Dem über 1000 Jahre alten sächsischen Dorf Brockwitz, zwischen Coswig und Meißen gelegen, macht immer wieder Hochwasser zu schaffen. Die Elbe fließt nur ein paar Hundert Meter weiter südlich. Für die Anwohnenden der elbseitig gelegenen, sogenannten Niederseite des Ortes stellt sich die Frage, ob sie dauerhaft bleiben können. Denn: Sie liegt gut zwei Meter tiefer als der nördliche Teil der Gemeinde. Ein klassischer Deich sei technisch nicht machbar, erklärten Expertinnen und Experten. Aber soll man den Ort verfallen lassen, samt seiner denkmalgeschützten Bausubstanz, weil mit dem Klimawandel die Wetterextreme zunehmen und damit die Überflutungsgefahr?
Brockwitz gehört zu den Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Städtebauförderung. Dort, aber auch in Duisburg, Erfurt, Hamburg sowie in Plauen, Rostock und Saarbrücken sollen Innovationen der Städtebauförderung erprobt werden. Die Städtebauförderung sei ein „fantastisches Instrument“, sagte Anne Kathrin Bohle, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bauen und Heimat erst kürzlich beim digitalen 14. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik – und ein „lernendes Programm“. Die Frage ist: Wie lässt sie sich an die Herausforderungen der Zukunft anpassen, sodass Städte und Gemeinden lebenswert bleiben oder es wieder werden?
Für 2021 rund 790 Millionen Euro Förderung
Der Bund unterstützt schon seit 50 Jahren Städte und Gemeinden, um Modernisierung und Wandel zu meistern: 9300 Projekte wurden so seit 1971 gefördert. Allein in diesem Jahr stellt der Bund 790 Millionen Euro zur Verfügung. Es verteilt sich auf die drei Programme „Lebendige Zentren – Erhalt und Entwicklung der Orts- und Stadtkerne”, „Sozialer Zusammenhalt – Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten” und „Wachstum und nachhaltige Erneuerung – Lebenswerte Quartiere gestalten”.
Im Jahr 2020 wurden die vormals sechs Förderprogramme in diesen drei Programmen zusammengeführt, die Städtebauförderung wurde damit inhaltlich neu ausgerichtet. Seither gehe es nicht mehr allein um Bezirke „mit erhöhten strukturellen Schwierigkeiten“, erklärt Henrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu). Vielmehr sind nun für alle Kommunen Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung förderfähig: von Gebäudesanierung, und Flächenentsiegelung über klimagerechte Mobilität und nachhaltige Baustoffe bis hin zur Stärkung der lokalen Biodiversität. Auch die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die Digitalisierung und die interkommunale Kooperation finden Platz in den neuen Förderprogrammen. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) begrüßt diesen Fokus auf systemische Transformationsprozesse, fordert aber noch weitere Nachbesserungen.
Entbürokratisiert und nachhaltiger
„Jegliche Förderprogramme von Bund und Ländern für die Kommunen sollten so angelegt werden, dass sie einen Beitrag zur Erfüllung der Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und der globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) leisten“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des RNE. Dies sei auch entsprechend nachzuweisen, um Fördermaßnahmen dezidiert auf Nachhaltigkeit ausrichten zu können. RNE-Generalsekretär Dr. Marc-Oliver Pahl erklärt darüber hinaus: „Stadtentwicklung ist eine Querschnittsaufgabe. Die Programme verschiedener Ministerien sollten gebündelt, vereinfacht, entbürokratisiert und auch für finanzschwache Kommunen attraktiver werden. Das Lichten des Förderwirrwarrs ist eine wichtige Aufgabe für die neue Bundesregierung.“
Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung von Maßnahmen zum Stadtumbau bislang nur mit einem Drittel der förderfähigen Kosten, den Rest müssen Land und Kommune aufbringen. Henrik Scheller vom difu sieht für Kommunen außerdem das Problem der gläsernen Decke: Aufgestaute Investitionsrückstände, fehlendes Personal in den Planungsämtern sowie eine hohe Auslastung des Baugewerbes würden die Transformation in Städten und Gemeinden erschweren.
Rathaus, Kirche Marktplatz – historisch gesehen prägten sie die Europäische Stadt. Heute ist von der grünen, digitalen, gerechten Stadt die Rede. Die EU-Ministerinnen und Minister für Stadtentwicklung und Raumplanung haben ein solches Leitbild Ende des vergangenen Jahres auch in der „Neuen Leipzig Charta“ verankert.
Stadtentwicklung neu denken
So müssen landauf, landab in den Rathäusern derzeit Antworten gefunden werden auf große Fragen: Wie lässt sich der Verödung von Innenstädten entgegenwirken, insbesondere seitdem durch die Corona-Pandemie der Online-Handel massiv zugenommen hat? Wie lassen sich Kommunen klimagerecht modernisieren? Wie wird Infrastruktur für neue Mobilitätsformen am besten geplant? Wie umgehen mit dem demographischen Wandel? Und wie bleibt Wohnraum für alle bezahlbar, zumal Boden ein knappes Gut ist?
Der Umbau für die Zukunft braucht eine neue Dynamik. Noch seien die Bemühungen in den 11.000 deutschen Kommunen „sehr heterogen“, heißt es im Nationalen Fortschrittsbericht zur Umsetzung der internationalen New Urban Agenda. Die New Urban Agenda ist ein Fahrplan für die nachhaltige Stadtentwicklung der Vereinten Nationen – unverbindlich, aber laut Umweltbundesamt „für Stadtverwaltungen von großem Wert“. Mit ihr seien klare Forderungen an eine moderne Stadt benannt: kompakte Siedlungsentwicklung mit angemessenen Freiräumen, sparsamer Umgang mit Ressourcen, Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel und gesunde Lebensbedingungen für alle in Städten.
In Brockwitz, dem Modellvorhaben, sollen in den kommenden Jahren nun Wohnhäuser, Scheunen, denkmalgeschützte Fachwerkbauten und Straßen rund zwei Meter angehoben werden. Der entstehende Freiraum soll dann mit Beton verfüllt werden, damit kein verlassener Ort entsteht, sondern eine bewohnbare und lebenswerte Gemeinde.