„State of the Art kommunaler Nachhaltigkeitspolitik“: Wie der neue BNK zur Zukunftsgestaltung vor Ort beiträgt

Viele Kommunen arbeiten daran, wie sie nachhaltiger werden können. Der Nachhaltigkeitsrat will diese Bemühungen unterstützen und hat dazu in einem breiten Partnerkonsortium einen freiwilligen Standard weiterentwickelt: den Berichtsrahmen Nachhaltige Kommune.

Die Projektkoordinator*innen Anna Lotta Nagel und Jan Korte sprechen im Doppelinterview über den neuen Berichtsrahmen Nachhaltige Kommune (BNK) als „Transformationsbegleiter“. Was heißt das?

Kommunen müssen sich um kaputt gesparte Schulgebäude, um fehlende Kitaplätze und Sozialwohnungen, um die Verkehrswende und die Anpassung an den Klimawandel kümmern. Und nun sollen sie auch noch ihre Nachhaltigkeitsbemühungen dokumentieren – muss das wirklich sein?

Anna Lotta Nagel: Die Kommunen stehen vor großen Aufgaben, sicher. Aber vorweg gesagt – die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist für Kommunen freiwillig, bietet jedoch viele Vorteile. Denn obwohl sie auch Ressourcen in Anspruch nimmt, geht es am Ende darum, knappe Mittel effizienter und zielgerichtet einzusetzen. Mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung zeigt sich der Status quo der nachhaltigen Entwicklung vor Ort. Sie schafft so einen Überblick über Erfolge, Lücken und Nachsteuerungsbedarfe. Das ist eine gute Planungsgrundlage. Wo muss noch Arbeit reingesteckt werden? Was läuft schon gut? Welche Trends gibt es? Wo gibt es Zielkonflikte zwischen einzelnen Politikfeldern?

Der RNE und seine Projektpartner wollen die Berichterstattung erleichtern und haben dazu den Berichtsrahmen Nachhaltige Kommune, kurz BNK, weiterentwickelt. Was gewinnen die Kommunen mit dieser Handreichung?

Jan Korte: Wir wollen ihnen damit einen Transformationsbegleiter an die Seite stellen, auch zu einem dynamischen Lernprozess ermutigen. Es geht im integrierten kommunalen Nachhaltigkeitsmanagement um Umwelt- und Klimaziele genauso wie um soziale Fragen, etwa den Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder die Gesundheitsversorgung. Auch Fragen zur globalen Zusammenarbeit und zur kommunalen Entwicklungspolitik werden aufgeworfen. Die Berichterstattung ist, neben einer Nachhaltigkeitsstrategie, einem Nachhaltigkeitshaushalt oder einem Nachhaltigkeits-Check von politischen Vorhaben und Projekten eines dieser Managementinstrumente.

Um sie zielgerichtet einzusetzen, braucht es in Kommunen eine ämterübergreifende Zusammenarbeit. Das geht nicht nach dem Motto „Wir haben da eine nette Nachhaltigkeitsabteilung, die heftet für uns mal fünf sektorale Themen zusammen“. Im besten Fall werden durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung neue Wege der Zusammenarbeit in der Verwaltung entwickelt.

Wie funktioniert das genau?

Jan Korte: Der BNK definiert ein Set aus Themen und Indikatoren, zu denen eine Anwenderkommune mindestens berichten muss. Dieser bundesweite Standard speist sich aus unterschiedlichsten politischen Rahmenwerken wie zum Beispiel der Agenda 2030, der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie oder der Neuen Leipzig-Charta als Grundlagendokument für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in Europa. Der BNK bildet damit den State of the Art der kommunalen Nachhaltigkeitspolitik ab.

In Deutschland gibt es rund 11.000 Kommunen. Berlin, die größte Stadt des Landes hat fast vier Millionen Einwohner*innen. Aber es gibt auch viele kleine Dörfer. Da gibt es enorme Unterschiede. Und dann nur eine Handreichung?

Jan Korte: Sie ist als Orientierung für alle gedacht, für die Großstadt genauso wie die kleine Kommune im ländlichen Raum. Dieser bundesweite Rahmen funktioniert auch in dem größten Landkreis Deutschlands, der Mecklenburgischen Seenplatte, oder in kleinen Kreisen. Dabei hilft auch das comply-or-explain-Prinzip. Denn jede Kommune entscheidet selbst, in welcher Tiefe sie auf Themen eingeht und voll berichtet („comply“) – und an welcher Stelle sie von der „explain“-Option Gebrauch macht. Damit kann die Kommune erklären, warum ein Thema für sie nicht relevant ist oder warum sie hierzu nichts zu berichten hat. Es gibt ja keine Pflicht. Das ist anders als bei Unternehmen, für die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung gesetzlich geregelt sind. So gilt immer das Prinzip: Wenn eine Kommune zu einem Thema berichten kann, soll sie das tun. Wenn sie das nicht kann, muss sie erklären, warum sie nicht berichtet.

Eine Kommune hat nicht immer alleinigen Einfluss auf die Nachhaltigkeitsfortschritte vor Ort. Bei der Energiewende helfen die Stadtwerke, beim Übergang zur Kreislaufwirtschaft braucht es etwa die Abfallentsorgungsbetriebe. Wird dem im Berichtsrahmen Rechnung getragen?

Anna Lotta Nagel: Absolut. Die BNK-Anwenderkommunen werden dazu angeleitet zu reflektieren, welche kommunalen Unternehmen und Beteiligungen für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zentral sind. Diese sind dann in den Nachhaltigkeitsbericht einzubeziehen. Und viele der Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge erbringen, werden in Zukunft durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU berichtspflichtig werden. Da steht bald ein großer Datenschatz zur Verfügung, den Kommunen nutzen können. In den BNK haben wir einen Wegweiser eingebaut, wo die Anwender entsprechende Datensätze in den Nachhaltigkeitsberichten der kommunalen Unternehmen finden können. Die sind zum Glück durch die EU-Vergaben in den sogenannten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) vereinheitlicht.

Jetzt mal ganz konkret: Wie funktioniert das Berichten etwa für das Themenfeld Wohnen?

Jan Korte: Das Handlungsfeld „Wohnen und nachhaltige Quartiere“ umfasst vier Unterthemen, sogenannte Aspekte, darunter u.a. „Zugang zu Wohnraum“ oder „Vermeidung von Segregation“. Als Kernindikator, also einer von 19 verpflichtend zu berichtenden Indikatoren wurde die Wohnungslosigkeit ausgewählt, als negativste Konsequenz aus dem mangelnden Zugang zu bezahlbarem und inklusivem Wohnraum. Die Indikatoren sind immer so ausgewählt worden, dass Kommunen auf sie Einfluss nehmen können, sie für das Thema relevant sind und nicht zuletzt auch die Daten leicht zu beschaffen sind, weil sie zum Beispiel vom Statistischen Bundesamt, von der Bundesagentur für Arbeit oder vom Umweltbundesamt ohne weitere Kosten zu beziehen sind. Alle Kernindikatoren bis auf einen sind übrigens für alle Kommunen in Deutschland mit mehr als 5.000 Einwohner*innen über das SDG-Portal für Kommunen der Bertelsmann Stiftung abrufbar.

Wie viel Zeit sollten die Behörden dafür einrechnen?

Anna Lotta Nagel: Wenn sich eine Kommune erstmals vornimmt, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, sollte sie sich etwas mehr Zeit nehmen und mehrere Monate einplanen. Das hat die Erfahrung der Pilotierungsphase gezeigt, bei der über 30 Kommunen seit 2021 die Betaversion des BNK getestet haben. Der Aufwand hängt aber auch von den Strukturen ab, in denen der Bericht erarbeitet wird. Ist von oberster Stelle klar, dass der Bericht gewollt ist, ist es für die koordinierende Person einfacher, Daten in den einzelnen Fachämtern abzufragen. Wie auch bei der Erarbeitung und Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie hilft eine gute Abstimmung mit der Verwaltungsspitze. Nachhaltige Wirkung entfaltet ein Bericht dann, wenn die Berichterstattung regelmäßig stattfindet und dann Trends und Entwicklungen abgelesen werden können.

Müssen Kommunen dafür jemanden neu einstellen?

Jan Korte: Wer schon ein integriertes Nachhaltigkeitsmanagement hat, kann das mit dem bestehenden Personal wahrscheinlich koordinieren. Allerdings hängt ein guter Bericht wie gesagt davon ab, dass sich alle Fachämter einbringen! Und diesen Aufwand sollte man nicht unterschätzen. Aber: Es lohnt sich!

Gibt es Unterstützung für Kommunen?

Anna Lotta Nagel: Der RNE bietet keine eigenen Schulungen an, in der Handreichung zum neuen BNK wird aber bereits vieles erläutert. Fortbildungen zum integrierten Nachhaltigkeitsmanagement, dessen Bestandteil auch ein gutes Monitoring und idealerweise auch eine Nachhaltigkeitsberichterstattung sein sollte, werden schon vielfach angeboten. Mit dem BNK 2.0 kann darüber hinaus besser verglichen werden, was andere Kommunen schon machen. Das macht es natürlich einfacher, voneinander zu lernen. Da kann man in einer anderen Kommune einfach mal anrufen und fragen: „Wie macht ihr das?“.

Was wird sich also in den Kommunen bis 2030 verändert haben?

Anna Lotta Nagel: Es wird einfacher sein, Silos innerhalb der Verwaltung zu überwinden. Idealerweise ist der Aufbau der Verwaltung völlig anders auf die Herausforderungen der Transformation ausgerichtet. Darin liegt eine enorme Chance. Und darüber hinaus sind sie finanziell so ausgestattet, dass sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können.

Jan Korte: Sie werden einen Quantensprung hin zur Nachhaltigen Entwicklung gemacht und das Nachhaltigkeitsmanagement mit den Haushaltszielen verknüpft haben. Und sie werden zeigen können, was sie gesamtgesellschaftlich zur Nachhaltigkeit beitragen. Bisher ist es nicht möglich, dies sichtbar zu machen – dann schon.

*Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat den BNK 2.0. in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Urbanistik (difu), der Bertelsmann Stiftung sowie der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global entwickelt.Er wird durch die drei kommunalen Spitzenverbände, die LAG 21 NRW sowie die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) unterstützt.