Das Abschlussdokument sorgt für Diskussionsbedarf, auch noch Tage danach. Denn der alle Länder betreffende globale Klimaschutz ist nichts, was warten kann. Für den Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) bewerten die Ratsmitglieder Kai Niebert, Mark Lawrence und Franziska Tanneberger die Ergebnisse. Sie haben die Verhandlungen in Dubai beobachtet, erstmals als Teil der deutschen Delegation. RNE-Ratsmitglied Katja Dörner war in ihrer Funktion als Oberbürgermeisterin von Bonn und Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages sowie als Klimavorständin des globalen Netzwerks ICLEI Städte für Nachhaltigkeit ebenfalls vor Ort.
Ausstieg oder Abkehr von den fossilen Brennstoffen
Phase-out oder doch nur Phase-down – ein entscheidender Punkt der Verhandlungen war der Umgang mit fossilen Brennstoffen. Der fossile Ausstieg (Phase-out) wurde in Dubai nicht beschlossen, stattdessen ein Phase-down, die Abkehr von den fossilen Brennstoffen – ein Kompromiss.
Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) betont, dass die Transformation in eine klimaneutrale Welt dennoch nicht mehr aufzuhalten sei: „Allen ist klar, dass die Zeit der fossilen Energieträger in die fossile Vergangenheit gehört – das ist während der Verhandlungen deutlich geworden. Um einen Konsens zwischen fast 200 Ländern zu erreichen, enthält der Beschlusstext auch Formulierungen, die als Ausreden für einen verzögerten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen genutzt werden können. Hier muss die Staatengemeinschaft sehr klar einen Riegel vorschieben.“
Für Mark Lawrence, Wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS), ist die Abkehr von den fossilen Brennstoffen allenfalls ein Teilerfolg und nicht ausreichend, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, geschweige denn auf 1,5 Grad. „Die Formulierung steht eben nicht im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, schnell aus fossilen Energien aussteigen zu müssen“, so Lawrence. Die Betonung technologischer Lösungen wie Carbon Capture and Storage (CCS) sei erwartbar gewesen, aber dennoch enttäuschend: „Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass es völlig unrealistisch ist, dass die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre einen entscheidenden Beitrag zur Einhaltung des Pariser Abkommens leisten kann – der Technologie- und Infrastrukturaufbau wird gut 30 Jahre oder länger dauern, während wir die Zwei-Grad-Grenze schon längst überschritten haben werden, wenn wir die CO2 -Emissionen nicht bald stark reduzieren.“
Katja Dörner, Oberbürgermeisterin von Bonn, die als erste deutsche Stadt der globalen Initiative für einen Nichtverbreitungsvertrag für fossile Energien (Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty) beigetreten ist, macht deutlich: „Natürlich hätte ich mir einen klaren Ausstiegsbeschluss gewünscht. Allerdings ist mir – gemessen an der Historie – auch bewusst, dass bereits der Beschluss zur Abkehr von fossilen Brennstoffen einen großen Erfolg darstellt.“
Globale Bestandsaufnahme – wo steht die Welt
Eine wichtige Diskussionsgrundlage in Dubai stellte der „Global Stocktake“ dar, die erste umfassende Bestandsaufnahme, wo die Welt auf dem Weg zu den Pariser Klimazielen steht. Kai Niebert rückt den Zusammenhang zwischen Naturzerstörung und dem Kippen des Klimas in den Fokus und betont die Fortschritte, die die COP hier zum Schutz der Biodiversität gebracht hat: „Das Ergebnis der Bestandsaufnahme unterstreicht, wie wichtig es ist, die Entwaldung und Degradierung bis 2030 zu stoppen und rückgängig zu machen und das auch zu finanzieren.“ Auch würden zum ersten Mal die Bemühungen um den Klimawandel mit den Biodiversitätszielen des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming und Montreal in Einklang gebracht. „Die Anerkennung der Tatsache, dass diese beiden globalen Krisen viele gemeinsame Ursachen und viele gemeinsame Lösungen haben, ist ein historischer Schritt nach vorn“, so Kai Niebert.
Auch Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC), verweist auf die wesentliche Verbindung zwischen den Zielen der Klima- und der Biodiversitätskonvention. „Im Rahmen des Mangrove Breakthrough und der Freshwater Challenge haben sich Länder zu Flächenzielen verpflichtet und damit demonstriert, welche Bedeutung sie dem Schutz von Ökosystemen beimessen.“ Zum Schutz der Moore – neben dem Wald das wichtigste Senken-Ökosystem – wurde die Gründung einer internationalen Taskforce verabredet.
Gleichwohl sieht Kai Niebert noch Nachbesserungsbedarf: „Die Welt dekarbonisiert nicht schnell genug, um die Klimakatastrophe bei 1,5 Grad zu stoppen – auch für 2 Grad wird es knapp“, so Niebert. Alle Länder müssten entschlossener handeln, um die globalen Temperaturen mit einer lebenswerten Zukunft für alle in Einklang zu bringen. „Die endgültige Stocktake-Vereinbarung ist zwar nicht perfekt, aber sie ist historisch und setzt neue internationale Normen zur notwendigen Beschleunigung der Klimaschutzmaßnahmen.“
Auch Mark Lawrence drängt auf drastische Emissionsreduktionen: „Sonst ist es wahrscheinlich, dass die globale Erderwärmung bis 2030 die Marke von 1,5 Grad überschreiten wird. Wir müssen den Ausstoß von CO2, Methan und anderen Klimagasen in den Griff bekommen.“
Der „Loss and Damage Fund“ für Klimaschäden in ärmeren Ländern
Ebenfalls zentraler Punkt der Verhandlungen war der Umgang mit den durch den Klimawandel entstehenden Schäden. Gleich zu Beginn der Weltklimakonferenz hatten die Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland jeweils 100 Millionen Dollar für einen „Loss and Damage Fund“ zugesichert, der ärmeren Länder bei klimabedingten Schäden helfen soll. Für Mark Lawrence ein vielversprechender Start, jedoch mit insgesamt zu wenig finanzieller Unterstützung. „Inmitten einer fast unübersichtlichen Vielzahl neuer Initiativen und Verpflichtungen dürfen auch alte, bisher unerfüllte Versprechen nicht durch zahlreiche neue Zusagen in den Hintergrund geraten“, betont Lawrence.
Wie der RNE mit den COP-Ergebnissen weiterarbeitet
Und noch ein Thema spielte auf der COP28 eine wichtige Rolle: Im Austausch mit den anderen Europäischen Nachhaltigkeitsräten sei sehr deutlich geworden, dass Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich und Akzeptanz europaweit zunehmend zentrale Aspekte auf dem Weg in die Klimaneutralität werden, so Kai Niebert. „Die Diskussionen zeigten, dass der RNE mit seinem Arbeitsschwerpunkt gesellschaftlicher Zusammenhalt hier wichtige Pionierarbeit auch für die anderen Räte leistet. Wir haben deshalb eine Plattform für den Austausch und das gegenseitige Lernen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Transformation angeboten.“ Der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Transformation steht bereits seit Beginn der Mandatsperiode im Zentrum der Arbeit des RNE; der Rat erarbeitet hierzu eine Reihe von Positionspapieren.
Mark Lawrence verrät: „Ein aktueller Arbeitsschwerpunkt des RNE sind „Wege zur Netto-Null in der Klimapolitik“ – ähnlich dem Klimaneutralitätsziel, an manchen Stellen jedoch ambitionierter. Die COP-Ergebnisse sind ein wichtiges Fundament für diese Arbeit.“
Für Katja Dörner, die neben ihrem Amt als Oberbürgermeisterin auch Vize-Präsidentin des Deutschen Städtetages und Mitglied im Dialog „Nachhaltige Stadt“ des RNE ist, ist die stärkere Einbindung der Städte in die internationale Klimapolitik besonders wichtig. „Die Bekämpfung der Klimakrise und ihrer Folgen kann nur erfolgreich sein, wenn alle Ebenen eng zusammenarbeiten“, so Dörner. Auch zur Frage der Finanzierung finden derzeit Überlegungen im Nachhaltigkeitsrat statt. So befasst sich der Dialog „Nachhaltige Stadt“ derzeit mit dem Thema „Finanzierung nachhaltiger Entwicklung vor Ort“.
Aus Sicht aller Räte war es sowohl für das Team Deutschland als auch für den RNE ein wichtiger Fortschritt, als Teil der deutschen Delegation auf der COP28 vertreten zu sein. Kai Niebert: „Es hat gezeigt, wie ernst es Deutschland mit seinem Weg in ein nachhaltiges Europa meint.“ Mark Lawrence plädiert künftig für eine noch stärkere internationale Zusammenarbeit sowie eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, um den Klimawandel erfolgreich zu bekämpfen. „Kein Staat oder Sektor kann die Herausforderungen allein bewältigen. Es ist daher unabdingbar, sämtliche Formen des Wissens in einer gemeinsamen Anstrengung zu vereinen, um die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu bewahren“, so Lawrence. Franziska Tanneberger nimmt die Bedeutung persönlicher Begegnungen bei der Klimakonferenz in den Blick: „Durch formelle und informelle Treffen mit Vertreter*innen von Klima- und Nachhaltigkeitsräten anderer EU-Ländern konnten wir sehr nützliche Verbindungen knüpfen. Diese ermöglichen es uns nun, von den Erfahrungen anderer Räte noch stärker zu profitieren.“