An den rund 8.000 berufsbildenden Schulen in Deutschland werden Auszubildende für 340 Berufe qualifiziert – doch das Thema Nachhaltigkeit spielt bisher kaum eine Rolle. Das will Andreas Fischer ändern, Professor für Berufs- und Wirtschaftspädagogik und Wirtschaftsdidaktik an der Leuphana Universität Lüneburg. Bis Anfang 2016 will er mit dem Projekt BBS futur 2.0 ein bundesweites Netzwerk berufsbildender Schulen aufbauen, um mithilfe der Lehrer Schulen und Unterricht umzugestalten.
Ist das Thema nachhaltige Entwicklung an den berufsbildenden Schulen in Deutschland noch nicht angekommen?
Andreas Fischer: Optimistisch gesprochen schon. Wenn ich allerdings kritisch in die Curricula, also die Lehrpläne schaue, ändert sich das Bild. Oft gibt es eine Präambel, quasi die Sonntagsrede, da heißt es, dass die Schülerinnen und Schüler für eine nachhaltige Entwicklung ausgebildet werden sollen. Wenn man die Lehrinhalte untersucht, sieht es allerdings düster aus. Man muss schon sehr viel interpretieren, um da noch einen Nachhaltigkeitsgedanken zu finden.
Das heißt, es mangelt an praktischer Umsetzung in den Lehrplänen?
Es gibt in den Curricula keine konkreten Vorgaben, das Thema Nachhaltigkeit zu bearbeiten. Dabei gibt es genug Möglichkeiten. Wir haben das mit unseren Studierenden untersucht. 30 bis 70 Prozent der Inhalte lassen sich mit Nachhaltigkeit verknüpfen. Aber das ist eine Interpretationsleistung. Das steht nicht explizit drin.
Das heißt, die Lehrer müssen selbst aktiv werden?
An den berufsbildenden Schulen finden sich immer wieder Lehrerinnen und Lehrer, die versuchen, nachhaltige Inhalte in den Unterricht zu integrieren und die Curricula entsprechend zu interpretieren – jeder zehnte macht das, so meine Faustregel. Wir haben aber festgestellt, dass diese Lehrer eher Einzelkämpfer sind. Sie sind Idealisten, die sich für eine nachhaltige Bildung einsetzen. Die wollen wir nun vernetzen. Das Innovative an unserem Ansatz ist: Wir warten nicht, bis irgendwelche Kommissionen neue Lehrpläne abgesegnet haben. Wir gehen davon aus, dass die Kollegen vor Ort durch die Vernetzung expliziter und selbstbewusster nachhaltige Fragen aufgreifen und thematisieren. Langfristig werden sich so auch die Lehrpläne ändern. Mit anderen Worten: BBS futur 2.0 verfolgt einen Bottom-up-Ansatz.
Wie haben Sie das Projekt erarbeitet?
Wir haben zunächst eineinhalb Jahre mit sieben berufsbildenden Schulen in Niedersachsen gearbeitet und die Bedürfnisse der Lehrenden ermittelt. Daraus haben wir gelernt, dass die einzelnen Akteure vernetzt werden müssen – online und von Angesicht zu Angesicht.
Wie sieht so ein Unterricht konkret aus?
Nehmen wir den Einzelhandelskaufmann. Da stecken implizit viele Themen der Nachhaltigkeit drin, explizit kann man das Thema Fair Trade gut integrieren, und zwar über die drei Jahre Ausbildung verteilt, zum Beispiel im Marketing oder beim Thema Beschaffungsprozesse planen, steuern, durchführen. Der einzelne Lehrer ist herausgefordert, das Thema immer wieder einzubringen, da braucht man viel Recherche. Mit Austausch gewinnt der einzelne mehr Zeit und Ideen und bildet sich informell im Netzwerk fort. Das ist sehr effektiv, denn offizielle Fortbildungsangebote sind bei Lehrern nicht sehr beliebt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung aus meiner Zeit als Berufsschullehrer.
Was bringen die Schüler für das Thema mit?
Wenn ich das wüsste. Wir versuchen gerade herauszufinden, wie die Schüler darauf reagieren. Ich habe das Gefühl, dass sie aus ihrem persönlichen Alltag heraus dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber aufgeschlossen sind, in ihrem beruflichen Alltag damit aber Schwierigkeiten haben. Das sind die Restriktionen des Berufes. Auszubildende im Einzelhandel arbeiten beispielsweise auch an Tankstellen. Wie will man Nachhaltigkeit thematisieren, wenn Schüler vier oder fünf Tage die Woche dort tätig sind? Das ist – vorsichtig formuliert – sehr herausfordernd. Wir sollten die jungen Menschen mit dieser normativen Leitidee auch nicht so traktieren, dass sie in persönliche Krisen kommen. Vielmehr müssen sie lernen, sich mit Widersprüchen und Widerständen auseinander zu setzen.
Einige große Unternehmen kündigen an, nachhaltiger wirtschaften zu wollen. Tragen die bereits entsprechende Wünsche an Sie heran, das in der Ausbildung zu berücksichtigen?
Nein, das passiert noch nicht. Viele Großunternehmen nehmen Nachhaltigkeit zwar ernster als noch vor zehn Jahren. Es dauert aber, bis die Leitideen auf die Qualifizierung der Mitarbeiter heruntergebrochen werden.
Wie ist die Resonanz auf Ihr Projekt?
Vorsichtig verhalten. Viele, die „Netzwerk“ hören, denken zunächst an Mehrarbeit. Wir gehen in die Schulen und sprechen die Lehrer über eine Erfahrung an, die sie selbst kennen: Der beste Unterricht ist der, den ich gemeinsam mit Kollegen vorbereitet habe. Man kann dabei Zeit sparen. Das muss man erst mal erklären. Aber wir haben jetzt 40 Schulen im Boot, das ist gut. Bis Ende 2015 wollen wir auf 100 kommen.
Ist Deutschland, was Bildung für nachhaltige Entwicklung angeht, eher Entwicklungsland oder bereits Schwellenland?
Wenn ich gut gelaunt bin, dann sage ich, wir sind in der beruflichen Bildung auf einem guten Weg. Eigentlich stecken wir aber noch in den Kinderschuhen. Zwischen der Idee der Nachhaltigkeit und einer entsprechenden Berufsbildung klafft eine riesige Lücke.
Das Interview führte Ingo Arzt. Die Auftaktveranstaltung von BBS futur 2.0 findet am 19.02.2014 an der Leuphana Universität Lüneburg statt.
Weiterführende Informationen
BBS futur 2.0 – Webseite des Projekts