Sie haben schon lange auf das Insektensterben in Deutschland aufmerksam machen wollen und darum über Jahrzehnte Daten gesammelt: ehrenamtliche Insektenkundler. Doch bis ihre Erkenntnisse von Wissenschaftlern und Politikern anerkannt wurden, hat es lange gedauert. Für viele zu lange: „Politik muss Ehrenamtliche ernster nehmen, das Engagement der Bürger“, so sagte das einer der 150 Gäste auf den RENN.tagen in der Kalkscheune in Berlin Mitte November.
Zwei Tage lang haben dort Nachhaltigkeitspionierinnen und -pioniere debattiert, darüber was gut läuft – und was besser werden kann. Die RENN.tage sind neu.
Hinter dem Kürzel RENN stecken die vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien: RENN.west, RENN.nord, RENN.süd und RENN.mitte. Sie wurden vor gut einem Jahr auf Initiative des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) von der Bundesregierung zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf lokaler und regionaler Ebene ins Leben gerufen. Seither arbeiten die vier RENN daran, dass „Nachhaltigkeitsaktivitäten besser miteinander vernetzt und so ausgebaut werden“, sagte Sabine Gerhardt von der RENN Leitstelle, die beim Rat für Nachhaltige Entwicklung in Berlin angesiedelt ist, zur Eröffnung des Treffens.
Anders gesagt: Das Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger, die schon heute versuchen, die Gesellschaft zukunftsfähiger zu machen und ökologische, soziale und ökonomische Ziele zu vereinen, soll sichtbarer und schlagkräftiger werden. Die entscheidende Frage für die Nachhaltigkeitspioniere sei schließlich, so Gerhardt, wie sich mit einer „kleinen Idee im großen Kontext überleben lässt“.
Den „großen Kontext“ erläuterte Monika Frieling aus dem Referat für Nachhaltige Entwicklung im Bundeskanzleramt. Deutschland hat als einer der ersten Staaten der Erde im Juli 2016 in New York einen Bericht über die nationale Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vorgelegt, die die Vereinten Nationen ein Jahr zuvor beschlossen hatten. „Wir haben noch viel zu tun“, meinte Frieling. Wichtig seien dabei „der Dialog in der Gesellschaft“ und die „Umsetzung vor Ort“.
Nur: Was tun gegen Motivationsdellen, die Josef Ahlke ausmacht. Ahlke leitet als Vorstand von „Zukunftsfähiges Thüringen“ die Netzstelle RENN.mitte. Er sagte: „Wir haben eine supertolle Zivilgesellschaft, gleichzeitig gibt es aber nach vielem, was erreicht wurde, Ermattungserscheinungen“ – und entfachte damit eine lebhafte Diskussion.
Ahlke und seine Kolleginnen und Kollegen in den RENN-Netzstellen feilten in Berlin zusammen mit den Gästen an Konzepten, wie sie bei den Themen, die die Leute vor Ort bewegen, weiter kommen. Dafür stellte jede RENN-Netzstelle ein Thema vor, in einer Art “Pitch”. Einer hielt zum Beispiel die DB Mobil, das Magazin der Deutschen Bahn, in die Luft, um Mitstreiter für das Thema „Nachhaltige Mobilität“ zu finden. Denn auf dem Magazin prangte Nico Rosberg. Der Ex-Rennfahrer äußerte sich in der aktuellen Ausgabe kritisch über Benzin- und Dieselantriebe. Bewegt sich da was?
Die Teilnehmenden wählten das Thema, das sie in kleinen Runden weiterentwickeln wollten. So beschäftigten sich die einen mit „Bildung für nachhaltige Entwicklung und Demokratieentwicklung“, um antidemokratische Vorstellungen „zu entzaubern“, oder mit Energieeffizienz und der Frage, warum es Menschen nicht schaffen, den Ressourcenverbrauch zu senken. Die anderen diskutierten, wie Kommunen zu „Handlungsräumen für nachhaltiges Leben“ werden können oder eben wie Mobilität neu gedacht werden kann. Die Frage, die alle umtrieb: Wie lässt sich über das Preaching to the converted, also das Predigen vor den ohnehin schon Bekehrten, herauskommen?
Einfache Antworten gab es nicht. Einen grundsätzlichen Vorschlag machte aber Ursula Hudson, die sich als Vorsitzende von Slow Food Deutschland für eine zukunftsfähige Esskultur einsetzt. Sie plädierte dafür, neue Allianzen zu suchen. Es könne nicht mehr allein um Umweltschutz gehen, nicht allein um den Kampf gegen Armut.
Die Welt steht vor Herausforderungen, die zusammen gedacht werden müssen. Die RENN.tage führten das auch bildlich vor Augen: Wer wollte, konnte sich zum Beispiel mit einer Virtual-Reality-Brille eines der weltgrößten Flüchtlingscamps im jordanischen Zaatari anschauen. Unwirtliche Natur, Armut und Kriege zwingen Millionen Menschen, ihre Heimat zu verlassen.
Angesichts dieser Problemlage meinte Hudson: „Mein Appell an die Zivilgesellschaft lautet: Schließt Euch stärker mit anderen zusammen.“ Das sah Heike Spielmans, Geschäftsführerin der Entwicklungsorganisation Venro, ähnlich: „Tun sich alle zusammen, erhöht das den Druck auf die Bundesregierung.“ Mit politischer Einmischung allein sei es aber nicht getan, meinte Hudson: „Eine aktive Basis muss die positive Alternative erlebbar machen.“
Ulla Burchhardt, SPDlerin und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung beschrieb die Rolle der Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren, so: „Sie sind in Zeiten, in denen Rücksichtlosigkeit und der Rückzug von Respekt in der Gesellschaft um sich greift, Leuchttürme des Gemeinwohls.“ Sie nimmt Ehrenamtliche längst ernst.
Im nächsten Jahr soll es die RENN.tage wieder geben.