„Die Frage ist: Wann kommen wir aus der psychologischen Schockstarre raus und können uns wieder auf die zukünftigen Projekte konzentrieren?“ So hatte es Bundesbauministerin Klara Geywitz Anfang der Woche formuliert, als sie den Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) in Hamburg besuchte. Natürlich sei die Versuchung süß zu sagen: „Wir warten mit der Lösung des Klimaproblems auf die nächsten Jahre“, sagte Geywitz. „Aber ein Haus, das wir jetzt bauen, steht die nächsten Jahrzehnte.“
Nur wenige Tage später, am 22. Februar, trafen sich über 30 Oberbürgermeister*innen und weitere Entscheidungsträger*innen aus Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden online zum Dialog „Nachhaltige Stadt“, um sich mit Vertreter*innen des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) über die Herausforderungen der anstehenden Bauwende auszutauschen – also der notwendigen Transformation im Sektor Bauen und Wohnen. Katja Dörner, Oberbürgermeisterin von Bonn und frisch berufenes RNE-Mitglied, betonte in ihren einleitenden Worten, wie wichtig die Bauwende sei. Der Gebäudesektor sei für für 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. 90 Prozent aller in Deutschland verwendeten mineralischen und damit nicht-nachwachsenden Rohstoffe würden eingesetzt, um Baustoffe herzustellen. Außerdem verursache der Bausektor über die Hälfte des Abfalls im Land. Die notwendige Transformation dürfe aber nicht zu Lasten der Mieterinnen und Mieter gehen, sagte die Oberbürgermeisterin. Und sie forderte: „Es ist unabdingbar, dass die Kommunen als Umsetzer vor Ort vom Bund unterstützt werden.“
Den vorhandenen Gestaltungsspielraum nutzen
Was sich die Kommunen vom Bund wünschen, geht auch aus einem bisher noch nicht veröffentlichten Orientierungspapier hervor, das Jan Korte, Wissenschaftlicher Referent beim RNE, vorstellte. Das Papier basiert auf einer Kurzabfrage unter den Teilnehmenden des Dialogs „Nachhaltige Stadt“. Die wichtigsten Ergebnisse: Nach Meinung der Befragten muss statt auf Abriss und Neubau auf Umbau und Sanierung gesetzt werden. Konkret könnte der Gesetzgeber das etwa dadurch befördern, dass er die Musterbauordnung zu einer Muster-um-bauordnung weiterentwickelt. Zweitens fordern die kommunalen Entscheidungsträger*innen eine Qualifizierungsoffensive für nachhaltiges Bauen und beklagen den Mangel an Weiterbildungsmöglichkeiten für Personal in der Verwaltung, im Handwerk und für die Verantwortlichen in Bauwirtschaft und Planungsbüros. Bessere Bildungsangebote könnten hier mehr Akzeptanz schaffen. Außerdem geht aus der Umfrage hervor, dass ein Investitionsschub für den sozialen Wohnungsbau, kombiniert mit Anforderungen an modulares und ressourcenschonendes Bauen, die Bauwende beschleunigen würde.
Judith Ottich von „Architects for Future“ – einer Initiative, die sich für einen nachhaltigen Wandel in der Baubranche einsetzt – bewertete das Orientierungspapier im Dialog positiv: „Die Ergebnisse zeigen: Es gibt bei den Kommunen keine Wissenslücke mehr, nur noch eine Umsetzungslücke“, sagte sie. „Es ist gut, dass wir überhaupt so weit gekommen sind.“ Allerdings warnte sie auch eindringlich davor, angesichts mancher Hürden und Probleme in Untätigkeit zu verfallen. Menschen in verantwortungsvollen Positionen dürften sich nicht deswegen von Taten abhalten lassen: „Sicherlich gibt es einen großen Bedarf, an politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schrauben, aber die vorhandenen Rahmenbedingungen lassen durchaus schon einiges an Gestaltungsspielraum zu.“
Wie sich dieser Gestaltungsspielraum vergrößern lasse, blieb ein zentrales Thema in der Diskussion. Immer wieder machten die kommunalen Entscheidungsträger*innen deutlich, auch an konkreten Beispielen, dass Städte und Gemeinden unter Überregulierung litten. Die zahlreichen Vorschriften rund um Arbeits-, Lärm-, Denkmal- oder Brandschutz seien nicht nur lähmend. Dadurch, dass sie Verfahren in minutiösen Details vorschrieben, seien sie auch Kostentreiber. Sinnvoller wäre es aus Sicht der Kommunen, das Ziel festzuschreiben, das erreicht werden müsse, aber nicht die einzelnen Schritte festzulegen. Die regulatorischen Rahmenbedingungen, so die Teilnehmenden, trügen auch dazu bei, dass in manchen Bereichen kaum Fortschritte gemacht würden. Ein Beispiel dafür ist das „zirkuläre Bauen“ – also die Wiederverwertung von Ressourcen –, da für gebrauchte Bauteile niemand die Gewährleistung übernehmen würde.
Daneben arbeitete der Dialog „Nachhaltige Stadt“ eine weitere zentrale Forderung heraus: Die vielen unterschiedlichen Förderprogramme mit ihren unterschiedlichen Vorgaben und Schwerpunkten seien gerade für kleinere Städte weder zu überblicken noch zu bedienen. Um die Bauwende zu beschleunigen, seien zweckgebundene Budgets sinnvoller, die die Kommunen dann in einem vorgegebenen Rahmen einsetzen könnten.
Chance zu Austausch und Vernetzung
Eine Chance, sich mit anderen Akteur*innen zu vernetzen und Know-how miteinander zu teilen, die sich für die Transformation einsetzen, bietet das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit, das vergangenes Jahr an den Start gegangen ist. Es bringt Organisationen verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche zusammen, um sich über Erfahrungen, Probleme und Lösungen auszutauschen. „Bauen und Wohnen“ ist der erste Schwerpunkt des Gemeinschaftswerks, für den Bauministerin Geywitz die Schirmherrschaft übernimmt. Dazu ist auch ein sogenannter Open Social Innovation-Prozess geplant. Darüber informierte der Leiter des Gemeinschaftswerks, Bodo Richter, die Bürgermeister*innen und lud die Kommunen ein, sich darüber zu beteiligen.
Beteiligen wollen sich die Teilnehmenden des Dialogs auch an einem anstehenden Gesetzgebungsprozess: Alle waren sich einig, dass die Kommunen bei der anstehenden Novelle des Baugesetzbuchs gehört werden müssen, bei der Themen wie Klimaanpassung oder auch zirkuläres Bauen berücksichtigt werden sollen. Die kommunalen Entscheidungsträger*innen hoffen unter anderem darauf, dass in der Novelle die sogenannte „Genehmigungsfiktion“ Realität wird: So würden bürokratische Verfahren beschleunigt, indem nach Ablauf einer bestimmten Frist eine Genehmigung auch dann als erteilt gilt, wenn die zuständige Behörde bis dahin nicht aktiv geworden ist. So sollen lange Wartezeiten vermieden werden. Wenn sich bei der nächsten Zusammenkunft des Dialogs „Nachhaltige Stadt“ Bundesbauministerin Geywitz wie geplant dazu schaltet, werden solche Forderungen sicherlich wieder Thema sein.