Bisher gab es beim Thema Sustainable Finance Ideen, die selbst in Kreisen derer, die sich mit dem Thema schon lange beschäftigen, nicht mehrheitsfähig waren. Eine davon ist etwa die, dass auf allen Finanzprodukten stehen muss, inwieweit die damit verbundenen Investitionen mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind – egal, ob Versicherung, Fonds oder Rentensparplan. Genau das fordert nun der von der Bundesregierung eingesetzte, unabhängige Sustainable Finance-Beirat (SFB), in dem 38 Expertinnen und Experten aus Finanzwirtschaft, Realwirtschaft, Wissenschaft und NGOs seit Juni 2019 beraten. Der SFB regt in seinen Zwischenbericht ein „verpflichtendes Produktklassifizierungssystem” an, das für alle Finanzprodukte gilt und „die Beiträge zu den SDGs und Pariser Klimazielen deutlich macht”.
Das wäre eine Ausweitung dessen, was auf EU-Ebene beschlossen ist. In Brüssel haben sich im Dezember Rat und Parlament auf eine EU-weite Definition dessen geeinigt, was eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit ist. Oft wird dieses Klassifizierungssystem schlicht Taxonomie genannt. Das System enthält sechs Umweltziele, etwa Investitionen in „Klimaschutz” oder „Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen”. Soziale Kriterien sind aber noch nicht enthalten und damit auch weite Teile der SDGs nicht, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Der SFB geht nun also einen Schritt weiter und fordert auch eine Integration der SDGs.
Vor allem aber ist die Taxonomie, die ab Ende 2022 vollständig gelten soll, nicht verpflichtend. Finanzmarktakteure können in einem Disclaimer auch schlicht erklären, dass sie die Klassifizierung nicht anwenden und dann weiter klimaschädliche Produkte vertreiben. Nach dem Vorschlag des SFB wäre das zwar auch noch möglich, allerdings deutlich transparenter. Was das konkret bedeuten könnte, erklärt Christian Klein, Professor für Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel und Mitwirkender im SFB: „Unser Vorschlag ist es, für Finanzprodukte etwas ähnlich den Energieeffizienzklassen bei Haushaltsgeräten oder dem Nutri-Score bei Lebensmitteln einzuführen“ sagt er. Denkbar sei etwa ein fünfstufiges System, um beispielsweise die ökologischen Auswirkungen eines Finanzprodukts zu kennzeichnen – von dunkelgrün für sehr gut bis braun für extrem klimaschädlich. Es wäre also ein System, das nicht nur positive Investments kennzeichnet, sondern auch negative brandmarkt.
Ehrgeiziger sein als die EU
Allerdings sei es bis dahin noch ein weiter Weg und viel Forschung nötig, weil längst nicht alle Daten dafür zur Verfügung stünden, räumt Klein ein. Auch Widerstand von zahlreichen Finanzmarktakteuren wäre zu erwarten. Die Deutsche Kreditwirtschaft warnt in einer Reaktion auf den Zwischenbericht, es sei „kontraproduktiv, ergänzend zum europäischen Regelwerk zusätzlich nationale Regelungen zu schaffen“. Das vom Beirat geforderte Angebot nachhaltiger Finanzprodukte in allen Produktkategorien müsse dem Markt überlassen werden. „Wenn wir führender Sustainable Finance Standort werden wollen, dann müssen wir auch ehrgeiziger als die EU sein“, entgegnet hingegen Klein.
Der Zwischenbericht des SFB enthält insgesamt 53 Handlungsansätze für eine umfassende Transformation, die auch für den globalen Wettbewerb essentiell sei, heißt es in dem Bericht. Vor allem drei Akteure seien dafür wesentlich: die Bundesregierung und die öffentliche Hand, die Unternehmen der Realwirtschaft und die Akteure im Finanzmarkt. Bund und Länder etwa müssten ihre Politik besser koordinieren, die Bundesregierung ihre eigenen Investitionen und Portfolien nach nachhaltigen Standards ausrichten. Außerdem mahnt der SFB einen CO2-Preis an, der auch eine Lenkungswirkung entfaltet.
Transparenz und Nachhaltigkeitsberichterstattung
Ein zentraler Punkt ist zudem die Transparenz. Was das für Unternehmen bedeutet, erklärte Silke Stremlau, Kapitalanlagevorstand bei den Hannoverschen Kassen und Mitglied im SFB, in einem Webinar zum Zwischenbericht. Ihre Arbeitsgruppe im Beirat fordert eine standardisiertere und verlässlichere Nachhaltigkeitsberichterstattung. Der GRI-Standard und der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) seien zwar gut. Doch: „Viele Indikatoren, die heute erhoben werden, sind nicht wirklich wesentlich, wenn man die Zukunftschancen und Risiken von Unternehmen nach Nachhaltigkeitsgesichtspunkten bewerten will“, sagt sie. Man wolle mit den Unternehmen und Verbänden über Kernindikatoren für verschiedene Branchen nachdenken. Außerdem brauche es mehr berichtspflichtige Unternehmen, was – mit Augenmaß – auch den Mittelstand betreffen müsse. Viele Indikatoren seien zudem zu sehr in der Vergangenheit behaftet. „Wir brauchen auch einen besseren Blick in die Zukunft. Wie gehen Unternehmen mit der Artenvielfalt, dem Klimawandel oder Menschenrechten in der Zukunft um?“, fragt Stremlau. Die Stärkung der Aussagekraft ist auch Thema im DNK, weshalb auf Grundlage einer breit angelegten Anwenderumfrage das Wesentlichkeitsverständnis des Transparenzstandards im letzten Jahr konkretisiert wurde. Orientierung hierfür bieten auch die vom Bundesumweltministerium geförderten SD-KPIs (Sustainable Development Key Performance Indicators), die jeweils die drei relevantesten Nachhaltigkeitsindikatoren für die erwartete Geschäftsentwicklung von Unternehmen in verschiedenen Branchen definieren. Die zukunftsgerichtete Berichterstattung ist im DNK angelegt, wird aber von Unternehmen wenig genutzt, beobachtet Yvonne Zwick, Leiterin des DNK-Büros. „Unternehmen tun sich schwer damit, konkrete Zielstellungen zu benennen – nicht zuletzt, weil dies teilweise per se als Risiko betrachtet wird. Insbesondere Einsteigern in die DNK-Berichterstattung fällt es schwer, weil sie noch kein Monitoring haben“, so Zwick.
Auch Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg sowie Mitglied im SFB und im Rat für Nachhaltige Entwicklung, kritisiert in einem Interview im Tagesspiegel Background die bisherigen Regelungen. Auch wenn es in der EU für große Unternehmen mit der CSR-Richtlinie eine Berichtspflicht gebe, müsse die Bundesregierung bei der Umsetzung nachbessern. „Leider lässt das Gesetz offen, in welcher Form Unternehmen diese Berichtspflichten erfüllen. Auch besteht keine direkte Pflicht der externen Auditierung“, kritisiert er. Der SFB fordert, die Bundesregierung müsse bis 2022 alle börsennotierten Unternehmen verpflichten, die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Disclosures umzusetzen. Diese privatwirtschaftliche Initiative hat Leitlinien formuliert, die als globaler Standard für Nachhaltigkeitsberichterstattung dienen könnten.
Parallel zur Realwirtschaft muss laut des Berichts auch der Finanzsektor so transparent werden, „dass sich Anleger, Investoren und Kreditgeber ein realistisches Bild über die Nachhaltigkeit einzelner Investitionen und Finanzmarktprodukte machen können“. Bestehende Pflichten zur Offenlegung müssten so angepasst werden, dass für alle Kredite und Investitionen klar werde, ob sie sich beispielsweise negativ auf den Klimawandel, die Biodiversität, auf Wasser, Boden und Luft oder auch die Steuerbasis von Staaten auswirkten.
Insgesamt sei der Bericht eine „echte Ansage“, sagt Klein von der Uni Kassel. „Als ich vor sieben Jahren damit angefangen habe, wurde das Thema Sustainable Finance noch belächelt“, sagt er. Vor drei Jahren hätte er sich nicht träumen lassen, dass heute ein solcher Bericht möglich sei. „Für mich ist der spannende Punkt: Wenn wir wirklich was erreichen wollen, dann muss die Politik aktiv werden und dann wird es einigen Stakeholdern auch wehtun“, glaubt er.
Konsultation bis zum 3. April
Alle Interessierten können noch bis zum 3. April auf der neuen Webseite des Sustainable Finance Beirates ihre Perspektive einbringen. Im zweiten Halbjahr 2020 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne, was Deutschland zur Weiterentwicklung der europäischen Sustainable Finance-Strategie nutzen solle, schreibt der SFB. Der 4. Sustainable Finance Gipfel am 28. September 2020 ist bereits als Teil der deutschen EU-Ratspräsidentschaft angelegt. Im September plant der Beirat seinen Abschlussbericht vorzulegen – und fordert, seine Arbeit danach in eine dauerhafte Arbeitsstruktur zu überführen.