Grüne Europaabgeordnete stellen das geheime Verhandlungsmandat für das Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA ins Internet. Die Furcht von aufgeweichten Standards beim Umwelt- und Klimaschutz reicht bis ins Regierungslager hinein.
Lange blieben die Ziele und Vorstellungen der EU-Kommission bei den Verhandlungen über das mit den USA geplante Freihandelsabkommen geheim. Nun haben die drei grünen Europaabgeordneten Sven Giegold, Franziska Keller und Rebecca Harms das Geheimnis gelüftet.
Ende der vergangenen Woche stellten die Parlamentarier die deutschsprachige Version des Verhandlungsmandats ins Internet und kommentieren auch die einzelnen Aspekte des Vorhabens. „Mit TTIP erhalten Unternehmen weitreichende Klagerechte gegen Umwelt- und Sozialstandards“, kritisiert Keller, „das ist nicht hinnehmbar.“
So brisant wie der Tabubruch der Abgeordneten es erscheinen lässt, ist der Inhalt der Leitlinien für die Unterhändler nicht. Meist finden sich Formulierungen, die für Interpretationen einen breiten Spielraum lassen. Das gilt auch beim umstrittenen Investitionsschutz.
„Das Abkommen sollte einen wirksamen Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat vorsehen, der auf dem neuesten Stand ist und Transparenz, Unabhängigkeit der Schiedsrichter und die Berechenbarkeit des Abkommens gewährleistet, unter anderem durch die Möglichkeit einer verbindlichen Auslegung des Abkommens durch die Vertragsparteien“, heißt es zum Beispiel zu den anvisierten Sonderklagerechten für Unternehmen. Weiter ist die Rede von einem breiten Spektrum an Schiedsgremien, einer Berufungsmöglichkeit und einem Mechanismus, der leichtfertige oder offensichtlich ungerechtfertigte Klagen verhindert.
Konzerne klagen gegen Staaten
Die Grünen befürchten, dass Konzerne gegen Staaten klagen werden, wenn diese zum Beispiel Umweltstandards beschließen, die den Profit der Unternehmen mindern. Beispielfälle gibt es dafür bereits. Der schwedische Konzern Vattenfall klagt aufgrund einer ähnlichen Regelung für die europäische Energiewirtschaft Schadenersatz von der Bundesregierung ein, weil er Atomkraftwerke als Folge der Energiewende abschalten muss.
Eine neue Studie der Nichtregierungsorganisationen Transnational Institute und Corporate Europe Observatory zeigt, dass Klagen von Investoren gegen Staaten immer häufiger als Instrument zur Gewinnmaximierung eingesetzt werden. So klagen in Spanien beispielsweise 22 Unternehmen, überwiegend Aktienfonds, gegen die Abschaffung der Subventionen für erneuerbare Energien. Den einheimischen Bürgern bleibt dieses Recht verwehrt.
Je nach Entscheidung des unabhängigen Schiedsgerichts werden sie dann möglicherweise auch noch für den Schadenersatz zur Kasse gebeten. „75.000 Unternehmen mit Niederlassungen sowohl in der EU als auch in den USA könnten über das transatlantische Freihandelsabkommen Investoren-Klagen einreichen“, warnen die Autoren vor Sonderklagerechten im TTIP und fordern eine weltweite Neuausrichtung beim Investitionsschutz.
Auch Mitglieder der Bundesregierung sehen das TTIP skeptisch. So warnte der kürzlich zurückgetretene Agrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im kleinen Kreis vor der Illusion, dass die hohen europäischen Standards bei der Nahrungsmittelproduktion alle aufrecht erhalten werden könnten. Und jüngst gelangte auch ein Vermerk des Bundesumweltministeriums an die Öffentlichkeit.
Aus diesem internen Papier gehen erhebliche Bedenken gegen das TTIP in Hinblick auf den Umwelt- und Klimaschutz einher. Ministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht keine Notwendigkeit für Sonderklagerechte. „Eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens bedarf es nicht“, lautet die Position des Hauses, „mindestens muss es explizite Ausnahmen für den Umwelt-, Klima-, Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Mieterschutz enthalten.“
Auch das Umweltministerium warnt
Konkret sehen die Fachleute des Umweltministeriums die Gefahr verwässerter Regeln bei der Zulassung von Chemikalien, Pflanzenschutzmitteln und Nahrungszusätzen, aber auch beim Anbau und Verkauf genmanipulierter Pflanzen ohne Kennzeichnung. Auch könnten Vorgaben im Rahmen der Energiewende zum Anlass für Klagen durch US-Investoren auf dem deutschen Wohnungsmarkt werden oder Energieriesen mit einer Konzession für Probebohrungen nach Erdgasvorkommen in Deutschland im Falle eines Fracking-Verbots von Schiedsgerichte anrufen.
Der Abbau von Handelshemmnissen könnte nach Ansicht des Ministeriums auch das Carbon Leakage verschärfen, also die Umgehung des europäischen Emissionshandels durch die Verlagerung von Produktionen zu Lasten des Klimaschutzes. „Produktionsstätten könnten von der EU in die USA verlegt werden, um die Kosten für den Erwerb von CO2-Zertifikaten zu sparen“, befürchten die Fachbeamten. Umgekehrt animiert das TTIP an ganz anderer Stelle auch amerikanische Unternehmen zu Umgehungsversuchen.
Bei Konfliktrohstoffen wie Wolfram oder Gold müssen die börsennotierten US-Firmen ab dem 31. Mai 2014 für Transparenz bei der Herkunft der Rohstoffe aus bestimmten Krisenregionen sorgen. Der sogenannte Dodd-Frank Act ist Teil der Reformen des Finanzmarktes und soll die Finanzierung bewaffneter Rebellen im Kongo und den benachbarten Ländern unterbinden. In Europa peilt die EU-Kommission nur eine freiwillige Offenlegung der Lieferkette an. „US-Rohstofffirmen könnten künftig über den Umweg Europa amerikanische Gesetze umgehen“, warnt die Zeit.
Auf den Druck der Öffentlichkeit hin lässt sich die EU-Kommission auch ihrerseits etwas mehr in die Karten schauen. Sie hat am 11. März auch Vertreter von NGOs, Verbraucherschutzverbänden und Gewerkschaften zum Thema angehört. Eine weitere Sitzungen am Jahresende 2014 ist vorgesehen. Auch hat der zuständige Kommissar Karel de Gucht eine handelsbezogene Nachhaltigkeitsprüfung angekündigt. Die Ergebnisse der Anhörungen sollen darin berücksichtigt werden.
Weiterführende Informationen
Verhandlungsmandat zu TTIP, Leak der Grünen
TTIP-Studie von Transnational Institute und Corporate Europe Observatory
Nachhaltigkeitsprüfung im TTIP?