Der Druck, der auf jungen Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland lastet, kann gewaltig sein, sagt Paula Eickmann. Schaffen sie es nicht, auf eigenen Beinen zu stehen, droht ihnen oft die Abschiebung. Deshalb gründete Eickmann mit anderen Weserholz, ein Bremer Sozialunternehmen, das junge Erwachsene mit unsicheren Bleibeperspektiven zehn Monate lang auf eine Ausbildung vorbereitet. „Es geht bei uns nicht nur darum, die einzelnen Menschen zu verstehen. Wir wollen auch schauen, wo das System nicht passt, wo Menschen mit Fluchterfahrung auf strukturellen Rassismus treffen“, sagt sie. Die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien haben Weserholz im Jahr 2020 mit dem Siegel „Projekt Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet.
Der RNE stellt sich ähnliche Fragen wie das Bremer Unternehmen: Was ist aus den Maßnahmen zu einer verbesserten Integration der Zugewanderten in das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft geworden, die in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNHS) von 2016 angekündigt waren? „Die aktuelle Dialogfassung gibt darüber nicht ausreichend Auskunft, obwohl Daten inzwischen vorliegen müssten“, schreibt der RNE in seiner Stellungnahme mit Hinblick auf die derzeitige Überarbeitung der DNHS.
Eickmann zieht eine gemischte Bilanz. Generell bekommen Menschen mit einer Duldung eine Verlängerung, wenn sie am Programm von Weserholz teilnehmen. Trotzdem kann es vorkommen, dass die Abschiebung droht und Teilnehmende ins Kirchenasyl fliehen müssen, wenn ein bereits laufendes Asylverfahren negativ beschieden wird oder noch keine Duldung vorlag.
Das generelle Problem vieler junger Geflüchteter über 18 Jahren: Die Chancen auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel sinken deutlich, wenn sie keine Ausbildung vorweisen können, zumindest in Bremen ist das so.
Wer sich bei Weserholz bewirbt, braucht explizit keine Vorbildung. „Wir haben ein Vorstellungsgespräch, aber da geht es darum, sich kennenzulernen und zu schauen, ob jemand das Interesse und die Energie hat, dabei zu sein“, sagt Eickmann. Viele würden zum ersten Mal seit Langem erfahren, wie es ist, als Person ernst genommen zu werden. „Das wirkt oft erst im Nachgang. Manche kommen nach ein bis zwei Jahren wieder auf uns zu und da merkt man: Da hat was gewirkt“, sagt Eickmann. Weserholz bildet die Menschen mit Fluchterfahrung in einer Werkstatt in Design und Handwerk aus, sie lernen Werkzeuge und Materialien kennen und entwickeln gemeinsam mit den Ausbildenden Möbel oder andere Produkte. Diese lässt Weserholz produzieren und verkauft sie. Deutsch wird auch gelernt und die Sprache nebenher in der Ausbildung vermittelt. Mathematik steht ebenfalls auf dem Lehrplan, Weserholz hilft bei der Vermittlung in Ausbildungsbetriebe.
Verbesserungen an internationaler Dimension nötig
Die Ursachen für Flucht und Migration, deren Folgen Weserholz in Deutschland zu lindern versucht, haben globale Ursachen. Deshalb übt der RNE auch Kritik an jenen Stellen der Nachhaltigkeitsstrategie, die die internationale Dimension der Nachhaltigkeitspolitik betreffen. Da entspreche die derzeitige, zum öffentlichen Dialog vorgelegte Fassung der neuen DNHS „nicht den Erwartungen des Rates und vor allem nicht den Erfordernissen“, schreibt der RNE. „Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise hat erhebliche internationale Rückwirkungen, auch auf die Länder des globalen Südens“, heißt es weiter. Der Rat regt unter anderem an, Indikatoren für die nachhaltige Wirtschaftsleistung und den nationalen und internationalen Fußabdruck des deutschen Konsums einzuführen.
Auch beim Thema Internationales zeigt ein weiteres „Projekt Nachhaltigkeit“ von diesem Jahr, was in Deutschland bereits umgesetzt wird. „CREACTIV für Klimagerechtigkeit“ heißt es, kommt aus Hamburg und bringt Schülerinnen und Schüler der Stadt mit Jugendlichen des Globalen Südens zusammen: Aus Afrika, Asien und Lateinamerika kommen dabei Gruppen von jungen Kunstschaffenden im Alter von 12 bis 18 Jahren nach Deutschland – im Rahmen der KinderKulturKarawane, die es bereits seit 20 Jahren gibt. Gemeinsam lernen sie, das Thema Klimagerechtigkeit und ihre eigene Rolle darin zu verstehen. Nach einer Woche Workshop bringen Künstlerinnen und Künstler sowie Schülerinnen und Schüler das Ergebnis in Jugendzentren oder der Schule auf die Bühne.
„Das sind ganz besondere Jugendliche, die auch einen Vorbildcharakter haben“, sagt Projektleiterin Friderike Seithel, die das CREACTIV-Konzept zusammen mit Kolleginnen und Kollegen am Büro für Kultur- und Medienprojekte 2015 in Hamburg ins Leben gerufen hat. Die Kids, die da kämen, hätten in ihren Heimatländern schon vieles durch. Viele hatten Gewalterfahrungen, sind Waisen oder Halbwaisen oder ehemalige Straßenkinder, die in sozialen Projekten ein neues Zuhause gefunden haben. „Sie haben auf der Bühne und durch ihre künstlerische Arbeit Selbstbewusstsein und Stärke erworben“, sagt Seithel.
Die Stadtteilschulen in Hamburg, die mitmachen, haben auch oft Schülerinnen und Schüler aus prekären Verhältnissen. „Lernen unter Gleichaltrigen ist unglaublich wirkungsvoll. Die Jugendlichen leiten den Workshop selbst an, diskutieren miteinander, die Erwachsenen halten sich weitestgehend raus“, erklärt Seithel. Oft seien sogar die Übersetzenden Schülerinnen und Schüler aus Hamburg, die als zweite Muttersprache zum Beispiel Spanisch oder Englisch sprechen. „Wenn die gemeinsam auf der Bühne stehen und sich mit dem Klimawandel beschäftigen und den eigenen Körper als Ausdrucksmittel einsetzen, da merkt man richtig, wie es bei denen auch inhaltlich klick macht“, sagt Seithel.
Insgesamt dauern die Projekte mit Vorbereitung ein Jahr, eine Woche lange erarbeiten die Schülerinnen und Schüler dann gemeinsam in Deutschland ihre Performance. 2020 fanden die Begegnungen wegen der Corona-Pandemie digital statt: Mit der indischen Gruppe Dreamcatchers etwa improvisierte die Lessing-Stadtteilschule in Hamburg-Harburg via Liveschalte und Videobeamer ein Theaterstück. Im nächsten Jahr können bis zu 10 Stadtteilschulen in Hamburg und bis zu sechs weitere Schulen aus dem ganzen Bundesgebiet mitmachen.
„Unser Ziel ist es, das Thema Klimagerechtigkeit in Schulen zu bringen und globale Partnerschaften dazu zu fördern“, sagt Seithel. Und natürlich Freundschaften fürs Leben: Einige Jugendliche aus Deutschland sind nach dem Schulabschluss auf eigene Faust in die Partnerprojekte der KinderKulturKarawane gefahren – und haben anschließend in Deutschland Fördervereine zu deren Unterstützung gegründet.