Das Bundeswirtschaftsministerium hat sein Grünbuch für den künftigen Strommarkt vorgestellt. Es ist Grundlage für die weiteren Gespräche über eine Reform, die sicherstellen soll, dass konventionelle Kraftwerke künftig quantitative Schwankungen erneuerbar erzeugteEnergie absichern, und das möglichst günstig. Zwei grundsätzliche Positionen stehen sich gegenüber.
Eine der prägenden Themen in der energiepolitischen Diskussion des nächsten Jahres wird die Frage sein, wie künftig die Betreiber konventioneller Kraftwerke Geld verdienen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat dazu nun ein „Grünbuch“ vorgelegt, das die grundsätzlichen Mechanismen und Optionen zur Diskussion stellt:
Zur Wahl steht ein sogenannter „Kapazitätsmarkt“ oder ein „Strommarkt 2.0“. „Eine politische Grundsatzentscheidung ist nötig“, heißt es im Grünbuch. Im Mai 2015 soll daraus ein Weißbuch folgen auf dessen Grundlage, nach einer weiteren öffentlichen Konsultation, ab September 2015 die Gesetzgebungsphase losgehen soll.
Das Wirtschaftsministerium lässt in seinem Grünbuch eine klare Präferenz für den Strommarkt 2.0 durchblicken. Der grundsätzliche Unterschied beider Modelle: Der Strommarkt 2.0 sei eine Optimierung des gegenwärtigen Systems, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium. Dabei wird auf Termin- oder Spotmärkten ausschließlich die produzierte Energie der Kraftwerke gehandelt, ein sogenannter Energy Only Markt.
Nicht gehandelt wird dagegen das Bereithalten von Kraftwerksleistung, die nur dann abgerufen wird, wenn Wind- und Sonne nicht genug Strom liefern. Mit dem Kapazitätsmarkt würden dagegen neue Handelsplattformen geschaffen, auf denen Stromerzeuger auch das reine Vorhalten ihrer Kraftwerke handeln würden.
Überkapazität wird enden
Das wird zunehmend nötig, wenn der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix weiter steigt. Momentan gibt es zwar zu viele Kraftwerke, aber das wird sich, so erwartete es das Wirtschaftsministerium, in den nächsten Jahren ändern. Im Kern gehe es also darum, ob es künftig Investitionen in selten genutzte, fossile Kraftwerke gibt, die aber für die langfristige Sicherheit der Versorgung gebraucht werden.
Wenn das über einen Energy Only Markt nicht ausreichend möglich ist, muss ein Kapazitätsmarkt, also „ein zusätzlicher Markt für die Vorhaltung von Kapazitäten eingeführt werden“, heißt es im Grünbuch. Graichen bringt es im Gespräch wie folgt auf den Punkt: „Beide Varianten müssen dafür sorgen, dass Geld ins Energiesystem fließt, das zur Finanzierung der fossilen Ersatzkraftwerke nötig ist.“
Die Grundsatzfrage ist, welches der beiden Systeme sicherer und günstiger ist und darüber haben sich zwei Lager in Deutschland gebildet: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der Verband kommunaler Unternehmer (VkU) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft etwa fordert gemeinsam einen Kapazitätsmarkt, der VkU hat dazu schon lange ein eigenes Modell entwickelt.
Energieexperte Felix Matthes vom Ökoinstitut, der sich schon in der RNE Studie „Konzept, Gestaltungselemente und Implikationen eines EEG – Vorleistungsfonds“ (März 2014) kritisch mit den Systemkosten des Stromerzeugungssystem bis 2050 auseinander gesetzt hat und der WWF wollen einen fokussierten Kapazitätsmarkt, der sich von dem VkU-Modell unterscheidet und sicherstellen soll, dass keine alten, fossilen Kraftwerke alimentiert werden.
Gutachter raten vom Kapazitätsmarkt ab
Der Bundesverband Erneuerbare Energien hält einen Kapazitätsmarkt für „überflüssig“, ähnlich wie Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Gutachten bei insgesamt fünf Beratungsunternehmen kommen zu einem ebenso eindeutigen Ergebnis: „Die Gutachter raten von einem Kapazitätsmarkt ab“, steht im Grünbuch. Erfahrungen in den USA würden zeigen, dass die richtige Ausgestaltung schwierig sei und ein „großer Nachsteuerungsbedarf zum Beheben von Regulierungsfehlern“ bestehen könne. Die Gutachter warnen vor Ineffizienz, Fehlsteuerungen und Irreversibilität. Das System koste je nach Ausgestaltung 2 bis 5 Milliarden Euro mehr, zudem sei mit höheren CO2-Emissionen zu rechnen.
Das Bereithalten von Leistung lasse sich, so heißt es im Grünbuch, auch mit einem Energy Only System refinanzieren – denn das in der Energiewende immer wichtigere Vorhalten von Kraftwerksleistungen werde bereits heute explizit vergütet: Stromanbieter kaufen an der Börse aufgrund von täglichen Prognosen des Verbrauchs ihrer Kunden Energiemengen ein.
Liegen sie daneben, müssen Netzbetreiber Ausgleichsenergie einsetzen, also sehr flexible Kraftwerke, Speicher oder flexible Stromverbraucher, die physikalische Abweichungen von Verbrauch und Erzeugung von Strom ausgleichen. Diese Kraftwerke werden bereits heute dafür bezahlt, in Bereitschaft zu bleiben.
Graichen: “Extremer Bruch der bisherigen Investitionskultur”
Ein Strommarkt 2.0 zielt darauf ab, solche Mechanismen zu stärken. Vor allem dadurch, dass der Preis für Strom bei Knappheit nach oben deutlich höher ausschlagen darf als bisher – und sich dadurch auch die kaum eingesetzten Ersatzkraftwerke rechnen. Allerdings wäre diese Art von Refinanzierung neu.
Investoren in Ersatzkraftwerke würden nicht auf kontinuierliche Einnahmen setzen, sondern auf sehr selten eintretende Situationen mit dann sehr hohen Knappheitspreisen von mehreren Tausend Euro pro Megawattstunde. „Das würde ein extremer Bruch der bisherigen Investitionskultur im Strommarkt bedeuten“, sagt Graichen.
Er gibt zudem zu bedenken, dass keines der beiden Modelle die beiden Klimaschutz-Probleme am gegenwärtigen Strommarkt lösen würde: Zum einen, dass der klimaschädlichste Energieträger, die Braunkohle, konkurrenzlos billig ist. Zum anderen, dass derzeit alte, ineffiziente Steinkohlekraftwerke moderne, effiziente Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke vom Markt verdrängen, weil der CO2-Preis des EU-Emissionshandels im Keller ist.
Dass keines der Modell sofort einen funktionierenden Strommarkt bringt, dessen ist sich auch das Bundeswirtschaftsministerium bewusst. Der Strommarkt werde sich noch bis Mitte der 2020er-Jahre erheblich verändern, heißt es im Grünbuch. Deshalb soll es auf jeden Fall eine „Kapazitätsreserve“ geben: Eine Flotte an Kraftwerke also, die als Notnagel vorgehalten wird, wenn das neue Modell, egal welches es sein wird, gerade versagt.
Weiterführende Informationen
Grünbuch des Bundeswirtschaftsministeriums [pdf, 896 KB]
Verdi fordert Kapazitätsmarkt, Pressemitteilung
Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zum Kapazitätsmarkt
Bundesverband erneuerbare Energien zum Grünbuch
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gegen Kapazitätsmarkt
Ökoinstitut zum fokussierten Kapazitätsmarkt
Übersicht der Positionen auf der Webseite des DIW
Hintergrundpapier der Position, Publikation von Agora Energiewende