]
Konzeptpapier der EU-Kommission zu Schiedsgerichten [280 KB]
Bundeswirtschaftsministerium zum Vorschlag Investitionsschutzgericht [54 KB]